# taz.de -- Neues Album von Adele: Die Immanenz einer Karaokemaschine | |
> Mit „25“ perfektioniert Adele ihren Retrosoul abermals und liefert so | |
> perfektes Remix-Material. Es ist ein Album ohne Ausreißer nach oben oder | |
> unten. | |
Bild: So viel Soul, so viel Stimme, aber trotzdem eine von uns. | |
Wer diese Woche online war, kennt Adele. Für die BBC hat sie sich unter ein | |
Casting [1][von Adele-Imitatoren gemischt], in der US-Talkshow von Jimmy | |
Fallon hat sie ihren Hit „Hello“ [2][mit Spielzeuginstrumenten | |
nachgespielt], und um ihre Welttournee anzukündigen, ist sie in ein | |
Harry-Potter-Kostüm geschlüpft. Der Grund für das alles ist Adeles neues | |
Album „25“ (vor kurzem erschienen bei XL/Beggars/Indigo). Drei Millionen | |
Exemplare davon hat sie allein vergangene Woche in den USA verkauft, | |
800.000 Einheiten in Großbritannien – beide Male ist es das | |
schnellstverkaufte Album aller Zeiten. Adele ist der Superstar der zehner | |
Jahre. | |
In ihren Songs singt die 27-jährige Adele von ewigen Werten: Liebe, | |
Freundschaft und alles dazwischen. Der große Gefühlsausbruch folgt | |
zielsicher im Refrain, der niemals länger als anderthalb Minuten auf sich | |
warten lässt. So wie auf „Hello“, ihrer aktuellen Single. Adeles Songs sind | |
eine Variation des klassischen Popsongs, wie er in den Sechzigern von | |
Motown Records in Detroit perfektioniert wurde. | |
Vermarktet wird all dies auf der Höhe des Informationskapitalismus. Adele | |
hat verstanden, dass auch der beste Song nichts wert ist, wenn er nicht | |
auch als Meme zirkulieren kann. Im Video zu „Hello“ sieht man Adele in | |
Sepia und mit Handy zwischen Landschaftsshots und einem Ex-Lover. | |
„Hello“ ist perfektes Remix-Material, egal ob das Ergebnis albern oder | |
herzzerreißend ausfällt: Ein Remixvideo vertont damit die unglückliche | |
Liebe zwischen Kermit und Miss Piggy, in einem anderen Video sieht man zwei | |
einstmals verliebte lesbische Best-Ager, die sich nach Jahren wiedersehen. | |
„Hello“ wird bereits in Ghana gecovert, es gibt Trap-Remixe und eine | |
Version von Gangsta-Rapper Rick Ross. „Tears flow from here to the South of | |
France / Poverty line hanging lower than my pants“, rappt er dort und | |
kritisiert damit unfreiwillig materialistisch die Herzschmerz-Lyrik von | |
Adele. | |
Trotz alledem ist „25“ ein wasserdichtes Hit-Album. Die Hälfte der Songs | |
besteht aus Pianoballaden mit präzise kalkulierten Gefühlsausbrüchen. Der | |
Retro-Soul-Sound des Vorgängers „21“ ist etwas in den Hintergrund gerückt, | |
an seine Stelle tritt die Konfektionsware der internationalen Pop-Elite. | |
Der schwedische Songwriter Max Martin hat Adele für „Send my Love (To your | |
lover)“ einen leicht hicksenden Refrain geschrieben, mit dem er auch schon | |
Taylor Swift weltweit in die Charts brachte. Kein Wunder, dass auch Adele | |
auf diesem Song einen Ex-Freund etwas ruppiger verabschiedet. | |
Auch auf „25“ thematisiert Adele ständig Liebeskummer – dabei ist die | |
Britin seit einigen Jahren mit einem philanthropischen Ex-Investmentbanker | |
liiert, mit dem sie auch ein Kind hat. Auf „River Lea“ wird ein Fluss im | |
Nordosten von London zur Metapher für Adeles Starrköpfigkeit. US-Produzent | |
Danger Mouse hat dafür ihre Stimme zu einem Gospelchor gesampelt – viele | |
Adeles singen ein Hohelied auf ihre Herkunft aus dem Arbeiterstadtteil | |
Tottenham. | |
Spätestens hier fällt auf, was Adele von großen Soul-Sängerinnen | |
unterscheidet. Künstlerinnen wie Aretha Franklin haben im Gospelchor das | |
Singen gelernt. Adeles Stimme klingt zwar auch gewaltig und mühelos, aber | |
sie agiert mit ihr oft statisch. Es gibt keine Ausreißer nach oben oder | |
unten, keine Improvisationen über den Begleitakkorden. Adeles Gesang | |
entspringt nicht den Transzendenz-Fabriken des Gospelchors und der | |
afroamerikanischen Soulmusik, sondern der Immanenz der Karaoke-Maschine im | |
nächsten Pub. Ihr Liebeskummer ist zum Mitfühlen, nicht zum Einfühlen. | |
Das ist das Geheimnis ihres Erfolgs. Ihre Stimme mag etwas kräftiger sein, | |
aber dennoch ist Adele eine von uns. Sie geht mit dem Sohn in den Zoo, hat | |
keine Modelmaße, und ihren ruppigen Nordlondoner Akzent hat sie auch nicht | |
abgelegt. Sie ist ein Popstar, über den man letztlich nichts wissen muss – | |
ihr Leben ist genauso banal wie das ihrer Fans. Aber gerade weil Adele eine | |
von uns ist, wollen viele wie Adele sein. Wenn Pop ein uneingelöstes | |
Versprechen auf etwas Besseres ist, dann ist Adeles Album „25“ ein | |
ungemachtes. | |
2 Dec 2015 | |
## LINKS | |
[1] http://www.sueddeutsche.de/kultur/bbc-scherz-adele-ueberrascht-doppelgaenge… | |
[2] https://www.youtube.com/watch?v=-yL7VP4-kP4 | |
## AUTOREN | |
Christian Werthschulte | |
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