| # taz.de -- Die Geschichte der Silke B.: Zur Reichsbürgerin gestempelt | |
| > Silke B. besuchte als Beobachterin einen Prozess, der aus dem Ruder lief. | |
| > Dann wurde sie als Reichsbürgerin kategorisiert und angeklagt. | |
| Bild: Mit Reichsbürgern und ihren Flaggen will Silke B. nichts zu tun haben | |
| HAMBURG taz | Silke B. ist wütend. Als sei es nicht genug, dass sie sich | |
| wegen des Vorwurfs des Hausfriedensbruchs vor Gericht verantworten muss. | |
| Viel schlimmer ist: Die politisch links eingestellte 51-Jährige muss es | |
| über sich ergehen lassen, dass sie in den Gerichtsakten und beim | |
| Staatsschutz als Rechtsextreme, als Reichsbürgerin geführt wird. | |
| Diese Einordnung ist seit über zwei Jahren aktenkundig: Am 2. Februar 2016 | |
| nahm Silke B. in genau dem Gerichtssaal des Amtsgerichts Hamburg-St. Georg, | |
| in dem Mitte dieser Woche nun gegen sie selbst verhandelt wurde, als | |
| Zuschauerin an einem Strafverfahren gegen die erwerbslose und | |
| schwerbehinderte Christine K. teil. | |
| Die Frau, der von der Staatsanwaltschaft vorgeworfen wird, einen | |
| Mitarbeiter des Jobcenters beleidigt zu haben, hatte im Internet um eine | |
| solidarische Beobachtung ihres Prozesses gebeten; rund 20 ZuschauerInnen, | |
| darunter Silke B., waren dem Aufruf gefolgt. Die meisten von ihnen gehören | |
| der linken, Hartz-IV-kritischen Szene an. | |
| Aber es sind auch drei Personen vor Ort, die aus dem Rahmen fallen, die die | |
| beginnende Verhandlung massiv durch eigene Vorträge stören, die Richterin | |
| und Staatsanwältin bedrängen, sich erst einmal auszuweisen. Es kommt zu | |
| tumultartigen Szenen, der Angeklagten ist der Auftritt der drei | |
| ZuhörerInnen sichtbar unangenehm, mehrere andere ProzessbeobachterInnen | |
| fordern die drei nach übereinstimmenden Aussagen mehrfach erfolglos auf, | |
| Ruhe zu geben. | |
| Schließlich alarmieren die Richterin und die Staatsanwältin Tanja M. die | |
| Polizei, die nach wenigen Minuten auftaucht. Silke B. glaubt nun, die | |
| angerückten Ordnungskräfte sollen nur die drei StörerInnen entfernen, sie | |
| weigert sich, den Raum zu verlassen, da die Angeklagte doch ausdrücklich | |
| Öffentlichkeit wünscht. | |
| Schließlich tragen sie zwei Polizisten aus dem Saal und nehmen ihre | |
| Personalien auf. Die Quittung: Auf Betreiben der Staatsanwältin erhalten | |
| zehn der ZuschauerInnen, darunter Silke B., einen Strafbefehl wegen | |
| Hausfriedensbruchs. Da B. Widerspruch einlegt, kommt es zum Prozess. | |
| Doch damit nicht genug: In einem Vermerk über den Sitzungsverlauf schreibt | |
| die Staatsanwältin, bei den ZuhörerInnen habe es sich „durchweg um | |
| Angehörige der Reichsbürgerbewegung“ gehandelt, packt die | |
| ProzessbeobachterInnen damit ausnahmslos in die rechtsextreme Ecke. | |
| Eine Zuweisung, die Silke B., so macht sie in dem gegen sie gerichteten | |
| Verfahren deutlich, als „schwer kränkend“ und als „Rufmord“ empfindet, | |
| zudem auch als „Kriminalisierung des Protests“. Die Überzeugungen der | |
| Reichsbürger „verabscheue und bekämpfe ich“, sagt die 51-Jährige. | |
| ## Beim Staatsschutz aktenkundigt | |
| Das aber hilft ihr nicht. Der Vermerk der Staatsanwältin führt dazu, dass | |
| die Akte mit den namentlich erfassten ProzessbeobachterInnen in der | |
| Abteilung sieben des Hamburger Landeskriminalamtes landet – dem | |
| Staatsschutz. Dass sie dort nun als mutmaßliche Reichsbürgerin geführt | |
| wird, ist für Silke B. „schwer zu ertragen“. | |
| Vor Gericht sitzen sich Silke B. und die Staatsanwältin Tanja M., die als | |
| Zeugin in dem Hausfriedensbruch-Verfahren geladen ist, nun gegenüber. M. | |
| verteidigt ihre Einschätzung. „Es war mein Eindruck“, sagt sie, dass die | |
| drei aktiven StörerInnen der Reichsbürgerbewegung angehörten und die | |
| übrigen ProzessbeobachterInnen deren Treiben verbal unterstützt hätten. Sie | |
| habe die drei deshalb nur als „Wortführer“ der versammelten Anwesenden | |
| empfunden, die Wahrnehmung gehabt, dass alle Zuschauerinnen „derselben | |
| Ideologie angehören“. | |
| Daran, dass mehrere ProzessbeobachterInnen die drei „Wortführerinnen“ | |
| aufgefordert hätten aufzuhören, kann M. sich nicht erinnern, ausschließen | |
| mag sie es aber nicht. Natürlich könne sie nicht bei jeder und jedem | |
| Anwesenden mit Sicherheit sagen, dass sie Reichsbürger seien, trotzdem | |
| würde sie ihren Vermerk mit dem pauschalisierenden „durchweg um … “ wied… | |
| genauso formulieren. Dass sich der Staatsschutz aufgrund ihres Vermerks mit | |
| den Prozessbeobachterinnen beschäftige, habe sie nicht zu verantworten – es | |
| gibt keine Entschuldigung. | |
| ## Löschung aller Daten | |
| Längst hat Christine Siegrot, die Anwältin von Silke B., geprüft, ob der | |
| Staatsanwältin mit Straftatbeständen wie „Verleumdung“ oder „übler | |
| Nachrede“ beizukommen ist, doch das setzt Vorsatz voraus. Den ihrer | |
| Mandantin zur Last gelegten Hausfriedensbruch mag sie nicht erkennen, da es | |
| rechtswidrig gewesen sei, aufgrund einzelner StörerInnen die gesamte | |
| Öffentlichkeit und damit auch Silke B. vom Verfahren auszuschließen. | |
| Der passive Widerstand gegen die Durchsetzung rechtswidriger Anordnungen | |
| aber könne nicht strafbar sein. Ob auch die Vorsitzende Amtsrichterin, | |
| Kristina H., die bereits eine Verfahrenseinstellung angeregt hat, dieser | |
| Auffassung zuneigt, wird sich voraussichtlich am 17. April zeigen, wenn das | |
| Verfahren fortgesetzt und möglicherweise auch ein Urteil gesprochen wird. | |
| Zudem will die Anwältin die Löschung aller Daten erwirken, die ihre | |
| Mandantin Silke B. als mögliche Reichsbürgerin brandmarken. | |
| 5 Apr 2018 | |
| ## AUTOREN | |
| Marco Carini | |
| ## TAGS | |
| Reichsbürger | |
| Staatsanwalt | |
| Reichsbürger | |
| Reichsbürger | |
| Anthroposophie | |
| taz-Serie: Die Reichsbürger | |
| Reichsbürger | |
| ## ARTIKEL ZUM THEMA | |
| Verkehrsministerium entlässt Beamten: „Reichsbürger“ suspendiert | |
| Die FDP wollte wissen, wie viele „Reichsbürger“ im Staatsdienst sind. Eine | |
| genaue Antwort blieb aus. Heraus kam: Das Verkehrsministerium hat einen | |
| gefeuert. | |
| Gegen mutmaßliche Reichsbürger: Großrazzia in drei Bundesländern | |
| Mutmaßliche Reichsbürger sollen die Tötung von Menschen „in Betracht | |
| gezogen haben“. Spezialkräfte durchsuchten die Wohnungen von acht | |
| Verdächtigen. | |
| Rechtsdrehend an der Waldorfschule: Das autoritäre Erbe | |
| Die Rendsburger Waldorfschule hatte einen Geschäftsführer, der den | |
| Reichsbürgern nahe stand. Ein Einzelfall – oder strukturell bedingt? | |
| Infoveranstaltung mit Verfassungsschutz: Wie Reichsbürger ticken | |
| Der Bremer Verfassungsschutz-Chef und eine Psychologin informierten über | |
| die „Reichsbürger“. Auch deren Anhänger diskutierten mit. | |
| Ein Reichsbürger und seine Tochter: Vaters Irrsinn, Leas Leiden | |
| Leas Vater ist ein Reichsbürger, für den die Bundesrepublik Deutschland | |
| nicht existiert. Das hat Folgen für den Alltag seiner Tochter. |