# taz.de -- Ehe für alle in Slowenien: Der lange, quälende Weg zum Recht | |
> Fast wäre Slowenien bei der Ehe für alle schneller gewesen als | |
> Deutschland. Dank des Verfassungsgerichts sind sie immerhin erstes Land | |
> in „Osteuropa“. | |
Bild: Nun auch in Slowenien legal: Frau heiratet Frau | |
BERLIN taz | „Es ist ein bisschen so, als ob man im eigenen Land nach Hause | |
kommt“ sagt [1][Suzana Tratnik] am Telefon in Ljubljana. Sie freut sich, | |
dass Slowenien die Ehe für alle beschlossen hat, und das mit einer | |
deutlichen Mehrheit: 48 Stimmen für eine Gesetzesänderung – 29 stimmten | |
dagegen, es gab eine Enthaltung am vergangenen Dienstag. | |
„Das ist auch ein Gefühl von Sicherheit – nun muss ich mir und anderen | |
nicht mehr beweisen, dass ich die gleichen Rechte wie alle habe“. | |
Gleichzeitig steht die lesbische Schriftstellerin und LGBTI-Aktivistin noch | |
„unter Schock“, wie sie sagt, „man kann es ja kaum glauben und fragt sich: | |
Was, wenn doch wieder ein Referendum kommt?“ | |
In Slowenien, dem kleinen Land zwischen Alpen und Adria, ist ein Teil stolz | |
darauf, als erstes osteuropäisches, postsozialistisches Land die Ehe für | |
alle ermöglicht zu haben. Doch bis dahin war es ein langer und für die | |
Betroffenen manchmal quälender Weg. | |
So stimmte das Parlament letzte Woche überhaupt nur ab, weil das | |
Verfassungsgericht im Juli festgestellt hatte: Die seit 2016 geltende | |
eingetragene Partnerschaft ist nicht mit dem verfassungsrechtlichen | |
Diskriminierungsverbot vereinbar. | |
## Exkommunistischer Kommunistenfresser Janša | |
Zwei homosexuelle Paare, denen nicht nur die Ehe, sondern auch die Aufnahme | |
auf eine Liste von Adoptionsbewerben verweigert worden war, waren bis vor | |
das Verfassungsgericht gezogen. Die Beschränkungen für homosexuelle Paare | |
wurden mit sofortiger Wirkung aufgehoben: Gleichgeschlechtliche Paare | |
durften fortan heiraten und gemeinsam Kinder adoptieren. Zugleich | |
beauftragten die Richter das Parlament, binnen sechs Monaten die | |
notwendigen gesetzlichen Anpassungen vorzunehmen. | |
Das bislang geltende Gesetz war lediglich ein politischer Kompromiss. Zuvor | |
waren in den Jahren 2012 und 2015 erste Versuche, eine Ehe für alle | |
einzuführen und damit die bereits seit 2006 bestehende, rechtlich eher | |
dürftige Möglichkeit einer Registrierung zu ersetzen, durch Referenden | |
zunichtegemacht worden. Diese Volksabstimmungen hatten konservative Kreise | |
rund um den [2][früheren Ministerpräsident Janez Janša (SDS)] initiiert. | |
Schon dreimal hatte er das Amt inne, im Mai musste er wieder gehen. | |
Janša ist ein Kulturkämpfer und exkommunistischer Kommunistenfresser, der | |
zuletzt versuchte, das Land politisch in Richtung des Visegrád-Büdnisses | |
von Ungarn, Polen, Tschechien und der Slowakei zu verschieben. So kann in | |
Ungarn seit letztem Jahr bestraft werden, wer vor [3][Minderjährigen über | |
Homosexualität] spricht. | |
Der katholische Klerus befeuerte die politische Verschiebung in Slowenien. | |
Es war sogar Papst Franziskus persönlich, der die Slowenen vor dem | |
Referendum des Jahres 2015 aufforderte, für „Familienrechte“ zu kämpfen. | |
Suzana Tratnik ist in den siebziger und achtziger Jahren aufgewachsen, als | |
Slowenien noch eine Teilrepublik Jugoslawiens war. Seitdem ist der Einfluss | |
der Katholischen Kirche größer geworden und für Tratnik ist das immer noch | |
unfassbar: „Sie haben zum Beispiel Bilder von leicht bekleideten | |
CSD-Teilnehmer*innen und der Frage ‚Sollen diese Menschen wirklich Eltern | |
sein dürfen‘ publiziert. Sie haben Unterschriften gegen uns gesammelt, das | |
war ein regelrechtes Lobbying gegen uns. Für mich ist das immer noch | |
seltsam zu sehen, dass diese Leute in politische Talkshows eingeladen | |
werden, was haben sie dort eigentlich zu suchen?“ | |
Aber der Einfluss ist im Vergleich zum Nachbarland Kroatien geringer und | |
die Sicherheitslage in Slowenien für queere Menschen ist besser als dort | |
oder in Serbien, wo die Minderheit immer wieder politisch instrumentalisert | |
wird. | |
Die Europride in Belgrad konnte diesen Sommer nur stattfinden, weil | |
westliche Botschafter den zwischen Russland und [4][„Gayrope“] lavierende | |
Ministerpräsident Aleksandar Vučić stark unter Druck setzten, damit er die | |
Teilnehmenden vor gewaltbereiten Gegendemonstranten schützte. | |
## Hand in Hand durch die Stadt | |
Slowenien war als westlichstes Land des ehemaligen Jugoslawiens schon früh | |
progressiv gegenüber Homosexuellen. Die Hauptstadt Ljubljana beherbergt mit | |
dem [5][„Magnus Filmfestival“] bereits seit 1984 ein queeres Filmfestival �… | |
das erste seiner Art in ganz Europa. | |
In Ljubljana gibt es auch schon lange eine sichtbare Szenestruktur und in | |
jüngster Zeit sieht man auch mehr gleichgeschlechtliche Paare Hand in Hand | |
flanieren – was in Belgrad sicher nicht empfehlenswert wäre. Dort und in | |
anderen ehemaligen Teilrepubliken macht man sich stattdessen darüber | |
lustig, dass die auch als Musterschüler beäugten Slowenen sowieso alle | |
schwul seien. | |
Die Entscheidung des slowenischen Verfassungsgerichts fiel nun zufällig | |
genau in die Zeit, in der die [6][neue slowenische Mitte-links-Regierung] | |
von Robert Golob ihre Geschäfte aufgenommen hat. Sie ist ein weiterer | |
Grund, um auf bessere Zeiten zu hoffen. Auch ein weiteres Referendum ist | |
nicht möglich, da es sich um eine Entscheidung des Verfassungsgerichts | |
handelt. Sorgen muss man sich also derzeit eher um das direkte Nachbarland | |
Italien machen, das bekanntlich „im Westen“ liegt. | |
10 Oct 2022 | |
## LINKS | |
[1] https://suzanatratnik.si/ | |
[2] /Slowenien-nach-Jana/!5864874 | |
[3] /Orbans-neues-Gesetz-gegen-LGBTQI/!5775057 | |
[4] https://en.wikipedia.org/wiki/Gayrope | |
[5] http://www.magnus.si/en/html/exibition_for_10_years_3.html | |
[6] /Slowenien-nach-Jana/!5864874 | |
## AUTOREN | |
Martin Reichert | |
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