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# taz.de -- Soul-Trio Thee Marloes aus Indonesien: Telefonnummer auf der Tanzfl…
> Das indonesische Trio Thee Marloes spielt Soulmusik, die an die 60er
> Jahre erinnert. Doch ihr neues Album ist viel mehr als nur Retro-Nerdtum.
Bild: Soulmusik aus Indonesien: Thee Marloes
Indonesien, der Inselstaat in Südostasien, ist riesig, aber unsichtbar auf
der Poplandkarte. Auch das indonesische Trio Thee Marloes und sein Album
„Perak“ wird aus deutscher Perspektive daran nichts ändern. Es erfüllt
nicht die entsprechenden Erwartungen: Keine elektronischen Beats zu
traditionellen Klängen. Was die drei Musiker:Innen umtreibt, ist
vielmehr eine Retro-Sophistication auf globalem Level. Wie sie es tun, wäre
nur an wenigen anderen Orten der Welt vorstellbar. Was genau tun sie
eigentlich?
Wir hören einen Sound der 1960er. Spezifisch, die Leidenschaft von Thee
Marloes ist eine dem Aktuellen abhanden gekommene Form von Soulmusik. Eine
etwas bedrohlich wirkende Pianoimpression eröffnet den Reigen auf „Perak“
und wird alsbald von Bass und Beats in ein warmes, midtempo-groovendes
Klangbild getaucht, derweil eine Flöte die Melodie anstimmt. Keyboarderin
Natassya Sianturi singt von einer unglücklichen Liebesaffäre, die Thema des
gesamten Albums bleiben wird: der enttäuschte Blick zurück, die Verletzung,
die versuchte Befreiung aus dem Gestern.
An keiner Stelle werden Thee Marloes massive Dissonanzen oder exaltierte
Gesten bemühen. [1][Ihre Arrangements und ihre Soundästhetik lernten sie
von der Zeit, in der die Soulmusik, nach ihrem Erfolgen der mittleren
1960er, neue Ideen suchte und an die traumwandlerischen Klangwelten der
aktuellen, psychedelisch-geprägten Popmusik anknüpfte].
Historisch die Zeit, in der Indonesien aus der Popmusik verschwand. In den
frühen 1960ern spielten in Holland indonesisch-stämmige Bands wie die
Tielman Brothers noch eine wilde, zugleich virtuose Form von Rock ’n’ Roll.
Subtile Soulelemente bahnten sich [2][Mitte der 60er in den Garage-Rock]
der Girlband Dara Puspita, wie auch Thee Marloes aus Surabaya stammend.
Von den drei Schwestern, die das niederländische Trio Hearts of Soul
bildeten, war die Älteste noch in Indonesien geboren, ihr
schwelgerisch-orchestraler Soul führt dann in die Sehnsuchtszeit der drei
Revivalisten von heute.
Ein Albencover als wäre es 1969
Wie Thee Marloes auf dem adäquat designten Cover posen, könnte ihr Album
auch zwischen 1969 und 1971 entstanden sein. Congas, Vibrafon, Posaune,
Trompete und ein Glockenspiel begleiten die Songs, aber überfüllen sie nie.
Der drumbreak-gesättigte frühe Funk von „Midnight Hotline“ führt mit
glitzernden Bläsersätzen auf die Tanzfläche. Sie gibt ihm dort ihre
Telefonnummer, wird er sie zurückrufen? Warum fragt man sich das?
Als in den 1990ern im Zuge der „Downbeat“ genannten Ingewahrsamnahme von
elektronischer Musik, auch Elemente des psychedelischen Soul
wiederaufgegriffen wurden, klang das bei Zero 7 zum Lifestyle oft
gefriergetrocknet.
Im vergangenen Jahrzehnt nahmen Künstler wie Silk Rhodes, Khruangbin und
Tim Maia die alten Klänge, um Nachbildungen in klassizistischer Präzision
zu gestalten. Besonders „echt“ wollen sie wirken, es ist nerdige Angeberei
und ein Jammer. Niemand würde auf die Idee kommen, nach dem Schicksal der
Figuren ihrer Songtexte zu fragen.
Auch Thee Marloes bleiben nicht beim Sound der frühen Earth, Wind and Fire
und von Undisputed Truth verhaftet und finden ebenfalls in den Stilen
Unbekannterer, etwa dem Gitarrenspiel Shuggie Otis’, ihre Vorbilder. Ebenso
sind sie geprägt vom Soul des jungen Ben E. King.
Doch wie man auch die Referenzliste bemüht, man kommt ihnen nicht so recht
bei. Bei „Nona“, dem vorletzten Song mit indonesischem Text, singt Sianturi
ungefähr: „Du kratzt Montmartre auf die Leinwand / Singst ‚Sweetest Taboo�…
/ Klingt düster“. Erinnern sie sich an die Telefonnummer auf der
Tanzfläche? Er hat sie also zurückgerufen und nun lebt sie eine so
verführerische, wie triste Bohème-Idee. Oder ist es längst vorbei? Wenn sie
singt, sich an sein Licht zu erinnern, scheint die Tragödie durch die
Sprache hindurch.
Mehr als nur Retro-Nerds
Just wo der Text den Hit von Sade nennt, wird das Einzigartige der Musik
offenbar: Sades Melancholie, eine Stimmung der 1980er, bewegt diese. Kein
Retro-Nerd nirgends wäre darauf gekommen, es klingt auch nicht benennbar an
und ist doch gegenwärtig. [3][Das Abweichen vom Pfad, die offenbarte Seele,
die keiner Form bedarf, sie macht diese Musik so reich]. Vielleicht hätte
Françoise Sagan Soul ähnlich wie Thee Marloes beschrieben: „The music is
over / Morning comes faster / It’s time to leave – breakaway“.
Musik aus Träumen über verlorene Träume. Ihre Schönheit lässt einen nicht
los.
Thee Marloes: „Perak“ (Big Crown Records/Cargo)
13 Sep 2024
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## AUTOREN
Oliver Tepel
## TAGS
Soul
Indonesien
Retro
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