# taz.de -- Jens Voigt und das reine Gewissen: „Ich möchte, dass alle mir gl… | |
> Radprofi Jens Voigt rollt weiter über die Landstraßen. Um seine Unschuld | |
> zu beweisen, würde er sogar elektronische Fußfesseln tragen. | |
Bild: Jens Voigt über seine Dopingabstreitungen: „Ich wäre der abgebrühtes… | |
taz: Herr Voigt, sagt Ihnen der Begriff Pan y agua etwas? | |
Jens Voigt: Na klar, Brot und Wasser. Ich weiß nicht, worauf Sie hinaus | |
wollen? | |
Nicht? | |
Na ja, das war immer der Begriff für die Fahrer, die sauber waren im | |
Peloton. Die also nicht gedopt haben. | |
Wie Sie? | |
Ganz genau. | |
Sie haben also nie Epo, Kortison oder Testosteron genommen? | |
Nein. Und das sage ich seit fünfzehn Jahren immer wieder. Ich wäre demnach | |
entweder der abgebrühteste und frechste Lügner der Radsportgeschichte oder | |
eben einer, der einfach immer die Wahrheit gesagt hat. | |
Tyler Hamilton, der ein ganzes Buch über seinen Dopingbetrug geschrieben | |
hat, findet Ihre Beteuerung, nie gedopt zu haben, „erbärmlich“. | |
Ach Gott, Tyler. Können Sie sich noch an eine der Ausreden von Tyler | |
Hamilton erinnern, als er beim Fremdblutdoping erwischt wurde? Der hat | |
gesagt, die zwei unterschiedlichen DNA-Werte kommen daher, weil er einen | |
ungeborenen Zwillingsbruder in sich resorbiert hat. Um Gottes Willen! Was | |
für ein Abgrund tut sich da auf! Und ich muss jetzt darüber reden, dass er | |
mir nicht glaubt. Zum Glück glaubt mir so einer nichts! Manche Dinge sind | |
zu groß, um sie zu verzeihen. | |
Tyler Hamilton erwähnt Sie auch in seinem Buch „The Secret Race“. | |
Ja, er schreibt, dass er mit mir reden wollte, als er nach seiner Sperre | |
zurückgekommen ist, dass ich aber nicht mit ihm sprechen wollte. Das hat | |
ihm offenbar so weh getan, dass er sich denkt, dem Voigt, dem würge ich | |
jetzt noch eine rein. Wissen Sie, wie ich mir manchmal vorkomme? Wie eine | |
Trophäe, wie die letzte Trophäe, die sie, gemeint sind auch die | |
Journalisten, noch niederstrecken wollen. | |
Ullrich haben wir, Armstrong haben wir, alle, die damals vorne mitgefahren | |
sind, haben wir. Ich bin wie ein Leopard, der in Afrika durch die Büsche | |
schleicht und auf den alle schießen. Warum fragt sich keiner von den | |
Jägern, dass ich vielleicht einfach nur leben und meine Kinder großziehen | |
will? | |
Aber es muss doch Spaß machen, zu wissen: Die kriegen mich eh nicht. | |
Ja, natürlich. Darum sitze auch auch hier und muss nicht schamhaft auf den | |
Boden schauen. Ich weiß, meine Argumente sind manchmal schwach, und die | |
Wahrheit ist nur ein einfacher, kleiner Satz. Und den Fakt, dass ich nicht | |
positiv getestet worden bin, brauche ich auch nicht anzuführen. Das klingt | |
so nach Lance Armstrong. Der hat das ja auch immer gesagt. | |
Es bleibt auch in Ihrem Fall eine Glaubensfrage. | |
Ja, leider. Wenn meine Frau nichts dagegen hätte, dann würde ich einen | |
taz-Praktikanten zu mir holen, der mich den ganzen Tag begleitet. Der fährt | |
mit mir Fahrrad oder, wenn er nicht mitkommt, mit dem Motorroller neben mir | |
her. | |
Der ist im Bad, wenn ich dusche, der putzt die Zähne mit mir, der schläft | |
mit mir im selben Raum und ist jede Sekunde bei mir, um alles auf einem | |
Blog zu dokumentieren. Und dann fahre ich im Frühjahr Rennen – genauso, wie | |
ich immer gefahren bin, weil ich genauso wie immer trainiert habe. So | |
könnte ich vielleicht meine Glaubwürdigkeit stärken. Ich möchte einfach, | |
dass alle mir glauben. | |
Wie viele tun es? | |
Keine Ahnung. Ich denke, 75 Prozent glauben mir. Sicherlich machen | |
diejenigen, die mir glauben, weniger Lärm als die, die mich jetzt | |
kritisieren. Das verzerrt natürlich den Eindruck. | |
Der Radsport wurde zuletzt oft als mafiöse Szene beschrieben. Wenn man da | |
hineingerät, ist man verloren. Einer Ihrer Söhne hat den Wunsch, | |
Radsportler zu werden. Haben Sie nicht Angst um ihn? | |
Das Einzige, wovor ich Angst habe, ist, dass Leute vor ihm schlecht über | |
mich reden. Sonst habe ich keine Bedenken. Ich weiß, was er macht. Ich bin | |
sein Vater. | |
Viele wundern sich, wenn Sie sagen, Sie hätten beim Team CSC nie etwas von | |
Dopingpraktiken mitbekommen, obwohl doch Teammitglied Ivan Basso ein | |
Fuentes-Kunde war. | |
Das ist doch ganz einfach. Wenn es das ganze Team gemeinsam gemacht hätte, | |
dann hätte ich sicher etwas mitbekommen, aber wenn das nur zwei, drei Leute | |
tun, dann erzählen die das nicht jedem. Wissen Sie denn, was ihre Kollegen | |
zu Hause tun? | |
Aber in so einem Team gibt es doch eine Gerüchteküche, wo jeder schnell | |
alles über eine neue Dopingmethode weiß. Hört man da wirklich nichts? | |
Nein, sicher nicht. Das erzählen nur die, die allen eine Mitschuld geben | |
wollen, weil sonst ihre kleine Parallelwelt zusammenbricht, weil sie dann | |
nicht mehr sagen können: Ich bin nur ein kleiner Junge, ich bin nur ein | |
Opfer, und die bösen Großen haben gesagt, ich muss mitmachen. Und wenn | |
jemand sagt, dass du gar nicht mitmachen musst, dann stürzt ihre Fassade | |
ein. Dann haben sie keine Entschuldigung mehr für sich selbst. | |
Aber eine gewisse Ahnung hatte man doch. | |
Vielleicht ja, aber mehr nicht. | |
Sieht man den Kollegen vieles nach, weil man sie als Freunde betrachtet, | |
sie einem ans Herz gewachsen sind? | |
Vielleicht hat man da tatsächlich eine Freundes- oder Kumpelbrille auf. Das | |
ist schon möglich. Aber ist das ein Verbrechen? | |
Das deckt sich nicht mit dem Bild, das viele vom Radsport haben, als einer | |
Clique von Betrügern. | |
Ist das das Bild, das Sie vom Radsport haben? Eine Clique von Kleinganoven? | |
Und ich darf es wieder ausbaden, während andere sich in ihren Häusern | |
einmauern und nichts sagen? Ich muss alle Fragen beantworten. Manchmal ist | |
es echt nervig. | |
Die Rezepturen waren Ihnen also nicht bekannt? | |
Wenn du die Fühler ausgestreckt hättest, dann hättest du schnell Kontakt | |
bekommen. Das kann ich mir schon vorstellen. Aber das ist eine | |
Entscheidung, die jeder für sich treffen muss. Am Ende bist du es selbst, | |
der sagt: Hier, ich schieß mir das Zeug rein! Es sind eben nicht nur | |
externe Faktoren, die dem Radsport schaden. Wir selbst tragen einen großen | |
Teil der Schuld. Wir liefern ja auch genug Munition, mit der auf uns | |
geschossen wird. | |
Recht großkalibrige Geschosse sind das. | |
Wir Radfahrer haben Fehler gemacht und haben zum Teil auch einen | |
schludrigen und schlampigen Umgang mit diesem Problem gehabt. Ich hoffe | |
einfach, dass es jetzt besser wird. | |
Was hat sich schon gebessert? | |
Die jungen Fahrer sind ganz anders großgeworden. Die sehen: Alle werden | |
erwischt und bestraft. Das hinterlässt Wirkung. | |
Was macht Sie so sicher, dass es besser geworden ist? Im Grunde haben die | |
Protagonisten doch oft nur die Strategie geändert. | |
Ja, vielleicht bin ich blauäugig und naiv. Ich möchte daran glauben. Ist | |
das nicht verständlich? Nach dem Krieg haben die Leute auch geglaubt, dass | |
es besser wird. Eine absolute Sicherheit hatten sie nicht für ihre Annahme. | |
Ich will nach vorne schauen. Aber sicher bin ich mir auch nicht. Der | |
nächste Teamkollege von mir lebt in Luxemburg, einer in Belgien, einer in | |
der Schweiz. Ich kann nicht kontrollieren, was alle machen in der Ferne. | |
Es gibt ein Restrisiko. | |
Manchmal bin ich bei dem Thema wirklich verzweifelt. Dann möchte ich am | |
liebsten vorschlagen, dass alle Teammitglieder hier in Berlin in eine alte | |
Kaserne ziehen, mit vollständiger Überwachung. Wenn ich eine Chance hätte, | |
die Zweifler zu überzeugen, dann würde ich sogar eine elektronische | |
Fußfessel tragen. | |
Hassen Sie Doper? | |
Früher war es eher Wut. Da gab es Fahrer, die hast du im Frühjahr | |
umgepustet, zwei Monate später fahren die schon neben dir, noch mal zwei | |
Monate später verliere ich gegen die auf einer Etappe eine halbe Stunde. An | |
einem Tag! Wie kann das sein? | |
Entweder die haben dreimal so viel Talent wie ich oder etwas Komisches | |
läuft hier. Später habe ich mir dann gesagt: Konzentriere dich auf dich | |
selbst. Ich kann auch noch in 20 oder 30 Jahren sagen: Alle Resultate | |
gehören mir, keiner wird sie mir je wegnehmen können, weil ich nie etwas | |
Verbotenes getan habe. | |
Gab es wirklich nie Angebote, Verlockungen, sanften Druck? | |
Ich habe wahrscheinlich nie das Signal ausgesendet, dass ich bereit oder | |
offen wäre für so etwas. Ich habe immer versucht, mich auf das Bessere, das | |
Freundlichere zu konzentrieren. | |
Warum haben Sie trotz Ihrer Antidopinghaltung im Peloton nie als | |
Außenseiter gegolten, nie als Störenfried? | |
Vielleicht war es meine Glaubwürdigkeit. Der Voigt ist immer geradeaus. Das | |
wissen die. Seit 1998 sage ich: Doping is nich. Doping mache ich nich. Soll | |
ich denn irgendwas erfinden, damit die Leute glücklich sind? | |
Herr Voigt, warum setzen Sie sich eigentlich nicht an die Spitze der | |
Antidopingbewegung? | |
Ich mache das ja schon in gewisser Weise. Und ich mache es auch, weil ich | |
nicht will, dass die Bösen gewinnen. | |
10 Nov 2012 | |
## AUTOREN | |
A. Rüttenauer | |
M. Völker | |
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