# taz.de -- Ein Jahr Flutkatastrophe im Ahrtal: Schutz in der Klimakrise | |
> Eine Pflichtversicherung gegen Überschwemmung könnte verhindern, dass | |
> nach Flutkatastrophen wie an der Ahr Opfer vor dem finanziellen Nichts | |
> stehen. | |
Bild: Im Juli 2021 tritt die Ahr über seine Ufer und überschwemmte ganze Orts… | |
Noch immer ist die [1][Lage im Ahrtal] und anderen Gebieten, in denen die | |
Flutkatastrophe vor einem Jahr gewütet hat, dramatisch. Menschen leben in | |
provisorischen Behausungen, Wege sind nicht passierbar, die Schneise der | |
Zerstörung ist weiterhin sichtbar. Menschen, die versichert waren, haben | |
immerhin die Hoffnung, die materiellen Schäden früher oder später ersetzt | |
zu bekommen. Die vielen anderen müssen schauen, wer ihnen hilft. Auch wenn | |
es anders versprochen wurde, läuft die staatliche Hilfe schleppend. | |
Wenigsten das sollte nicht noch einmal geschehen: dass Menschen nach so | |
einer Katastrophe ohne einen Anspruch auf Entschädigung vor dem Nichts | |
stehen und zu den schlimmen seelischen Belastungen ein finanzielles Fiasko | |
kommt. Mit einer [2][Pflichtversicherung wäre das möglich]. Vorbeugung ist | |
wichtig. Klimaforscher:innen warnen davor, dass sich so ein Desaster | |
wie in der Nacht vom 14. auf den 15. Juli wiederholen könnte. | |
Die Flutkatastrophe hat mehr als 180 Menschen das Leben gekostet und einen | |
materiellen Schaden von schätzungsweise 33 Milliarden Euro angerichtet. Nur | |
ein Teil war davon versichert. Die Versicherer haben bislang rund 5 | |
Milliarden Euro gezahlt. Ein Viertel der gemeldeten 213.000 | |
Versicherungsfälle ist noch offen, immense weitere 3,5 Milliarden Euro | |
warten auf Auszahlung. | |
Diese Verzögerung liegt am Handwerker- und Materialmangel, sagen die | |
Versicherer. Denn sie zahlen oft die Rechnungen für den Wiederaufbau und | |
überweisen den Opfern nicht einfach die komplette Versicherungssumme – was | |
immerhin den Vorteil hat, dass die Unternehmen das Inflationsrisiko tragen. | |
## Nachfrage geht zurück | |
Viele, die versichert gewesen sind, sitzen also noch auf ihren Schäden. Und | |
etliche von ihnen werden hart mit ihrem Versicherer ringen, denn die | |
Gesellschaften haben nichts zu verschenken. Trotzdem geht es ihnen besser | |
als jenen, die nicht versichert waren. Im Katastrophengebiet hatte nicht | |
einmal jede:r zweite Wohnungseigentümer:in Versicherungsschutz. Die | |
Unternehmen zahlen nur, wenn Kund:innen einen sogenannten | |
Elementar-Zusatzschutz für die Wohngebäude- und Hausratpolice abgeschlossen | |
haben. Nur dann bekommen Kund:innen den Schaden an Haus oder Hausrat | |
ersetzt, der durch Überflutung, Starkregen, Schneedruck oder Erdbeben | |
entsteht. | |
Versicherungen werden nie gegen alle Gefahren abgeschlossen, sondern nur | |
gegen die, die im Vertrag ausdrücklich aufgeführt sind. In Zeiten der | |
Klimakrise können überall Starkregen und Überflutungen auftreten – das | |
bedeutet, dass jede:r Hausbesitzer:in und Haushalt so einen Schutz | |
braucht. | |
Das ist nicht jedem klar – und wer in möglichen Überflutungsgebieten lebt, | |
muss für den Zusatz sehr viel zahlen oder findet keinen Versicherer. In | |
Deutschland hat gerade einmal die Hälfte der Hausbesitzer einen | |
Elementarschutz. In Rheinland-Pfalz, wo das Ahrtal liegt, sind es 42 | |
Prozent. Nach der Flutkatastrophe ist bundesweit die Nachfrage nach dem | |
Zusatz gestiegen. Zwischen Oktober und Dezember 2021 haben rund 400.000 | |
Kund:innen den Elementarschutz abgeschlossen, vor der Katastrophe waren | |
es rund 100.000 im Quartal. Doch nach und nach geht die Nachfrage wieder | |
zurück. | |
Verbraucherschützer fordern seit Langem eine | |
Elementarschutz-Pflichtversicherung, mehrere Bundesländer unterstützen das. | |
In Baden-Württemberg gab es bis 1994 so ein Obligatorium, es ist mit der | |
Liberalisierung des Versicherungsmarktes verschwunden. Bis heute haben dort | |
noch 94 Prozent der Gebäude einen Elementarschutz. | |
## Folgen der Klimakrise | |
Zuletzt haben die Justizminister:innen der Länder Anfang Juni über | |
eine Pflichtversicherung diskutiert und dem Bund immerhin einen Prüfauftrag | |
erteilt. Jetzt liegt der Ball bei Justizminister Marco Buschmann (FDP). Was | |
ihn davon abhalten könnte, das Vorhaben zu forcieren: Die Unternehmen | |
lehnen einen obligatorischen Schutz ab. „Eine Pflichtversicherung allein | |
verhindert keinen Schaden. | |
Wenn wir Prävention und Klimafolgenanpassung vernachlässigen, wird der | |
Klimawandel eine Spirale aus steigenden Schäden und steigenden Prämien in | |
Gang setzen“, sagt Jörg Asmussen, Hauptgeschäftsführer Gesamtverband der | |
Deutschen Versicherungswirtschaft. | |
Würde jemand, der eine Überflutung verhindern kann, darauf verzichten, weil | |
er oder sie versichert ist? Wohl kaum. Und wie sollen | |
Hausbesitzer:innen sich davor schützen, dass das Wasser bis in den | |
ersten Stock steigt? Was allerdings richtig ist: Schutzmaßnahmen vor den | |
Folgen der Klimakrise kommen viel zu langsam voran. Vielen Opfern der | |
Flutkatastrophe vor einem Jahr war nicht klar, dass sie in einem | |
Risikogebiet leben. | |
Auch heute machen sich viele Menschen nicht bewusst, dass extreme | |
Wetterereignisse ein existenzielles Problem für jede:n werden können. | |
Jederzeit. Auch deshalb sind nicht nur individuelle Lösungen für den Umgang | |
mit den Folgen gefragt, sondern auch und gerade politische. | |
7 Jul 2022 | |
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## AUTOREN | |
Anja Krüger | |
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