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# taz.de -- Die Wahrheit: Frittierte Snack-Schnäppchen selig
> Kindheit gab es einst günstig zu haben: Etwa mit einem fetttriefenden
> Brötchen zu schlappen 50 Pfennig, garniert mit einem Klecks Ketchup und
> Mayo.
Auf dem Weihnachtsmarkt kann man das Bedürfnis des Körpers nach
Nahrungsaufnahme auf viele zweifelhafte Arten befriedigen. Es gibt
schleimig-ölige Pfannen-Champignons, halbe Meter lange Bratwürste, die – um
den Kollegen Frank Schäfer zu zitieren – links und rechts aus Baguettes
„herauspimmeln“, blitzerkaltende Spiralkartoffeln, modische in BBQ-Soße
ertränkte Pulled Pork Burger, spanische Churros und ebenso fettiges
heimisches Schmalzgebäck, dazu Glögi, Glühwein und Eggnog …
Nicht umsonst treibt die Advents- und Weihnachtszeit den Managern der
Magensäure-Blocker-Industrie regelmäßig die Freudentränen in die Augen.
Doch nicht nur das Sodbrennen-Potenzial haben diese Speisen gemeinsam,
sondern auch die horrenden Preise.
Jedes Mal, wenn ich auf dem Weihnachtsmarkt ein Schälchen gebratene Pilze
für sechs bis zehn Euro kaufe, überkommt mich die sentimentale Erinnerung
an den günstigsten Imbiss, den ich hierzulande je aß. Es war vor langer
Zeit, in den Siebzigern des vergangenen Jahrhunderts. Meine
Kindheits-Pommesbude in Kassel-Helleböhn bot damals ein gar köstlich
Gericht an: den „Gammler“.
## Teint von vitalen Mallorca-Rentnern
Hier das Rezept: Man nehme ein handelsübliches Brötchen, werfe es mit
leichtem Effet in eine Fritteuse, lasse es im lange gereiften, mindestens
hundert Mal wiedererhitzten Sonnenblumenöl einige Minuten braun brutzeln,
bis seine Farbe ungefähr dem Teint von vitalen, sportlich aktiven deutschen
Mallorca-Rentnern entspricht – schließlich nehme man das nun ebenso
krustige wie fetttriefende Backwerk aus dem Öl und serviere es in einer
Pommes-Pappschale mit einem Klecks Ketchup und Mayo. Zack. Fertig. Lecker
und enorm sättigend. Und das Beste: Der „Gammler“ kostete nur schlappe 50
Pfennig!
Der Grund für die Namensgebung liegt dementsprechend auf der Hand: Die
Delikatesse war so billig, dass sogar arbeitsverweigernde, drogenaffine
Jung-Hippies, damals „Gammler“ genannt, sie sich regelmäßig leisten
konnten. Aber auch für Kinder mit wenig Taschengeld war der Imbiss
bezahlbar.
Ich finanzierte mir mein gelegentliches „Gammler“-Menü von den wenigen
Münzen, die ich bei der von mir allabendlich durchgeführten
Taschenkontrolle des Mantels meiner Mutter fand. Manchmal reichte es sogar
noch für ein Stangen-Wassereis zum Dessert.
Warum sich der günstige „Gammler“ nicht durchgesetzt hat, ist mir bis heute
ein Rätsel. Hätte das Snack-Schnäppchen doch eines ansprechenderen Namens
bedurft? Wie könnte man ein frittiertes Brötchen mit Ketchup und Mayo noch
nennen? „Höllen-Bollen rot-weiß“? „Fat, Carbs and Dips – cheap and
crunchy“?
Auf dem Weihnachtsmarkt könnte man ihn analog zur Feuerzangenbowle anbieten
und nach dem Frittieren noch kurz show-flambieren und dazu schaumigen
Eierpunsch reichen: „Brennendes Brötchen mit Feuerlöscher“. Wenn das mal
keine Idee für ein Start-up ist?! Gern geschehen.
30 Nov 2022
## AUTOREN
Hartmut El Kurdi
## TAGS
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