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# taz.de -- Einzigartiges EM-Halbfinale: Die Leichtigkeit des Seins
> Nach dem herausragenden EM-Spiel zwischen Italien und Spanien drängt sich
> der Eindruck auf, Fußball sei einfach nur ein Spiel.
Bild: Nice try: Zum Amüsement von Giorgio Chiellini versucht Jordi Alba den Sc…
Es war wirklich [1][ganz großer Fußball], den Spanien und Italien im
Wembleystadion zeigten und es ging wirklich lustig zu an diesem
Dienstagabend. Jordi Alba zeigte nach dem Münzwurf des Schiedsrichters vor
dem Elfmeterschießen mit dem Arm in die eine Richtung, Giorgio Chiellini,
der die Seitenwahl gewonnen hatte, in die entgegengesetzte.
Da versuchte der spanische Kapitän tatsächlich mit einem Bauerntrick den
Unparteiischen Felix Brych zu überlisten. Anders lässt sich die große
Heiterkeit, die Chiellini überkam, kaum erklären. Der 36-jährige Italiener
war so vergnügt und aufgekratzt, dass er den spanischen Schelm mit dem
Pokerface lachend in die Wange kniff, umarmte und ein wenig in die Londoner
Luft hob, als wäre das Ganze hier einfach nur ein Spiel.
Zuvor hatte er schon mit der spanischen Ikone Sergio Busquets so nett und
fröhlich geplaudert, als besprächen sie gerade ihren gemeinsamen
Sommerurlaub. Und Spaniens Trainer Luis Enrique scherzte vor der zweiten
Hälfte der Verlängerung mit Italiens Torschützen Federico Chiesa am
Seitenrand. Beide mussten herzlich lachen. Gut möglich, dass Enrique Chiesa
gefoppt hat, ob er in diesem Zustand tatsächlich noch weiterspielen möchte.
Eine Minute später wurde der erschöpfte Chiesa jedenfalls ausgetauscht.
Es waren Szenen, wie man sie von Abschiedsspielen großer Fußballstars
kennt, bei denen sich humorlose Profis plötzlich zu Ulknudeln verwandeln.
Denn Spaß muss sein, und bislang musste er immer nur dann sein, wenn es um
nichts mehr geht. Die englische Trainerlegende Bill Shankly hat die
Humorlosigkeit des Fußballs einmal sehr britisch-humorig auf den Punkt
gebracht: „Es gibt Leute, die denken, Fußball sei eine Frage von Leben und
Tod. Ich mag diese Einstellung nicht. Ich kann Ihnen versichern, dass es
noch sehr viel ernster ist.“
## Nur Lob für die Verlierer
Die außergewöhnliche fußballerische Leichtigkeit an diesem Abend (mit
Vorteilen auf spanischer Seite) verband sich mit der Leichtigkeit des Seins
(mit Vorteilen auf italienischer Seite). Eine Kombination, die diesen Abend
erst einzigartig werden ließ. In 120 hochemotionalen Minuten musste der
Schiedsrichter nur dreimal zur gelben Karte greifen. Auch bei den eifrig
hinterherlaufenden Italienern ging es stets darum, irgendwie ins Spielen zu
kommen.
[2][Trainer Luis Enrique] trat hernach nicht schuldbeladen mit düsterer
Miene vors Mikrofon, übernahm die Verantwortung für das Ausscheiden,
entschuldigte sich bei der ganzen Nation und beklagte sich darüber, dass
Spanien eigentlich besser gewesen sei. Stattdessen überschüttete er seine
Spieler mit Lob, verteilte Bestnoten und bedankte sich insbesondere beim
Fehlschützen Álvaro Morata, dass er überhaupt zum Elfmeter angetreten ist.
Enrique weiß natürlich, dass von dem vielen Lob, das man verteilt,
automatisch auch etwas auf einen selbst zurückfällt. Seine Haltung
entsprach jedoch einer Atmosphäre an diesem Abend, die von einer unbändigen
Lust am Spiel und am gegenseitigen Kräftemessen geprägt war, bei der nicht
das Gewinnenmüssen die Partie bleiern schwer werden ließ, sondern das
Gewinnenwollen für den nötigen Schwung sorgte. Und so stand auch für
Busquets nach der Partie das Erreichte und nicht das Verpasste im
Vordergrund. „Wir sind stolz auf das, was wir geschafft haben. Es war eine
gute Erfahrung für eine so junge Mannschaft.“
Am Ende dieses Abends siegte die Banalität des Guten. Auch ein
EM-Halbfinale ist eben einfach nur ein Spiel. Man muss sich nicht zum
Erfolg durchbeißen oder „knabbern“, wie die deutschen TV-Kommentatoren den
Einsatz der Zähne von Anton Rüdiger im Rücken von Paul Pogba umschrieben.
Ein Ausscheiden im EM-Achtelfinale und das Ende einer Trainer-Ära muss
keine staatstragende Pressekonferenzen („Mein Herz schlägt weiterhin
schwarz-rot-gold“) nach sich ziehen. Und warum muss sich Kylian Mbappé
eigentlich rassistisch beschimpfen lassen, weil er einen Elfmeter nicht
verwandelt hat?
Die Leichtigkeit, die vom Halbfinale ausging, strahlte gar auf die
ansonsten eher voreingenommene italienische Presse ab. Die Corriere della
Serra hielt nach der Partie fest: „Spanien hat besser gespielt.“ So einfach
kann auch ganz großer Fußball sein.
7 Jul 2021
## LINKS
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## AUTOREN
Johannes Kopp
## TAGS
Schwerpunkt Fußball-EM 2024
Spanien
Italien
Fußball
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