| # taz.de -- Drohende Wirtschaftskrise: Kleine Atempause vor Rezession | |
| > Deutsche Wirtschaft ist im 2. Quartal überraschend gewachsen. Doch die | |
| > Aussichten für Herbst sind trüb. Ökonomen fordern weiteres | |
| > Entlastungspaket. | |
| Bild: Der Einzelhandel leidet besonders: Leere Läden nach Geschäftsaufgabe in… | |
| Berlin taz | Krieg in der Ukraine, die Pandemie ist auch nicht ganz | |
| ausgestanden, vor allem aber massiv steigende Energie- und | |
| Lebensmittelpreise verunsichern hierzulande viele Haushalte auch | |
| wirtschaftlich. Auf den ersten Blick ist es daher überraschend, dass die | |
| deutsche Wirtschaft im Frühjahr leicht gewachsen ist. | |
| Das Bruttoinlandsprodukt (BIP) wuchs im zweiten Quartal gegenüber dem | |
| Vorquartal um 0,1 Prozent. In einer ersten Schätzung war das Statistische | |
| Bundesamt in Wiesbaden noch von einer Stagnation der Wirtschaftsleistung | |
| ausgegangen. „Trotz der schwierigen weltwirtschaftlichen Rahmenbedingungen | |
| hat sich die deutsche Wirtschaft in den ersten beiden Quartalen 2022 | |
| behauptet“, sagte Georg Thiel, Präsident der Wiesbadener Behörde. Im ersten | |
| Quartal 2022 war die deutsche Wirtschaft um 0,8 Prozent gewachsen. | |
| Auch die Steuereinnahmen sprudelten. Trotz zusätzlicher Belastungen infolge | |
| des Ukrainekrieges waren die Löcher im Staatshaushalt im ersten Halbjahr | |
| 2022 deutlich kleiner als im Vorjahreszeitraum. Im ersten Halbjahr gab der | |
| Fiskus 13 Milliarden Euro mehr aus als er einnahm, teilte das Statistische | |
| Bundesamt anhand vorläufiger Berechnungen mit. Bezogen auf die gesamte | |
| Wirtschaftsleistung lag das Defizit von Bund, Ländern, Gemeinden und | |
| Sozialversicherung bei 0,7 Prozent. Im ersten Halbjahr 2021 hatte das | |
| Defizit noch bei 4,3 Prozent gelegen. Deutschland hat die strengen | |
| Stabilitätskriterien der Euro-Länder bei der Neuverschuldung also mehr als | |
| eingehalten. | |
| Ein Grund für das leichte Wirtschaftswachstum: Die Öffnung nach den | |
| Coronabeschränkungen habe dazu geführt, dass die Menschen in Deutschland im | |
| Frühjahr wieder mehr ausgegeben haben, etwa für Restaurantbesuche und | |
| Freizeitaktivitäten, analysiert [1][Sebastian Dullien], wissenschaftlicher | |
| Direktor des Instituts für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK). Ein | |
| „noch kräftiger privater Konsum“ habe einen Rückgang des | |
| Bruttoinlandsprodukts verhindert. Die verbesserten Staatsfinanzen würden | |
| auf kräftige Einnahmesteigerungen bei kaum steigenden Staatsausgaben | |
| zurückgehen. Kaufkraftbereinigt seien sie sogar gefallen. Der Anstieg der | |
| Einnahmen wiederum dürfte darauf zurückzuführen sein, dass während der | |
| Coronazeit viele Steuerzahlungen gestundet wurden, die im ersten Halbjahr | |
| 2022 nachgeholt wurden, so der IMK-Ökonom. | |
| ## Schwieriger Herbst | |
| Doch die Aussichten sind trübe: Die Bundesbank erwartet, dass die | |
| Wirtschaftsleistung bereits im Herbst „in etwa auf der Stelle treten“ wird | |
| und es im Winterhalbjahr auch als Folge der Gaskrise zur Rezession kommen | |
| könnte. Diese Einschätzung deckt sich mit dem [2][Stimmungsindex des | |
| Münchner ifo-Instituts]. Ihr Geschäftsklimaindex fiel im August den dritten | |
| Monat in Folge auf 88,5 Zähler. Im Juli lag der Index noch bei 88,7 | |
| Punkten. Das ifo-Institut befragt regelmäßig rund 9.000 Führungskräfte und | |
| fragt sie zu ihrer Geschäftslage und zu den Aussichten. Ifo-Präsident | |
| Clemens Fuest geht davon aus, das die Wirtschaftsleistung noch im dritten | |
| Quartal schrumpfen wird. Der Ausblick auf die kommenden Monate sei | |
| „deutlich pessimistisch“. Besonders schlecht sei die Stimmung im Handel, | |
| teilte das ifo-Institut mit. „Einerseits belasten die hohen Inflationsraten | |
| ihr Geschäft. Andererseits kommen sie um Preiserhöhungen wegen gestiegener | |
| Kosten kaum herum.“ | |
| Diesen pessimistischen Ausblick teilt auch Ökonom Dullien. Die bisherigen | |
| Entlastungsmaßnahmen hätten den Konsum gestützt, reichten allerdings nicht, | |
| um die Belastungen der kommenden Monate durch steigende Gas- und | |
| Strompreise 2023 auszugleichen. Dullien empfiehlt der Bundesregierung, mit | |
| einem neuen Entlastungspaket nachzulegen. | |
| Aus ökonomischer Sicht gebe es durchaus finanzielle Spielräume. Angesichts | |
| der aktuellen Inflationsraten bei einem nur kleinen Staatsdefizit dürfte | |
| dieses Jahr die Staatsschuldenquote (Schulden zum BIP) spürbar fallen, so | |
| Dullien. Vor diesem Hintergrund sollte die Bundesregierung die für dieses | |
| Jahr noch geltende Notfallsituation bei der Schuldenbremse nutzen und zum | |
| Jahresende noch einmal kräftige, kreditfinanzierte Entlastungen für die | |
| Privathaushalte verabschieden, etwa in Form einer neuen Energiepauschale. | |
| Dullien: „Diese muss dann auch jenen Personenkreisen zugute kommen, die | |
| bislang wenig entlastet wurden, etwa Rentnerinnen und Rentnern.“ | |
| 25 Aug 2022 | |
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| [2] https://www.ifo.de/fakten/2022-08-25/ifo-geschaeftsklimaindex-minimal-gesun… | |
| ## AUTOREN | |
| Felix Lee | |
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