# taz.de -- Dopingbuch von Ex-Radprofi Hamilton: Inmitten der Verderbnis | |
> Die Radsportkarriere von Tyler Hamilton ist reich an Lügen. Sein Buch | |
> „The Secret Race“ soll nun als Beichte dienen, denn eines tat er fast | |
> immer: dopen. | |
Bild: Die Lüge war Tyler Hamilton (hier am Hinterrad von Lance Armstrong 2003)… | |
Tyler Hamilton ist in die Radsportgeschichte eingegangen – mit einer der | |
absurdesten Ausreden, die es jemals gegeben hat. Nein, das Dopingzeug war | |
nicht in der Erdbeerbowle der Oma drin und auch nicht in einem | |
Potenzmittel, ein „verschwundener Zwilling“ sei schuld gewesen, behauptete | |
er allen Ernstes. Nach seinem Sieg im Einzelzeitfahren bei den Olympischen | |
Spielen von Athen stellten die Dopinganalytiker fest, dass Hamilton mit | |
Fremdblut gedopt hatte. | |
Der US-Amerikaner bestritt das vehement und führte an, er habe einen | |
Zwilling gehabt, der in einem frühen Stadium der Geburt gestorben sei und | |
dessen Blutzellen vom embryonalen Hamilton resorbiert worden seien. Daher | |
der Fremdblutbefund. | |
Mittlerweile hat Hamilton zugegeben, dass die Zwillingsthese nichts anderes | |
war als eine besonders dreiste Lüge. Eine von vielen in der | |
Radsportkarriere des Tyler Hamilton. Er hat Journalisten belogen, seine | |
Familie, Sponsoren, die Öffentlichkeit. Er hat so lange gelogen, bis er gar | |
nicht mehr gemerkt hat, dass er lügt. | |
Die Lüge war ihm so vertraut wie die Einnahme einer roten | |
Testosteron-Pille. Über die lange Zeit seines Versteckspiels hat Hamilton | |
nun ein Buch geschrieben: „The Secret Race“. Es ist ein Befreiungsschlag, | |
eine Beichte. Beichtvater war der Journalist Daniel Coyle. Der rang dem | |
Radsportler das Versprechen ab, schonungslos offen zu sein, andernfalls | |
würde er nicht als Koautor zur Verfügung stehen. Man kann nur hoffen, dass | |
sich der einst so passionierte Lügner an das Versprechen gehalten hat. | |
## Über allem herrscht der Patron | |
Was Hamilton berichtet, ist einigermaßen spektakulär. Er beschreibt den | |
Radsport seiner Zeit als mafiöses Unternehmen. Über allem herrscht der | |
Patron (Lance Armstrong), es wird gedopt auf Teufel komm raus. Das Peloton | |
fühlt sich einem Schweigegelübde, ähnlich der Omertà, verpflichtet. | |
Es gibt korrupte Ärzte und Teamchefs, krankhaft ehrgeizige Geldgeber und | |
verlogene Sponsoren. Abweichler und Parvenüs werden aussortiert oder ans | |
Messer geliefert, gern auch vom Radsportweltverband, der mutmaßlich mit | |
Armstrong gemeinsame Sache machte. Das alles liest sich wie ein Krimi. | |
Selbst wenn nur die Hälfte davon wahr ist, ist es immer noch schlimm genug. | |
Man fragt sich, ob der Radsport jemals aus dem Sumpf herauskommen kann. | |
Der junge Tyler Hamilton hätte sich gewiss nicht träumen lassen, dass er | |
einmal als besonders skrupelloser Doper dastehen würde und später dann als | |
ein besonders bekenntnisfreudiger Expedaleur. Und doch war ihm sein Weg | |
vorgegeben. Hamilton galt als besonders leidensfähiger Athlet, er konnte | |
seine Grenzen in Bereiche verschieben, von denen er gar nicht wusste, dass | |
es sie gibt. | |
Hamilton hat die Qual zur Kunstform erhoben. Der Mann von der US-Ostküste | |
ist mit einem gebrochenen Schlüsselbein und einer kaputten Schulter | |
Etappenrennen gefahren. 2003 ist er, obwohl das Schlüsselbein ziemlich früh | |
brach, Vierter der Tour de France geworden. | |
## Emazipation des Edeldomestiken | |
Zuerst war er, der zeit seines Lebens mit Depressionen kämpfte, der erste | |
Helfer seines Patrons, von Lance Armstrong, der im Buch als der | |
Allesbeherrscher und Allesverderber des Radsports daherkommt. Dann | |
versuchte sich der Edeldomestike zu emanzipieren vom janusköpfigen Patron. | |
Egal, ob Hamilton diente oder führte, eines tat er fast immer: dopen. | |
Er beschreibt es als eine Notwendigkeit, um mithalten zu können mit den | |
„circus strongmen“, also den abartig schnellen Routiniers. Er nimmt in | |
seiner Karriere fast alles, was verfügbar ist: das Blutdopingmittel Epo, | |
Testosteron, Kortison und bisweilen auch Wachstumshormone. | |
Hamilton liefert sich komplett den Sportärzten aus, auch dem berüchtigten | |
Eufemiano Fuentes, der in Madrid einen regen Handel mit Blutbeuteln und | |
Medikamenten aller Art betrieb. Hamilton kommt nicht einmal dann zur | |
Besinnung, als nach einer Transfusion verdorbenes Blut in seinen Adern | |
fließt, er Blut pisst und hohes Fieber bekommt. | |
Er geht nicht etwa zu einem seriösen Arzt in dem Wissen, an dieser | |
Transfusion verrecken zu können, nein, er nimmt nur ein paar | |
Aspirintabletten und steigt am nächsten Tag wieder aufs Rad. Eines muss man | |
ihm freilich zugutehalten: Er mag beschissen haben wie Charles Ponzi, ein | |
Weichei war er nie. Über solche Pfeifen hat er sich mit Armstrong immer | |
lustig gemacht. Sie nannten sie „choads“, was so viel bedeutet wie | |
Schwächlinge, weinerliche und zögerliche Typen. | |
## Eine Welt des Betrugs | |
In gewissem Sinne gehörten auch saubere Athleten in diese Kategorie, waren | |
sie doch zumindest Zweifler. Womöglich stellten sie sogar das System | |
infrage – was in den Augen von Armstrong einem Verbrechen gleichkam. | |
Tyler Hamilton lebte in dieser Welt des Betrugs und des | |
Schwarz-Weiß-Denkens. Natürlich wurde er, als er eigene Ambitionen als | |
Siegfahrer entwickelte, von Armstrong gemobbt. Hamilton behauptet sogar, | |
sein ehemaliger Kapitän hätte ihn beim Weltverband verpfiffen. Logisch, | |
diese Ingredienzen durften natürlich nicht fehlen in dem Buch: Verrat, | |
Arglist und medialer Meuchelmord. | |
Tyler Hamilton und Daniel Coyle: „The Secret Race“. Bantam, 304 Seiten, | |
13,95 Euro | |
8 Nov 2012 | |
## AUTOREN | |
Markus Völker | |
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