| # taz.de -- Energie- und Lebensmittelpreise: Weltbank befürchtet Staatspleiten | |
| > Schon in der Pandemie machten Entwicklungsländer mehr Schulden. Mit den | |
| > steigenden Kosten könnte sich die Schieflage verschärfen. | |
| Bild: Ägypten gehört zur Gruppe der Länder mit hohen Energie- oder Lebensmit… | |
| Basel taz | Am fünften Mai ist [1][Russland wahrscheinlich offiziell | |
| bankrott] – zumindest „technisch“. Das Land hat am sechsten April 650 | |
| Millionen Dollar für eine fällige Anleihe und die Zinsen auf eine andere | |
| Anleihe in Rubel statt in US-Dollar bezahlt. Das war in den | |
| Anleihekonditionen so nicht vorgesehen und gilt nach einer Frist von 30 | |
| Tagen als Zahlungsausfall. | |
| Dass Russland tatsächlich kein Geld mehr hat, ist allerdings | |
| unwahrscheinlich. Zum einen hat das Land noch Zugriff auf rund die Hälfte | |
| der [2][Devisenreserven] in Höhe von 630 Milliarden Dollar und zum anderen | |
| überweist allein die EU täglich rund eine Milliarde Euro für Gas und Öl an | |
| Russland. „Es gibt keine Gründe für einen echten Zahlungsausfall“, sagte | |
| denn auch Kreml-Sprecher Dimitri Peskow. | |
| Anders sieht das in einigen Entwicklungsländern aus. Die Weltbank warnte | |
| Ende März: „In den nächsten zwölf Monaten könnte sich ein Dutzend | |
| Entwicklungsländer als unfähig erweisen, ihre Schulden zu bedienen.“ In der | |
| [3][Coronakrise sind die Schulden der ärmsten Länder] von 3.000 auf 3.500 | |
| Milliarden Dollar gestiegen. Nachdem die Weltwirtschaft im Jahr 2021 wieder | |
| anlief, begannen dann die Preise für Energie und Lebensmittel zu steigen, | |
| was sich durch den Krieg in der Ukraine noch verschärft hat. | |
| Hinzu kommt, dass in den Industriestaaten die Zentralbanken beginnen, die | |
| Zinsen zu erhöhen, um die gestiegene Inflation in den Griff zu bekommen. | |
| Das bedeutet auch steigende Zinsen für die Entwicklungsländer. Die | |
| Welthandels- und Entwicklungskonferenz (Unctad) schätzt, dass seit Beginn | |
| des Kriegs die Zinsen für Entwicklungsländer bereits um 0,36 Prozentpunkte | |
| gestiegen sind. | |
| Diese Kombination könnte zur „größten Zahl von Schuldenkrisen in | |
| Entwicklungsländern seit einer Generation“ führen. Besonders verletzlich | |
| sind zwei Gruppen von Ländern: Länder, die große Mengen an Öl und Gas sowie | |
| an Lebensmitteln einführen und Länder, die dieses Jahr einen hohen | |
| Refinanzierungsbedarf haben. Unctad schätzt, dass die Entwicklungsländer | |
| dieses Jahr 310 Milliarden Dollar refinanzieren müssen. | |
| ## Importländer besonders betroffen | |
| Einen besonders hohen Bedarf für neues Geld haben Pakistan, die Mongolei, | |
| Sri Lanka, Ägypten und Angola. Letzteres profitiert als Ölexporteur | |
| allerdings von den gestiegenen Preisen und sollte keine Probleme bekommen. | |
| Zur Gruppe der Länder mit hohen Energie- oder Lebensmittelimporten gehören | |
| derweil erneut Ägypten, Pakistan, Sri Lanka und zusätzlich die Türkei, | |
| Kenia und Ghana. Hinzu kommen die Staaten, die schon letztes Jahr de facto | |
| pleite waren wie der Libanon, Äthiopien, der Tschad und Sambia. | |
| In der Coronakrise haben die G20-Staaten, der Internationale Währungsfonds | |
| (IWF) und die Weltbank drei Programme aufgelegt, um überschuldeten Ländern | |
| zu helfen: Den 50 ärmsten Ländern wurde der Schuldendienst gestundet, | |
| allerdings nur bis Ende letzten Jahres. Im August hat der IWF zudem | |
| „Sonderziehungsrechte“ im Wert von 650 Milliarden US-Dollar geschaffen und | |
| an die IWF-Mitgliedsstaaten verteilt – gemäß deren „Quoten“. | |
| Da große und reiche Länder eine höhere „Quote“ erhalten, ist davon aber … | |
| ein relativ kleiner Teil an die Entwicklungsländer geflossen: 21 Milliarden | |
| an die ärmsten Länder und weitere 210 Milliarden an andere | |
| Entwicklungsländer (ohne China). Und schließlich wurde ein Rahmen | |
| geschaffen, um überschuldeten Ländern bei der Umstrukturierung ihrer | |
| Verbindlichkeiten zu helfen, der „Common Framework for Debt Treatments“. | |
| ## Weltbank sieht kein systematisches Problem | |
| Dieser ist allerdings nicht sonderlich beliebt, und bislang haben nur | |
| Äthiopien, der Tschad und Sambia das Framework in Anspruch genommen. Andere | |
| Länder, die ebenfalls von diesem Instrument profitieren könnten, | |
| befürchten, von den Kapitalmärkten ausgeschlossen zu sein, solange ihr | |
| Umschuldungsverfahren läuft. Und das kann dauern: Bislang hat keines der | |
| drei Länder den Prozess abgeschlossen. | |
| Hinzu kommt, dass nur die 73 ärmsten Länder überhaupt das Framework in | |
| Anspruch nehmen können. Länder mit mittlerem Einkommen wie Mauritius, die | |
| oft hohe Ausfälle im Tourismusgeschäft hatten und haben, müssen sich | |
| hingegen an den IWF wenden, der Kredite nur in Verbindung mit harten | |
| Bedingungen vergibt. | |
| Dass die vielen bevorstehenden Staatspleiten zu einem systemischen Problem | |
| werden, glaubt die Weltbank allerdings nicht. Auch wenn dieses Jahr | |
| tatsächlich ein Dutzend Länder pleitegehen sollte, so „wäre das nicht | |
| vergleichbar mit der lateinamerikanischen Schuldenkrise in den 1980er | |
| Jahren oder den mehr als 30 Fällen unhaltbarer Verschuldung Mitte der | |
| 1990er Jahre“. Für die betroffenen Länder und deren Bürger wäre es dennoch | |
| dramatisch. | |
| 8 Apr 2022 | |
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| ## AUTOREN | |
| Christoph Müller | |
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