# taz.de -- Die Wahrheit: Das UKW-Massaker | |
> Auch im altmodischen Küchenradio von NDR 1 werden Musikstücke mitunter | |
> schrecklich entstellt. | |
Bild: Marktplatz in Mittweida: Auf UKW ist 99.3 radio mittweida bald nicht mehr… | |
Das Bedürfnis, mich von anderen abzusetzen, hält sich bei mir in Grenzen. | |
Mein Distinktionsunwille äußert sich unter anderem darin, dass ich in | |
meiner Freizeit gerne Dinge tue, die viele andere auch gerne tun. Zum | |
Beispiel analoges Fernsehen schauen. Oder UKW-Radio hören. Letzteres so, | |
wie es sich geziemt: nebenbei. In der Küche, beim Spülmaschinenaus- und | |
einräumen. Auf keinen Fall darf es ein Kultursender sein. Ich höre | |
Mainstream-Radio in seiner altmodischsten und brutal-ehrlichsten Variante: | |
NDR 1 Niedersachsen. | |
NDR 1 zielte immer schon auf die Alterskohorte 50 plus und war deswegen | |
früher ein reiner Schlagersender. Weil aber die alten Alten wegsterben und | |
man wohl markterforscht hat, dass die neuen Alten inzwischen eher auf | |
Popmusik aus den 60ern, 70ern und 80ern stehen, läuft jetzt ein bunter Mix | |
aus Hollies, America, Cliff Richard, Pink Floyd und Neue Deutsche Welle. | |
Und hin und wieder ein Restschlager. Das meiste würde ich mir selbst nicht | |
in eine Playlist packen, aber um so mehr freut es mich, wenn ich mal wieder | |
„Jeans on“ von David Dundas höre. Mitunter ist es so, als begrüßte ich | |
einen lang verschollenen Verwandten, den ich zuletzt als Kind 1977 auf | |
Onkel Henners Beerdigung gesehen habe. Und wenn man grade nicht damit | |
rechnet, läuft dann sogar mal „Song for Whoever“ von The Beautiful South. | |
Bevor ich zu NDR 1 konvertierte, hörte ich in der Küche Radio 21: AC/DC, | |
Melissa Etheridge, Billy Idol, Bruce Springsteen, Tom Petty in | |
Dauerschleife. Für fünfzehn Minuten am Tag auch wunderbar. Bis zu jenem | |
Tag. | |
Ich schnitt grade Zwiebeln, da vernahm ich das allseits bekannte Intro zu | |
„Sultans of Swing“. Ich freute mich. Es folgten: erste Strophe, zweite | |
Strophe, dritte Strophe, vierte Strophe – dann wurde ich Ohrenzeuge eines | |
Verbrechens. Irgendjemand hatte hier einen chirurgisch genauen Schnitt | |
gesetzt. Vermutlich weil der Song mit fünf Minuten und siebenundvierzig | |
Sekunden zu lange fürs Formatradio ist. Der Song sprang ernsthaft von | |
„Savin’ it up for …“ – eigentlich käme dann „… Friday night“ �… | |
musikalisch entsprechende Stelle am Ende der nächsten, der fünften Strophe. | |
Die damit fast komplett gelöscht wurde. Mark Knopfler sang jetzt | |
tatsächlich „Savin’ it up for … Rock ’n’ Roll“. Was im Zusammenhan… | |
Songs null Sinn ergibt. Null. Das ist kurz vor Dada. Oder kurz vor Nena! | |
Dann kam das Gitarrensolo, das selbstverständlich nicht geschnitten wurde, | |
weil Radio 21 ja ein „Rocksender“ ist. Rock gleich Gitarrensolo – das wei… | |
jeder. Die folgende, eigentlich sechste Strophe wurde dann | |
konsequenterweise mittendrin brutal ausgefadet. Kurzum: Ein veritables | |
UKW-Massaker. Ich musste den Kochvorgang abbrechen und Drogen nehmen. | |
Am nächsten Tag wechselte ich den Sender. Auch auf die Gefahr hin, dass | |
zwischendurch Chris Rea läuft. Oder … Jessesmaria … Ina Müller. | |
26 Oct 2022 | |
## AUTOREN | |
Hartmut El Kurdi | |
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