# taz.de -- Ein Reichsbürger und seine Tochter: Vaters Irrsinn, Leas Leiden | |
> Leas Vater ist ein Reichsbürger, für den die Bundesrepublik Deutschland | |
> nicht existiert. Das hat Folgen für den Alltag seiner Tochter. | |
Bild: Leas Vater dürfe das alte Jagdgewehr nicht mehr besitzen, erklärt die S… | |
DRESDEN taz Lea kann seinen Atem spüren. Ihr Freund steht dicht vor ihr, | |
umschließt ihre Hände. Es ist einer dieser schönen Momente, die sie so | |
fürchtet. Sie blickt ihm in die Augen. Die treten hervor. Die Mundwinkel | |
fallen. Sie sieht nicht ihren Freund. Sie sieht ihren Vater. Den | |
Reichsbürger. | |
Ein Treffen in Dresden. Lea hat ein Café in der Innenstadt gewählt, um ihre | |
Geschichte zu erzählen: Leas Eltern beeinträchtigen alles in ihrem Leben, | |
ihre Karriere, ihre Gesundheit, ihr Liebesleben. Ihretwegen hat sie Ärger | |
mit Ämtern und Behörden, und immer wieder mit Gerichtsvollziehern und der | |
Polizei zu tun. Über ihre Familie, das ist Leas Bedingung, spricht sie nur, | |
wenn sie nicht erkannt werden kann. Sie heißt eigentlich anders. | |
Wie lebt es sich mit einer Familie, die glaubt, die Bundesrepublik | |
Deutschland würde nicht existieren? Was bleibt von den Eltern, wenn die | |
sich in ihrem Kampf verschanzen? | |
Der Verfassungsschutz beobachtet die Szene. Rund 15.000 Reichsbürger gibt | |
es laut Bundesamt. Im vergangenen Jahr haben zwei von ihnen in Bayern auf | |
Polizisten geschossen, einer ist gestorben. Auch Leas Eltern haben ein | |
Jagdgewehr. Ein Erbstück, sicher verwahrt in einem Bankschließfach, sagt | |
Lea. Ihre Eltern seien bescheuert, aber nicht gefährlich. Hat sie so auch | |
der Polizei gesagt. Die Polizisten haben gewisse Zweifel geäußert. | |
## „Es sind nun einmal meine Eltern“ | |
Leas Eltern halten sich nicht für Reichsbürger. Aber sie machen, was | |
Reichsbürger nun mal so machen. Sie leugnen den Staat, schreiben | |
Beschwerden an den Bundespräsidenten und weigern sich, Steuern zu zahlen. | |
Für sie ist Deutschland nichts weiter als ein Unternehmen, gelenkt von den | |
Alliierten. Leas Vater hat seinen Personalausweis auslaufen lassen, immer | |
wieder steht er vor Gericht. Die Vorwürfe der Staatsanwaltschaft: Er sei | |
mit einem nicht versicherten Auto gefahren, unerlaubter Waffenbesitz, | |
Nötigung eines Gerichtsvollziehers. Wie es zu all dem kommen konnte? „Ein | |
Scheißleben voller beschissener Zufälle“, sagt Lea. | |
Lea ist 22 Jahre alt, ihr Körper ist gebrechlich. Das rechte Bein zieht sie | |
nach. Am rechten Handgelenk trägt sie eine Schiene, um eine komplexe | |
Nervenentzündung zu kurieren. Lea hat Migräne und eine Autoimmunkrankheit, | |
muss täglich Tabletten schlucken. Die chronischen Kopfschmerzen, habe ihr | |
Arzt gesagt, rührten vom hausgemachten Stress. | |
Fragt man sie nach der Beziehung zu den Eltern, verzerrt sie die Stimme, | |
als wäre das alles nur ein Scherz: „Joa, schwierig, ’ne?“ Fragt man sie | |
später noch einmal, lacht sie nicht mehr. Sie schnauft, rührt im Kaffee, | |
starrt in die Tasse. Sie habe schon oft, sehr oft drüber nachgedacht, den | |
Kontakt abzubrechen. „Aber sie sind nun mal meine Eltern.“ Sagt sie | |
ständig. | |
## Vom Abgleiten des Vaters | |
Lea wächst in einer Großstadt im Ruhrgebiet auf. Ihre Eltern arbeiten viel, | |
auch am Wochenende, Lea lebt deshalb bei ihren Großeltern | |
mütterlicherseits. Ihr Vater ist selbstständiger Tischler, ihre Mutter | |
hilft ihm im Büro und besucht abends das Kind. Den Vater sieht Lea so gut | |
wie nie. Lea erinnert sich an eine gute Kindheit – bis sie zu ihren Eltern | |
zieht. Inzwischen sind die Großeltern verstorben, der Krebs hatte erst ihre | |
Oma geholt, später ihren Opa und Lea ist froh darüber. Müssten sie die | |
Reichsbürger erleben, sagt Lea, sie würden jeden Tag einen kleinen Tod | |
sterben. | |
Leas Jugend spielt fast nur in ihrem Kinderzimmer. Will sie mit Freunden | |
ein Eis essen, muss sie ausbüxen. Besuch hat sie fast nie, Bücher und | |
Computerspiele sind ihr Ersatz. Sie ist viel zu Hause, draußen, das sind | |
für sie Schule und das Pflegepferd. | |
Als er 50 Jahre alt ist und sie zwölf, erleidet der Vater einen | |
Bandscheibenvorfall. Als Tischler kann er nicht mehr arbeiten. Er will | |
umschulen. Doch das Arbeitsamt erklärt ihm, er sei dafür zu alt. Er soll | |
Pförtner werden. Will er nicht. Er macht auf Immobilienmakler. Und verliert | |
eine halbe Million Euro. Kunden hätten ihm Geld nicht zurückgezahlt, das er | |
ihnen vorgestreckt habe. Er zieht vor Gericht. Und verliert, weil er sein | |
Recht nicht beweisen kann, sagt Lea. Er ist pleite und arbeitslos. Und | |
beginnt zu schreien. | |
Der Vater ist jetzt immer zu Hause. Hat Lea Pech, schmeißt er mit der | |
Fernbedienung nach ihr. Hat sie Glück, schreit er nur – morgens und mittags | |
im Keller, abends zwei Zimmer weiter, bei Gelegenheit ihr ins Gesicht. | |
Besonders schlimm ist es, als Lea ihr Abitur schreibt. „Es gibt kein | |
Deutschland!“ oder „Scheiß Firma“ brüllt er immer wieder. Oft fährt Lea | |
schon um fünf Uhr morgens in die Schule und lernt, während die Putzfrauen | |
um sie herum wischen. Nach den Prüfungen besucht sie ihre Oma | |
väterlicherseits. Und schläft. | |
## Wie Kondensstreifen zur Giftwaffe werden | |
Vergangenen Sommer fährt Lea mit ihrer Mutter zum Reitstall, erzählt sie. | |
Die Sonne scheint, leuchtende Rapsfelder fliegen vorbei. Ihre Mutter zeigt | |
mit dem Finger in den Himmel. Weiße Streifen durchziehen das Blau. „Da!“, | |
ruft sie, „sind sie doch, die Chemtrails!“ Lea lacht. „Ja, ja, die | |
Regierung macht uns alle dumm!“ Ihre Mutter, ernst: „Genau!“ Lea entgegne… | |
„Kondensstreifen, Mutter. Das sind Kondensstreifen von Flugzeugen!“ Die | |
Mutter fragt: „Wirklich?“ | |
Anfangs hat Leas Mutter nur die Stirn gerunzelt, wenn ihr Mann von der | |
„Deutschland-GmbH“ quasselte. Inzwischen nickt sie. Aus Loyalität, glaubt | |
Lea. „Und weil sie sonst kaum noch jemanden hat.“ Für Lea ist sie viel mehr | |
Mutter als Reichsbürgerin. „Bei ihr ist es auch irgendwie putzig, weil sie | |
absolut keine Ahnung hat.“ Übel nimmt Lea ihr nur, dass sie ihren Vater | |
nicht den Kopf gewaschen hat. „Jetzt ist es zu spät.“ | |
Nach dem Abitur, vor gut zwei Jahren, zieht Lea aus. Sie will studieren. | |
Architektur. Und einfach nur weg. Seither trennt die Bundesrepublik die | |
Familie nicht nur in ihren Ansichten, sondern auch in ihrer gesamten | |
Breite. Die Eltern wohnen im Ruhrgebiet, Lea in Dresden. Luftlinie: 450 | |
Kilometer. | |
## Wie der Vater zurückkehrt | |
Sie ist noch nicht lange weggezogen, da fischt Lea einen Brief aus ihrem | |
neuen Briefkasten in Dresden. Von der Polizei. Ihr Vater soll einen | |
Gerichtsvollzieher bedroht haben. Sie soll aussagen. | |
Ist ihr Vater gewalttätig? Hat er ihnen schon mal etwas getan? Würde er | |
auch mal auf den Gerichtsvollzieher losgehen? Es ist die Zeit, als die | |
deutschen Behörden erkennen, dass viele Reichsbürger zwar Spinner sind. | |
Aber auch gefährlich. | |
Lea glaubt, das Urteil über ihre Eltern überall in ihrem Leben zu spüren. | |
„Ach, du bist doch die Tochter von den Spinnern“, hört sie immer wieder. | |
Eine Mitarbeiterin im Bürgerbüro habe ihr sogar einmal ins Gesicht gesagt, | |
dass sie als „Pack“ das Kindergeld gar nicht verdiene. Lea glaubt auch, | |
dass die Behörden sie beobachten. Die Polizeistreife vor ihrer Wohnung, die | |
ist verdächtig oft dort, findet sie. Und warum wollte man ihr damals den | |
neuen Reisepass erst aushändigen, als sie beteuerte, nicht viel mit ihren | |
Eltern zu tun zu haben? | |
Lea ist so etwas wie der Kollateralschaden im Kampf ihrer Eltern. Mal | |
leihen sie sich von ihrer Tochter Geld, wenn der Gerichtsvollzieher zum | |
Pfänden kommt. Seit diesem Jahr unterschreiben sie ihren Antrag auf Bafög | |
nicht mehr. „Sie schaden lieber mir, als das ‚System‘ zu stützen.“ Jet… | |
muss Lea einen Härtefallantrag stellen. „Schön, wenn man den Leuten | |
beweisen muss: Ja, meine Eltern sind ein bisschen Banane im Kopf.“ Ohne | |
Bafög bliebe ihr nur das Kindergeld, genau 192 Euro. | |
## Wo Lea hingeht, ihre Eltern folgen ihr | |
Ein Sommerabend im vergangenen Jahr, eine Freundin aus dem Heimatort ruft | |
an. „Ich muss dir was erzählen“, sagt die Freundin. „Was denn?“ – �… | |
Vater ist gerade von Polizisten vom Fahrrad gerissen und mitgenommen | |
worden.“ | |
Leas Vater dürfe das alte Jagdgewehr nicht mehr besitzen, erklärt die | |
Staatsanwaltschaft. Seine Besitzkarte dafür sei abgelaufen. Er muss dafür | |
vor Gericht. Er selbst wiederum hat die Polizisten angezeigt. Bei der | |
Festnahme hat er sich zwei Rippen gebrochen. Das Amtsgericht und die | |
Polizei prüfen den Vorfall. Mehr wollen sie dazu auf Anfrage nicht | |
mitteilen. Es werde noch ermittelt. | |
Egal wohin Lea geht, ihre Eltern folgen ihr. Vor ihren persönlichen | |
Problemen kann sie ohnehin nicht fliehen. Sie ist nicht gern allein, nur | |
oft lieber als zu zweit. „Ich kann gut auf Menschen zugehen, aber mich nur | |
schwer auf sie einlassen.“ Denn da ist immer diese Angst. Ist die Person | |
auch wirklich so, wie es scheint? Oder nicht doch ganz anders, als sie | |
denkt? „Man sieht es ihnen ja nicht an. Bei meinen Eltern steht auch nicht | |
‚Reichsbürger‘ drauf.“ Lea traut selbst denen kaum noch, die ihr nahe si… | |
Ihr Freund sei deshalb inzwischen ihr Ex. | |
Lea hat im Studium einige Freunde gefunden, scherzt mit ihnen sogar über | |
ihre Eltern. „Ich habe mir einen Arschtritt verpasst, sonst wäre ich jetzt | |
wieder alleine.“ Das Verhältnis zu ihrem Vater ist nur weniger schlecht | |
geworden – um etwa 450 Kilometer. „Wäre ich nicht umgezogen, hätten wir | |
keinen Kontakt mehr.“ Lea muss ihn kaum noch sehen. Und kann auflegen, wenn | |
er brüllt, weil sie wählen geht oder „merken“ sagt und er an Merkel denkt. | |
„Er kann nicht anders. Es ist wie ein Zwang.“ Ob es noch mal besser wird? | |
Glaubt sie nicht. Altersweisheit? „Er ist 60. Muss ich noch zwanzig Jahre | |
warten?“ | |
## Lea geht nicht mehr ans Telefon | |
Kurz vor Weihnachten sprengen Polizisten des SEK mitten in der Nacht die | |
Eingangstür von Leas Elternhaus. Zwangsräumung. Leas Eltern wollten partout | |
nicht ausziehen, obwohl das Haus bereits versteigert worden war. Wie es | |
dazu kommt? Wie Lea davon erfährt? Wie es weitergeht? Lea geht seitdem | |
nicht mehr ans Telefon. | |
Lea, die Grundschülerin, hält eine Pistole in ihren Kinderfingern. Sie | |
richtet sie auf den Mann mit dem Geldkoffer, kneift ein Auge zusammen. | |
„Peng, Peng!“, macht sie und schnippt ihn um. Er ist aus Lego. Ihr Papa | |
kommt ins Zimmer. Lea zieht einen kleinen gelben Handwerker aus dem | |
Spielzeughaufen, hält ihm ihren Vater vors Gesicht. „Ich will sein wie du.“ | |
Ihr Vater lächelt gequält, murmelt. „Nee Kleine, das willst du nicht.“ | |
26 Jan 2018 | |
## AUTOREN | |
Andreas Holzapfel | |
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