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# taz.de -- Doku über Immobilienspekulation: Wohnen ist ein Menschenrecht
> Das Leben in Städten wird zunehmend unbezahlbar: Die Doku „Push“ fragt
> nach Ursachen und zeigt den Einfluss internationaler Investoren.
Bild: Für die Spekulant*innen zählte nur die Miete, die Bewohner*innen zahlte…
Berlin taz | Wenn es nur die Gentrifizierung wäre, sagt Saskia Sassen. „If
only!“ Das Problem liege viel tiefer. Sassen ist Professorin für Soziologie
an der Columbia University. Der schwedische Dokumentarfilmer Fredrik
Gertten führt sie in seinem Film „Push“ als Gesprächspartnerin seiner
Protagonistin Leilani Farha ein.
Farha, eine kanadische Anwältin, ist seit 2014 Sonderberichterstatterin für
das Menschenrecht auf Wohnen bei der UNO. Im Film fungiert sie als
Kronzeugin für eine Entwicklung, die inzwischen den ganzen Globus betrifft:
In Städten zu wohnen ist jetzt schon zu teuer für zu viele Menschen, und es
wird immer schlimmer.
Woran liegt das? Und was lässt sich dagegen tun? Farha reist um die Welt:
London, Toronto, Valparaiso, Mailand, Barcelona, Berlin, Südkorea und
Schweden sind die filmischen Stationen. So bunt die Bilder, die dabei
entstehen, so schockierend sind die Zahlen, die dazu genannt werden. In
Toronto, erfährt man, seien die Mieten in den letzten dreißig Jahren um 425
Prozent gestiegen, das Durchschnittseinkommen in derselben Zeit aber nur um
135 Prozent.
Farha spricht mit Menschen, die sich gegen Druck von Investoren wehren und
deswegen aus ihren Wohnungen geworfen werden sollen. In London trifft sie
ehemalige BewohnerInnen des abgebrannten Grenfell Towers, die weder
angemessene Entschädigungen noch angemessene Ausweichquartiere erhalten
haben. Einer hatte seine Wohnung vor 25 Jahren gekauft und kann mit der
Entschädigung nirgendwo in London eine neue finanzieren. Andere wurden
explizit aufgefordert, in andere Städte umzuziehen.
## „Irgendjemand muss doch etwas tun!“
Gleichzeitig stehen zahllose Londoner Immobilien leer, da sie ausländischen
Investoren gehören, die sie nicht vermieten, sondern ihr Geld sicher parken
wollen.
Leilani Farha besucht ein solches Haus, das von Aktivisten besetzt wurde.
„Irgendjemand muss doch etwas tun!“, erklärt eine junge Frau energisch. Und
man fragt sich beim Zuschauen, warum denn keine gesetzliche Handhabe gegen
die Leerstandspraxis geschaffen wird. Leider glänzt Sadiq Khan, der
Bürgermeister von London, in diesem Film durch Abwesenheit.
„Die Politiker haben ihre Hausaufgaben nicht gemacht“, sagt der
Wirtschafts-Nobelpreisträger Joseph Stiglitz und benennt die Deregulierung
des Finanzmarkts, vor allem aber die Finanzkrise von 2008 als Ausgangspunkt
für die ungute Entwicklung auf den weltweiten Immobilienmärkten. Saskia
Sassen erklärt: Weil vielerorts Land in großem Stil aufgekauft werde,
würden ehemalige Kleinbauern in die Städte getrieben. Der zunehmend
verdichtete Raum in den Städten werde damit immer wertvoller und somit zur
perfekten Geldanlage.
## Rumlümmeln und am Handy spielen
Aber: „Wohnen ist ein Menschenrecht!“, das ist nicht nur ein Mantra, das
Leilani Farha nicht müde wird zu wiederholen, sondern es ist so
festgeschrieben, in Artikel 11 des UN-Sozialpakts. Fredrik Gertten
dokumentiert einen Auftritt Farhas vor dem UN-Plenum. Man sieht die
Gesandten in den Bänken lümmeln und auf Handys spielen, während die
Sonderberichterstatterin vorträgt. Es ist deprimierend.
Und was ist mit denen, die vielleicht etwas ändern könnten, den
PolitikerInnen vor Ort? Florian Schmidt, Baustadtrat von Berlin-Kreuzberg,
tritt vor der Kamera auf und erklärt, dass der Bezirk durch die Ausübung
seines Vorkaufsrechts in den letzten zwei Jahren etwa tausend Wohnungen
habe sichern können.
Das nützt allerdings dem Bäcker wenig, in dessen Ladenlokal Schmidt im Film
sitzt und dessen Vermieter ihn gerade gezwungen hat, einen neuen
Mietvertrag zu horrenden Konditionen abzuschließen: „Das ist doch nur ein
Tropfen auf den heißen Stein, was ihr macht“, sagt er.
Aber trotz allem tut es gut, zu sehen, dass manche PolitikerInnen die Lage
ernst nehmen. In Barcelona, wo Leilani Farha mit Bürgermeisterin Ada Colau
zusammentrifft, bemüht die Stadt sich darum, Immobilien aufzukaufen, bevor
sie Investoren in die Hände fallen. Und was sagen die Investoren? Im Film
leider gar nichts.
## Pensionsfonds spekulieren mit Immobilien
Da gibt es etwa die US-amerikanische Investmentgesellschaft Blackstone, die
unter anderem der größte Eigentümer von Sozialwohnungen im einst
sozialistischen Schweden ist. Leilani Farha vereinbart einen
Gesprächstermin, der ohne Begründung kurzfristig abgesagt wird. Häufig sind
es übrigens ausgerechnet Pensionsfonds, die mit Immobilien als Wertanlage
spekulieren – in den USA, aber auch in Südkorea, wo Menschen mit besonders
brutalen Methoden aus ihren Häusern vertrieben werden, damit höherpreisige
Immobilien errichtet werden können.
Am Ende von „Push“ treffen sich immerhin viele BürgermeisterInnen auf
Farhas Initiative hin, um den globalen städtischen Wohnungsnotstand zu
besprechen. Und Fredrik Gertten beschließt seinen Film mit schönen Bildern
aus einem bunten städtischen Leben, das wir sehr vermissen würden, wenn es
zum Erliegen käme.
„Push“ bleibt jederzeit sachlich, ist aber dennoch ein Film, der wütend
machen kann. Er kratzt nachdrücklich an der Oberfläche eines Problems, das
bereits jetzt größer geworden ist, als man noch vor zehn Jahren ahnen
konnte. Erstaunlich, dass Leilani Farha dennoch die ganze Zeit lächeln
kann.
6 Jun 2019
## AUTOREN
Katharina Granzin
## TAGS
Immobilienspekulation
Sozialer Wohnungsbau
Mieten
Florian Schmidt
Share Deals
Barcelona
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