# taz.de -- Ein Konzertbesuch bei Aretha Franklin: Die Queen kommt nicht zu dir | |
> Aretha Franklin fliegt nicht, deshalb performt sie auch nie in Europa. | |
> Also besuchen wir die Königin des Soul im Caesar’s Palace von Windsor! | |
Bild: Aretha Franklin performt bei der Einführungszeremonie von Obama im Capit… | |
Noch kein Ton ist erklungen, da hat sich die Reise schon gelohnt. Neunzehn | |
Minuten nach 21 Uhr kommt sie aus den Kulissen, schleppt zu energischen | |
Schritten einen wirklich sehr langen Pelz hinter sich her, als sei das | |
Stück ein Wischmopp: Aretha Franklin. 73 Jahre, ein Monument nicht nur der | |
amerikanischen Popgeschichte, ein lebendes Denkmal aus einer Zeit, als | |
dunkelhäutige Bürger und Bürgerinnen in Omnibussen hinten, von Weißen | |
separiert, sitzen mussten, eine Königin des Soul, eine Freundin der Obamas | |
nebenbei und Heldin der Bürgerrechtsbewegung seit den frühen sechziger | |
Jahren. | |
5.000 Zuschauer geben viel Applaus – und dann lässt Ms Franklin ihr | |
Kleidungsstück hinter sich mit der nachlässigsten Geste, die sich überhaupt | |
nur denken lässt, fallen. Einfach so. Kein Garderobier nimmt das | |
wahrscheinlich ziemlich teure Teil entgegen. Offenbar ist es nicht zugig | |
auf der Bühne. Neulich, am 6. Dezember, als sie zur Ehrung von Carole King | |
im Kennedy Center von Washington deren „(You Make Me Feel) Like a Natural | |
Woman“ darbot, trug sie auch schon Pelz – um einem Reporter hernach zu | |
sagen, ach, da möge man sich nichts denken, aber es ziehe einfach oft auf | |
Bühnen … Kaum hatte sie dieses in Tierschützerkreisen verpönte | |
Kleidungsstück hinter sich gelassen, hüpfte sie ein paar Schrittchen zur | |
Mitte, um zwei ziemlich beeindruckende Stunden zu performen. | |
Und das in Windsor – einer definitiv unansehnlichen 300.000-Einwohner-Hölle | |
am Detroit River am allerletzten Zipfel von Kanada. Im Caesar’s Palace, wie | |
in Atlantic City und Las Vegas ein Mekka von Daddelautomaten, | |
Roulettetischen und Black-Jack-Runden. Nimmt man Windsors Schnapsfabriken | |
noch hinzu, darf man sagen: eine Stadt, die von dem lebt, was auf der | |
anderen Seite des Flusses verboten ist. Aretha Franklin kam die Offerte, | |
dort einen Abend zu bestreiten, gewiss recht, denn sie fliegt nicht, bewegt | |
sich am liebsten gar nicht aus ihrem Haus in Detroit auf der anderen Seite | |
des Flusses. Für dieses eine ihrer seltenen Konzerte brauchte sie also nur | |
mit einer 20-Meter-Stretchlimousine geschätzt fünf Kilometer zu einem | |
schönen Abend zu fahren. | |
Insofern: Nach Europa kommt sie nie. Flugangst. Alles, was unter ihr höher | |
als sechs Meter freien Fall androht, meidet sie. Und sie muss ja auch | |
nicht. Nach Washington, wie 2009 zur Inaugurationsfeier Barack Obamas, | |
lässt sie sich fahren. Auch nach North Carolina, nach Florida – aber | |
Windsor, das ist die Gelegenheit zum Nachbarschaftsbesuch. Ihr Orchester – | |
oh, ja, 20 Leute machen ihre Combo aus, nichts an Tönen aus dem Computer. | |
„Aretha, Aretha“, rufen beim ersten Lied einige Zuschauer beglückt. | |
Und sie winkt sehr gut aufgelegt, freut sich, und man glaubt aus nächster | |
Nähe ihrer guten Laune: In dunklem, bis zum Knie geschlitzten Kleid | |
bestreitet sie die erste Hälfte des Programm, zunächst, es ist ja der Abend | |
vor dem Valentinstag, eine ausgesprochen beeindruckende Fassung von „My | |
Funny Valentine“, dann auch Hits wie „Chain of Fools“, „Respekt“, Hym… | |
US-amerikanischen Bürgerrechtsbewegung der sechziger Jahre, später auch | |
„There’s No Business Like Showbusiness“. | |
Es ist ja nicht so, dass Europäer wie wir, angereist aus Berlin und | |
Hamburg, nicht zermürbt wären vom schlimmen CO2-Fußabdruck, den man | |
hinterlässt, um die musikalisch in jeder Hinsicht genialische Ms Franklin | |
einmal live zu erleben. Aber andere haben auch Mühen auf sich genommen. | |
Etwa die beiden Frauen neben uns, die in letzter Minute ihre Plätze | |
einnahmen, weil zwischen Toronto, wo sie leben, und Windsor ein Blizzard | |
den Autoverkehr fast zum Erliegen brachte. Aber Deborah Sinclair sagte uns | |
nur: „Wir, meine Freundin und ich, hatten keine Wahl. Weiß man denn, dass | |
es vielleicht nicht ihr letztes Konzert sein würde?“ Aretha Franklin, in | |
der Tat, war in den letzten Jahren öfter ziemlich krank. Bald 74 Jahre – | |
ein Alter, das nicht auf Ewigkeit hindeutet. | |
## Extrem teenagerhaft | |
Aber jetzt, auf der Bühne, tollt sie sich fast wie ein Teenager. Hoppelt | |
manchmal hin und her, rafft, vor allem im zweiten Teil, als sie in einem | |
Gebirge aus Tüll erscheint, die Textilien, um nicht über die Stoffbahnen zu | |
stolpern. Lässt sich die, schätzungsweise, Vier-Zentimenter-Pumps, | |
ausziehen, um den Rest des Abends barfuß zu performen. Neben sich, man weiß | |
ja nie, ob die Garderobe wirklich gut bewacht ist, ihre Handtaschen, eine | |
pinke und eine babyblaue, beide im Kastenformat. | |
Das alles hat so etwas extrem Teenagerhaftes, dass es ein Glück auch zum | |
Angucken ist. Ihre Haare leicht omahaft wellig, nicht in Gel gebacken wie | |
neulich vor ihrem Präsidenten und seiner Frau – Arethas Franklin zeigt sich | |
sozusagen so, wie sie zu sein scheint. Eine Musikerin, der ein absolutes | |
Gehör attestiert wird, die Klavier spielen kann und die Tasten mit ihren | |
Händen behämmert. Ihr Gesicht ist in fast jeder Sekunde auf zwei | |
riesenhaften Screens zu sehen – eine alte Frau eben, die durch ihre Kunst, | |
mit jeder Falte, mit jeder Geste, frisch und erfrischend wirkt. | |
Es ging ja immer um ihre Personality. Um ihre Art des Singens. Die | |
allermeisten ihrer Lieder, die sie eingespielt hat, sind nicht von ihr im | |
Original hervorgebracht worden. Denn gewisse Besuche dürfen keinen Aufschub | |
dulden. „(You Make Me Feel) Like a Natural Woman“, „Respect“, „A Chan… | |
Gonna Come“ oder „Oh No, Not My Baby” – das haben andere vor ihr gesung… | |
sie war die Coverkönigin, aber nennte man sie so, wäre das ein abstruses | |
Missverständnis. | |
Ms Franklin hat auch Frank Sinatras „My Way“ gesungen, aber wie bei allen | |
anderen Songs war ihr Verfahren, Cover zu singen, immer das gleiche: Sie | |
hat durchweg alles an Vorgängertum hinter sich gelassen, den Stoff | |
sozusagen auf das Schnellste kompostiert und aus dem Humus ihr eigenes Werk | |
geschaffen. „Let It Be“ zählt auch hierzu, ebenso „Bridge Over Troubled | |
Water“ – in ihren Versionen bekamen die Lieder würdigen Ingrimm und | |
unabgefuckten Zauber. „My Way“ hat durch sie nicht mehr diese gerontoide | |
Weinerlichkeit, diese Sentimentalität in eigener Sache: Aretha Franklin hat | |
auf den Trümmern, die sie selbst aus dem Lied machte, ein zorniges | |
Bekenntnis gestrickt: Hier bin ich, das war ich, und ich wollte nicht | |
anders. | |
So gibt sie, für US-Entertainment eher ungewöhnlich, gar zwei Zugaben. | |
Lässt sich erweichen, noch ein Lied zu singen, streckt ihre in der Tat sehr | |
wuchtigen, faltigen Arme nach oben, animiert das Publikum zum Mitgrooven. | |
Sitzt wieder am Klavier und schwenkt das Mikro mit huldvoller Armbewegung | |
zum verzückten Publikum: In ihrem Blick könnte man so etwas mit Lust an der | |
Vorstellung lesen, da kältelt keine Diva, da macht sich eine Laune, weil | |
ihr gerade danach ist. Und verschwindet schließlich ganz. | |
## Auf der Höhe ihrer Jahre | |
Sie kaschiert nichts, sie hat, so bekannte sie in einem Interview einmal, | |
von Gott eine Musikalität geschenkt bekommen, die sie gern zeigt – sofern | |
sie, wie erwähnt, hierfür nicht in ein Flugzeug steigen muss. Nur | |
Toningenieure könnten hören, dass ihre Vokalisen einen Hauch an Kraft | |
eingebüßt haben, etwa im Vergleich mit den Siebzigern. An diesem Abend, in | |
Windsor, diesem Palast für Spielsüchtige, ist sie auf der Höhe all ihrer | |
Jahre. Scheu winkt sie ein letztes Mal, guckt fast leutselig in die Arena – | |
und geht. | |
Das Orchester spielt noch eine Weile, ein Bühnenmitarbeiter holt ihre | |
Handtaschen und ihre Schuhe von der Bühne, Licht an. Und dann? Aus dem | |
Hotelfenster gestarrt mit Gin-Tonic. Auf Detroit. Waren wir wirklich da, | |
bei der Königin? Aber ja! Denn da sehen wir, aus dem 16. Stock des | |
Caesar’s, die Stretchlimousine der Queen nach Hause fahren! | |
Morgen erst geht es weiter, mit dem Zug nach Toronto, dort minus 25 Grad, | |
zum Valentine’s Day, dann mit dem Flieger nach Berlin über Zürich, trotz | |
eigener Flugangst, am Ende nach Bus, U-Bahn und Zug nach Neukölln und | |
Harverstehude? Was hatten wir Deborah und ihrer Freundin geantwortet, die | |
drei Mal etwas bang fragten: „Was it worth to come over the ocean?“ – „… | |
yes, indeed.“ Many hugs! Denn gewisse Besuche dürfen keinen Aufschub | |
dulden. | |
17 Feb 2016 | |
## AUTOREN | |
Jan Feddersen | |
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