# taz.de -- Diskussion über Verfassungsänderung: Sollte der Kampf gegen Antis… | |
> Parallel zur Antisemitismus-Resolution denkt eine Tagung weiter: Sind | |
> harte Eingriffe gegen Antisemitismus nur nach einer Verfassungsänderung | |
> möglich? | |
Bild: Von der Meinungsfreiheit gedeckt: Die Kampagne BDS steht im Fokus vieler,… | |
BERLIN taz | Der Bundestag hat an diesem Donnerstag trotz Ampel-Aus mit | |
einem interfraktionellen Antrag [1][seine Antisemitismus-Resolution | |
verabschiedet]. Eine Tagung in Berlin hat unterdessen schon weiter | |
überlegt. Sollte der Kampf gegen Antisemitismus auch im Grundgesetz | |
verankert werden? Veranstalter war am Dienstag neben der CDU-nahen | |
Konrad-Adenauer-Stiftung [2][das Tikvah-Institut zur Eindämmung des | |
Antisemitismus], gegründet 2020 vom Ex-Abgeordneten Volker Beck (Grüne). | |
Der Gedanke an Verfassungsänderungen liegt aus Sicht des Instituts | |
juristisch nahe, seit Anfang 2024 das Bundesverwaltungsgericht sein | |
BDS-Urteil verkündete. Danach verstieß ein Raumverbot der Stadt München für | |
alle Veranstaltungen im Zusammenhang mit der [3][Israel-Boykottbewegung BDS | |
gegen die Meinungsfreiheit]. | |
Zwar hat der Bundestag auch in der kommenden Resolution seine Aufforderung | |
bekräftigt, dass der Staat die BDS-Bewegung in keiner Weise unterstützen | |
dürfe. Außerdem fordert der Antrag, dass bei der Kulturförderung keine | |
antisemitischen Werke bezuschusst werden. Wie aber neue Gerichtsurteile | |
vermieden werden können, blieb offen. In der Resolution heißt es nur, | |
entsprechende Haushaltsregeln sollten „rechtssicher“ formuliert werden – | |
was immer das bedeutet. | |
Eine Möglichkeit, solche Gerichtsurteile zu vermeiden, könnte eine Änderung | |
des Grundgesetzes sein. Bei der Berliner Tagung wurden drei Vorschläge | |
vorgestellt. Ein Vorschlag stammte von Ludwig Spaenle (CSU), dem | |
bayerischen Antisemitismus-Beauftragten. Er will „den Kampf gegen | |
Antisemitismus und die Förderung jüdischen Lebens“ als Staatsziele im | |
Grundgesetz verankern. | |
## Udo Di Fabio: Es ginge auch ohne Grundgesetzänderung | |
Ebenfalls ein Staatsziel schlug der Rechtsanwalt Matthias von Kaler vor. | |
Danach soll der deutsche Staat verpflichtet werden, die „Sicherheit des | |
Staates Israel“ zu schützen. Hier würde quasi die politische „Staatsräso… | |
die die damalige Kanzlerin Angela Merkel (CDU) 2008 verkündet hatte, zum | |
verfassungsrechtlichen Gebot. | |
Angelika Günzel, eine ehemalige Rechtsprofessorin, die jetzt für eine | |
Bundesbehörde arbeitet, hält bloße Staatsziele für zu schwach. Sie will die | |
Grundrechte auf Meinungsfreiheit und auf Versammlungsfreiheit ausdrücklich | |
einschränken, um wirkungsvoller gegen Antisemitismus vorgehen zu können. | |
Udo Di Fabio, Ex-Verfassungsrichter und Bonner Rechtsprofessor, machte | |
deutlich, dass sich die Ablehnung des Antisemitismus auch ohne explizite | |
Grundgesetzänderung der Verfassung entnehmen lasse. Er verwies insbesondere | |
auf das Wunsiedel-Urteil des Bundesverfassungsgerichts aus dem Jahr 2009, | |
[4][das im Grundgesetz ein „anti-nationalsozialistisches“ Ziel erkannt | |
hatte]. Hier sei auch die Ablehnung des Antisemitismus mitgemeint. | |
Für Di Fabio bedeutet Antisemitismus immer auch eine „Feindschaft zur | |
freiheitlichen demokratischen Grundordnung“. Denn: „Antisemitismus ist mehr | |
als Judenfeindschaft“, er sei vielmehr ein Welterklärungssystem, das durch | |
seine Fixierung auf das angebliche jüdische Streben nach Weltherrschaft | |
stets Rationalität, Pluralismus und Aufklärung ablehne. Der Antisemitismus | |
sei, so Di Fabio, eine „Ideologie gegen die westliche liberale Demokratie“. | |
Deshalb sei es auch ohne Grundgesetzänderung möglich, antisemitische | |
Kundgebungen generell zu verbieten, argumentierte der | |
Ex-Verfassungsrichter. Auch Förderrichtlinien, die Zuschüsse für | |
antisemitische Inhalte ausschließen, seien heute schon möglich. | |
## Anti-Antisemitismus bereits in 4 Landesverfassungen | |
Der Potsdamer Rechtsprofessor Norbert Janz, der eine Grundgesetzänderung | |
befürwortet, fand Di Fabios Herleitung zu kompliziert, „da muss man zu viel | |
erklären“. | |
In den letzten Jahren haben bereits vier Bundesländer in ihren | |
Landesverfassungen den Kampf gegen Antisemitismus als Staatsziel verankert. | |
Sachsen-Anhalt machte 2020 den Anfang, es folgten 2022 Brandenburg und | |
jeweils 2023 Bremen und Hamburg. Mecklenburg-Vorpommern steht kurz vor | |
einer entsprechenden Verfassungsänderung. In der Regel hatten die | |
Verfassungsänderungen keine konkreten Auswirkungen, sondern wirkten als | |
Symbol und Signal, auch an die jüdischen Gemeinden vor Ort. | |
Bei der Berliner Tagung zeichnete sich ab, dass im Bundestag die für eine | |
Grundgesetzänderung erforderliche Zwei-Drittel-Mehrheit derzeit nicht | |
zustande käme. Zwar zeigten sich Johannes Fechner (SPD), Till Steffen | |
(Grüne) und Thorsten Lieb (FDP) für die Vorschläge offen. Günter Krings | |
lehnte jedoch für die CDU/CSU eine Grundgesetzänderung ab. Die | |
CDU/CSU-Fraktion sei generell skeptisch gegenüber Verfassungsänderungen. | |
„Nur wo die Verfassung hindert, etwas im einfachen Recht zu ändern, sollten | |
wir das Grundgesetz ändern“, so Krings. | |
Gastgeber Volker Beck resümierte: „Wir sind noch nicht so weit, dass wir | |
etwas vorschlagen können“. Er sei sich auch noch nicht sicher, ob man | |
wirklich eine Grundgesetzänderung angehen sollte. | |
7 Nov 2024 | |
## LINKS | |
[1] /Bundestag-reagiert-spaet-auf-Hamas-Terror/!6046477 | |
[2] https://tikvahinstitut.de/veranstaltung/20241105/ | |
[3] /BDS-Bewegung-gewinnt-Rechtsstreit/!5825904 | |
[4] /!536733/ | |
## AUTOREN | |
Christian Rath | |
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