# taz.de -- Diskussion nach der Nobelpreisrede: Handkes Empathielosigkeit | |
> Peter Handke? Geht es um Politik oder Poetik? In Graz luden das | |
> Literaturhaus und die „Kleine Zeitung“ zur Diskussion über den | |
> Nobelpreisträger. | |
Bild: Der Nobelpreisempfänger Peter Handke beim Festbankett in Stockholm | |
In Graz studierte Peter Handke Jus und feierte seine ersten Erfolge, hier | |
leben Wegbegleiter seit vielen Jahren. Und hier haben am Mittwoch, | |
[1][einen Tag nach der Nobelpreis-Verleihung], das Literaturhaus und die | |
Lokalmatadorin Kleine Zeitung zur „Day after“-Debatte geladen. Noch nie, | |
sagt Literaturhaus-Chef Klaus Kastberger, „habe ich so viele Anregungen und | |
Interventionen von außen bekommen, wer sonst noch auf dieses Podium | |
gehörte“. Vielen Grazern geht die Debatte nah: Mehrmals unterbrechen | |
einzelne der etwa 150 Zuhörer die Diskutanten und rufen, ja schreien fast | |
ihre Empörung heraus. | |
Literaturhaus-Chef Kastberger hat das Podium ausgewählt und selbst einen | |
offenen Brief mit initiiert, der die „Anti-Handke-Propaganda“ verurteilte. | |
„Der Wille zum Totalitarismus ist selbst bei sich für liberal haltenden | |
Medien nur noch erschreckend“, heißt es da. Auch die Autorin Julya | |
Rabinowich unterzeichnete, sie sitzt nun auch am Podium. Hubert Patterer | |
moderiert, er ist Chefredakteur der Kleinen Zeitung, in der Steiermark wie | |
in Peter Handkes Geburtsland Kärnten auflagenstärkste Tageszeitung. Oftmals | |
hat er Handke in dessen Haus in Chaville besucht und viele, viele | |
Interviews mit ihm geführt. | |
Schnell geht’s zur Sache. Gerrit Bartels, ehemals Redakteur der taz, | |
[2][nun des Tagesspiegels in Berlin, kommt direkt aus Stockholm]: „Ich | |
hätte mir erwartet, dass er einen Satz der Entschuldigung sagt oder auf die | |
Debatte eingeht“, sagt er. Stattdessen: Selbstgefälligkeit in der | |
Nobel-Vorlesung. Bei der Pressekonferenz einen Journalisten beleidigt. | |
Handke sei „dem Ganzen nicht wirklich gewachsen“. Ja, die Preisrede sei | |
„ein bisschen dürr“ gewesen, befindet auch Handke-Kenner Lothar Struck vom | |
Online-Literaturmagazin Glanz und Elend. Andererseits sei der Autor in | |
einer Position gewesen, „wo er nur noch alles falsch machen kann“. | |
Obwohl die Rollen auf dem Podium klar verteilt sind, kommen Verteidiger und | |
Kritiker Handkes einander näher, wenn es um die Preisrede geht. Kastberger | |
hat einen „Erlösertext“ gehört, „vorgetragen von einem stammelnden, | |
unerlösten Menschen“. Jetzt ist Miranda Jakiša an der Reihe, Slawistin und | |
Literaturwissenschafterin von der Uni Wien, deren Position klar ist: Handke | |
schreibe über das unbefriedete Südosteuropa „sehr inkompetent und | |
inakzeptabel“. | |
## Mitleid mit einem alten Mann? | |
Seine Rede sei unsäglich gewesen, „und was war denn dieses | |
Fremdsprachenstammeln?“ Ihr Mann und sie hätten herzlich gelacht: „Ich kann | |
Slowenisch, mein Mann Schwedisch, Handke kann beides nicht.“ Als dann auch | |
noch Struck sagt, Handke stammle doch immer, ist das zu viel für eine Frau | |
im Publikum. Sie springt auf: „Er ist kein großer Sprecher, weil er in Ruhe | |
arbeitet“, ruft sie mit zitternder Stimme. Jeder falle über ihn her: „Er | |
ist ein alter Mann, hat denn keiner Mitleid?“ | |
Nun geht es um die Frage, wer Opfer und wer Täter ist. Julya Rabinowich | |
meint, „jedem von uns“ könne es passieren, dass eine Hasswelle über ihn | |
hereinbreche. „Wirklich?“, fragt die Autorin Barbi Marković, die in Belgrad | |
aufgewachsen ist und nun in Wien daheim. „Die Jugoslawien-Texte protzen so | |
sehr vor Empathielosigkeit“, da seien die heftigen Reaktionen doch klar. | |
Immerhin habe Handke niemand aufgefordert, er solle Schwänze lutschen, wie | |
es ihr nach einem relativ milden Text passiert sei. Kastberger stört, dass | |
nur noch über Politik und kaum über Handkes Werk und dessen Poetik geredet | |
werde. | |
Aus dem Publikum melden sich außer der einen Frau ausschließlich Männer, | |
meist ältere, zu Wort. Für einen, Kroate, wie er sagt, ist klar: „Handke | |
ist nicht Opfer. Opfer sind die tatsächlichen Opfer.“ Einer outet sich, er | |
sei schon als Schüler zum Handke-Jünger geworden, aber später habe er | |
gedacht: „‚Komisch, warum wird der nicht erwachsen, wenn ich doch erwachsen | |
werde?‘ Ich liebe ihn nach wie vor, aber ich bin erschüttert, in welche | |
Richtung er gegangen ist.“ Viele applaudieren. | |
Moderator Hubert Patterer setzt zum Abschied an. Erst vor zwei Wochen habe | |
Handke ihm gegenüber zugegeben, dass ihm das alles doch sehr zusetze. „Aber | |
er habe noch viele Pfeile im Köcher, und darauf freuen wir uns.“ Barbi | |
Marković wiegt den Kopf: „Na ja – kommt darauf an.“ | |
12 Dec 2019 | |
## LINKS | |
[1] /Literaturnobelpreisverleihung-Stockholm/!5649288 | |
[2] https://www.tagesspiegel.de/kultur/peter-handkes-nobelpreisrede-ueber-die-m… | |
## AUTOREN | |
Gerlinde Pölsler | |
## TAGS | |
Kärnten | |
Literatur | |
Peter Handke | |
Jugoslawien | |
Nobelpreis für Literatur | |
Literatur | |
Literatur | |
Peter Handke | |
Serbien | |
Schlagloch | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Peter Handke und seine Notizbücher: Auf der Suche nach innerem Jubel | |
Das Notizbuch Peter Handkes von 1978 ist für Fans und Gegner | |
aufschlussreich: Es probiert Schreib-Erlösung durch das Kultivieren von | |
Raumempfindung. | |
Literaturnobelpreis für Louise Glück: „Unverkennbare poetische Stimme“ | |
Die US-amerikanische Poetin Louise Glück erhält in diesem Jahr den | |
Nobelpreis für Literatur. Als Favoritin wurde sie im Vorfeld nicht | |
gehandelt. | |
Nobelpreis für Peter Handke: Am Arsch der Hölle | |
Peter Handke ist ein Kretin, ein Arschloch. Dass er mit dem höchsten | |
Literaturpreis geehrt wird, hat aber etwas Gutes. | |
Handke und der Jugoslawienkrieg: Der Geist der Partisanen | |
Die Gründe für das Auseinanderfallen Jugoslawiens sind vielfältig. Davon | |
will Literaturnobelpreisträger Handke nichts wissen. | |
Nobelpreis für Peter Handke: Wege des Weltverstehens | |
Der Nobelpreis für Peter Handke war kein Fehler. Literatur handelt eben vom | |
Menschlichen und damit immer auch von Fehlbarkeiten. |