# taz.de -- Doku „Der Traum vom Umsturz“: Zu sachte | |
> Eine NDR Doku will die Geschichte ostdeutscher Neonazis abbilden. Hart | |
> ins Gericht geht sie mit den in die Jahre gekommenen Rechten dabei aber | |
> nicht. | |
Bild: Neonazi Christian Worch (Mitte) hat bei Ausschreitungen in Lichtenhagen N… | |
Eine halbe Stunde ist vielleicht ein bisschen knapp, um die | |
Traditionslinien ostdeutscher Stiefelnazis umfassend nachzuzeichnen, ihre | |
westdeutschen Förderer zu verstehen und die gewalttätigen Interventionen | |
der Szene vor rund 30 Jahren darzustellen. Genau das aber versucht die | |
Dokumentation „Der Traum vom Umsturz – Neonazis und die Wende“ aus der | |
Reihe „Panorama – die Reporter“ von Birgit Wärnke und Julian Feldmann �… | |
muss scheitern. | |
Gewiss, es ist Teil des Puzzles der gesellschaftlichen Verwerfungen um den | |
Untergang der DDR, jene, die allen Ernstes einen neuen Nationalsozialismus | |
aufbauen wollten, zu befragen. Auch ist die Auswahl der Protagonisten | |
durchaus nachvollziehbar. Einerseits Arnulf Priem, dessen Berliner Wohnung | |
Basis für unzählige Neonazis war und der ein wesentliches Bindeglied sowohl | |
zwischen Ost und West als auch zwischen Hardcorefaschisten und der | |
rechtsoffenen Rocker- und Esoszene darstellte. Andererseits Christian | |
Worch, dessen ideologischer Aufbau Ost ihn in jener Zeit zu einem der | |
einflussreicheren Neonazis machte. Und nicht zuletzt der unvermeidliche | |
[1][Ingo Hasselbach, vormals „Führer von Berlin“], bald darauf | |
ausgestiegener Ex-Nazi. | |
Während es der Doku immerhin gelingt, einen Bezug der Naziszene der | |
Nachwendezeit zu den heutigen Erfolgen der AfD herzustellen, fehlen | |
Verweise auf den NSU und vor allem die unzähligen Menschen, die den Hass | |
der Faschisten mit Gesundheit und Leben bezahlt haben, fast völlig. Die | |
Motivationen der drei kleinen Führer für ihren politischen Werdegang | |
bleiben seltsam diffus. Priem und Hasselbach ziehen weitestgehend | |
unhinterfragt das repressive DDR-System zur Begründung heran. | |
Hasselbachs Ausstieg bleibt dabei ohne politische Einordnung oder | |
wenigstens Plausibilitätsprüfung. Schockiert sei er gewesen nach dem | |
Anschlag von Mölln Ende 1992 mit seinen drei Todesopfern. Hasselbach, der | |
paramilitärische Ausbildungen von Neonazis durchführte, mit seinen | |
damaligen Kumpanen Waffen im Berliner Weitlingkiez lagerte und wie Priem | |
und Worch im Sommer 1992 die Ausschreitungen in Lichtenhagen zur | |
Nachwuchsrekrutierung nutzte. Was dachte er denn, was er da tat? Eine | |
Pfadfindertruppe betreuen? | |
## Der nette Rentner von nebenan | |
Und Christian Worch, dessen Eitelkeit ihn schon in den frühen 90ern vor | |
jede aufnahmebereite Kamera trieb, kann sich in „Der Traum vom Umsturz“ | |
ungebrochen als beinahe akademischer Zeitzeuge präsentieren. Fast bedauern | |
möchte man diesen alternden, in „seiner kleinen Wohnung in Parchim“ | |
lebenden Neonazi [2][ob seines Bedeutungsverlustes in der Szene]. Reichlich | |
abstrakt kommen seine Erinnerungen an die großen Pläne jener Zeit daher. | |
Über das Blut, mit dem „Zecken“, „Ausländer“ und alle anderen „Unde… | |
den Größenwahn der Faschisten bis heute bezahlen – kein Wort. | |
Hasselbach hat die Gewaltexzesse offenbar völlig externalisiert. Das waren | |
immer die anderen, die nicht straff organisierten stumpferen Stiefelträger. | |
Auch Worch und Priem tun so, als hätten sie an einem Schachturnier | |
teilgenommen. Dabei ist gerade Priem aktenkundig mit [3][engen Verbindungen | |
zum Beispiel zu Kay Diesner], verurteilt wegen Mordes am Polizisten Stefan | |
Grage und versuchten Mordes am Buchhändler Klaus Baltruschat. Oder zu den | |
Mördern von [4][Dieter Eich], der im Jahr [5][2000 in Pankow getötet | |
wurde]. | |
Statt damit oder mit seiner gerade einmal zwei Jahre zurückliegenden | |
[6][Verurteilung wegen Propagandadelikten] konfrontiert zu werden, kann | |
sich Priem auf einer Bank im Wald als etwas kauziger Rentner inszenieren. | |
Selbst sein seit Jahrzehnten der Imagepflege dienendes Rockeroutfit wird | |
als hippiesk fehlinterpretiert. So bleibt die ganze Doku eine nicht | |
gänzlich uninteressante Momentaufnahme nach dem Muster „Was macht | |
eigentlich …“ Tiefer gehende Hintergründe und politische Analyse werden | |
jedoch bedauerlicherweise nicht geboten. Da wäre auch in einer halben | |
Stunde mehr drin gewesen. | |
1 Sep 2020 | |
## LINKS | |
[1] /Nazi-Aussteiger-Ingo-Hasselbach/!5505793 | |
[2] /Kolumne-Der-rechte-Rand/!5498806 | |
[3] /Rechter-Terror-vor-der-NSU/!5092466 | |
[4] /Todesopfer-rechter-Gewalt-in-Berlin/!5505587 | |
[5] /Todesopfer-rechter-Gewalt-in-Berlin/!5505587 | |
[6] https://www.endstation-rechts.de/news/thiazi-prozess-angeklagte-erwartet-be… | |
## AUTOREN | |
Daniél Kretschmar | |
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