| # taz.de -- Ergebnisse des Griechenland-Gipfels: "Banken haben sich behauptet" | |
| > Die Beteiligung der Banken ist Augenwischerei, findet der | |
| > Wirtschaftsweise Peter Bofinger. Wichtige Fortschritte habe der Gipfel | |
| > trotzdem gebracht, etwa die Abschaffung der Strafzinsen. | |
| Bild: Das Griechenlandpaket ist geschnürt - ein "wichtiger, substanzieller Sch… | |
| taz: Herr Bofinger, Sie haben Anfang der Woche zusammen mit den anderen | |
| Wirtschaftsweisen die "Blockade der europäischen Politik" in der Eurokrise | |
| kritisiert. Haben Sie nach dem Gipfel das Gefühl, dass diese Kritik | |
| gefruchtet hat? | |
| Peter Bofinger: Ja, es ist ohne Frage einiges in Bewegung gekommen, und | |
| zwar insgesamt in die richtige Richtung. | |
| Die Bewertungen schwanken ja von "kleiner Aufschub" bis "historischer | |
| Durchbruch". Wo auf dieser Skala liegen Sie? | |
| In der Mitte. Es ist ein wichtiger, substanzieller Schritt, nicht nur | |
| Symbolpolitik. Aber wirklich zukunftsfähig aufgestellt ist der Euroraum | |
| damit immer noch nicht. | |
| Was sind denn aus Ihrer Sicht die wichtigsten Ergebnisse? | |
| Ganz entscheidend ist, dass Griechenland künftig Geld zu niedrigeren Zinsen | |
| bekommt. Die unsinnige Regelung, dass das angeschlagene Land an die anderen | |
| Mitgliedstaaten auch noch Strafzinsen zahlen muss, ist endlich vom Tisch. | |
| Natürlich muss Griechenland konsolidieren, aber wenn sie das richtig | |
| machen, dann muss das auch durch niedrige Zinsen gefördert werden. Wenn | |
| jemand einen schweren Herzinfarkt hat, dann bestraft und beschimpft man den | |
| doch auch nicht, sondern schafft ihn auf die Intensivstation - selbst wenn | |
| er vorher vielleicht zu viel geraucht und getrunken hat. | |
| Wie beurteilen Sie die neue Rolle des Euro-Rettungsschirms? | |
| Das ist der zweite positive Ansatz. Der Stabilitäts- und Rettungsfonds | |
| (EFSF) kann in Zukunft viel flexibler agieren. Bisher war das praktisch | |
| eine Feuerwehr, die erst ausrücken durfte, wenn das Haus schon lichterloh | |
| brennt. Künftig kann man sie auch schon rufen, wenn es im Keller nach Rauch | |
| riecht. | |
| Was heißt das konkret? | |
| Es gibt jetzt die Möglichkeit, Geld vom EFSF zu erhalten, sobald sich an | |
| den Kapitalmärkten Spannungen für einzelne Länder auftun. Wenn Investoren | |
| nervös werden, kann man die entsprechenden Anleihen einfach vom Markt | |
| nehmen. | |
| Deutschland ist besonders stolz darauf, gegen starken Widerstand die | |
| Beteiligung der privaten Banken an der Griechenland-Rettung durchgesetzt zu | |
| haben. Sehen Sie das auch so? | |
| Nein, überhaupt nicht. Diese angebliche Beteiligung des privaten Sektors | |
| halte ich für reine Augenwischerei. | |
| Wieso? Die Regierungen nennen doch sehr konkrete Summen, auf die die Banken | |
| verzichten. | |
| Aber man muss genau hinsehen, wie die zustande kommen. Es geht dabei ja um | |
| zukünftige Forderungen. Um mit denen arbeiten zu können, muss man sie auf | |
| den heutigen Wert runterrechnen, das nennt man abdiskontieren. Und nimmt | |
| dafür normalerweise einen Zinssatz für sichere Anleihen, das wären rund 3 | |
| Prozent. Die hohen Zahlen, dass der Bankensektor auf 21 Prozent verzichtet, | |
| kommen nur zustande, weil mit einem völlig unrealistischen | |
| Diskontierungszinssatz von 9 Prozent gerechnet wurde. Ein extrem hoher | |
| Zinssatz führt dazu, das künftige Zahlungen extrem wenig wert sind. | |
| Wie sähe das Ergebnis mit dieser Annahme aus? | |
| Ich habe es noch nicht durchgerechnet; aber wenn bei den unrealistischen | |
| Annahmen 20 Prozent rauskommen, dann ist die reale Beteiligung vermutlich | |
| eher null. | |
| Aber ein Teil der privaten Beteiligung erfolgt doch durch einen Umtausch in | |
| neue Papiere mit geringerem Wert und niedrigeren Zinsen. Ist das nicht ein | |
| realer Verzicht? | |
| Nein. Die meisten griechischen Anleihen, die jetzt fällig werden, stammen | |
| aus dem letzten Jahrzehnt und haben Zinssätze von etwa 4 Prozent. Wenn die | |
| jetzt in neue, abgesicherte Papiere zu 4,5 Prozent umgewandelt werden, dann | |
| ist das kein Verzicht, sondern ein gutes Geschäft. Die andere Möglichkeit | |
| ist, dass es einen Umtausch mit einem Abschlag auf den Wert gibt. Aber | |
| dafür gibt es dann Zinsen von 6,5 Prozent, und das ist ebenfalls eine | |
| Rendite von rund 4 Prozent. Betriebswirtschaftlich gesehen erkenne ich | |
| keine echte Beteiligung des Privatsektors. Die Banken haben sich exzellent | |
| behauptet. | |
| Warum hat die Politik auf einen echten Schuldenschnitt verzichtet? | |
| Ein Grund ist sicher, dass die Banken eine starke Lobby haben. Allerdings | |
| ist es auch nicht von der Hand zu weisen, dass es durchaus eine | |
| Ansteckungsgefahr für weitere Staaten gegeben hätten, wenn man da radikal | |
| rangegangen wäre. Jetzt können die Anleger beruhigt sein: Wenn man selbst | |
| im größten Problemfall Griechenland so freundlich behandelt wird, kann man | |
| den anderen Dingen ganz gelassen entgegensehen. | |
| Der zentrale Grund für die Probleme der Eurozone sind die | |
| Handelsungleichgewichte und die unterschiedliche Lohnentwicklung. Aber | |
| dieses Thema wird nicht angegangen. | |
| Das Programm enthält schon Aussagen dazu, dass die griechische | |
| Wettbewerbsfähigkeit gestärkt werden soll. Aber was daraus konkret folgt, | |
| ist offen. | |
| Aber Wettbewerbsfähigkeit ist doch immer relativ. Ist das Lohndumping und | |
| die Exportorientierung der Deutschen nicht das größere Problem? | |
| Ja, Deutschland war in der Vergangenheit ein Problem, nicht nur für | |
| Griechenland, sondern für ganz Europa. Aufgrund unserer kaum steigenden | |
| Löhne trat die Binnenachfrage über ein Jahrzehnt auf der Stelle und das hat | |
| nicht unwesentlich zu den Ungleichheiten im Euroraum beigetragen. Wenn alle | |
| anderen in den vergangenen Jahren die Löhne auch nicht erhöht und damit | |
| weniger konsumiert hätten, wären im Euroraum die Lichter ausgegangen. Die | |
| Lohnpolitik hat sich in den vergangenen zwei, drei Jahren zwar gebessert, | |
| aber der Leistungsbilanzüberschuss ist noch immer viel zu hoch. | |
| Aber mit solchen Vorschlägen, die Veränderungen in Deutschland bedeuteten, | |
| halten sich auch die Wirtschaftsweisen zurück. | |
| Da ist was dran. Wir haben in dieser Frage keine einheitliche Meinung. | |
| 22 Jul 2011 | |
| ## AUTOREN | |
| Malte Kreutzfeldt | |
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