# taz.de -- Die Wahrheit: Schafe sind keine Schimpansen | |
> Die lustige Tierwelt und ihre ernste Erforschung (Teil 44): Die Welt der | |
> Schäfer und ihrer Herden ist voll von Anekdoten und Witzen. | |
Bild: Zwei Schafe, ganz individuell | |
Die Forschung über Schafe befindet sich jenseits ihrer Vernutzung quasi | |
noch im Lammstadium. Schafe sehen aber auch, besonders in der Herde, fast | |
alle gleich aus – und verhalten sich oft auch so, sie gelten deswegen als | |
etwas blöde. Dieser Eindruck verstärkt sich noch, wenn man den | |
Schafaufstellern an der Küste zusieht, wie sie den bei Sturm und Regen auf | |
den Deichen umgefallenen Schafen wieder auf die Beine helfen, weil deren | |
nasses Fell zu schwer geworden ist. | |
In der Biografie des Umweltforschers Jakob von Uexküll, der auf einem | |
estländischen Gutshof aufwuchs, fand ich aber eine Bemerkung des einst dort | |
angestellten Schäfers, der den ihm entgegenkommenden Verwalter nicht gleich | |
erkannt hatte und meinte: „In meiner Herde kann ich jedes Schaf | |
auseinanderhalten, aber bei den Menschen will mir das nicht gelingen, die | |
sehen für mich alle gleich aus.“ | |
Auch die Anekdoten, die heute unter den Schäfern zirkulieren, sind nicht | |
ohne Witz, einer geht so: Ein Schäfer hütete einsam seine Schafe, als | |
plötzlich neben ihm ein Mercedes-SUV hält. Der Fahrer, ein junger Mann in | |
Brioni-Anzug und Cherutti-Schuhen, steigt aus und sagt zum Schäfer: „Wenn | |
ich errate, wie viele Schafe Sie haben, bekomme ich dann eins?“ Der Schäfer | |
überlegt kurz und sagt „Ja“. Der Mann nimmt sein Notebook, verkabelt es mit | |
seinem Handy, scannt die Gegend mit dem GPS-System ein und öffnet eine | |
Datenbank mit 60 Excel-Tabellen. Dann meint er: „Sie haben 1.186 Schafe!“ | |
Der Schäfer antwortet: „Das ist richtig, suchen Sie sich ein Schaf aus.“ | |
## Neues von der Primatologin | |
Der junge Mann packt sich ein Tier und lädt es in seinen SUV. Als er sich | |
verabschieden will, sagt der Schäfer: „Wenn ich Ihren Beruf errate, geben | |
Sie mir dann das Schaf zurück?“ – „Abgemacht“, antwortet der Sportsman… | |
Der Schäfer sagt: „Sie sind ein McKinsey-Unternehmensberater.“ – „Das … | |
richtig, wie haben Sie das so schnell rausbekommen?“ – „Ganz einfach“, | |
erwidert der Schäfer, „erstens kommen Sie hierher, obwohl Sie niemand | |
gerufen hat, zweitens wollen Sie ein Schaf als Bezahlung dafür, dass Sie | |
mir etwas sagen, was ich ohnehin weiß, und drittens haben Sie keine Ahnung | |
von dem, was ich mache, denn Sie haben sich meinen Hund geschnappt.“ | |
Auf einem Primatologen-Kongress in Teresopolis, Brasilien, gehörte zu den | |
eingeladenen Feldforschern die Biologin Thelma Rowell. Ihr Beitrag hatte | |
den Titel: „Einige seltsame Affen“. Es ging darin jedoch gar nicht um Affen | |
– die Referentin ist eine Schafforscherin, die mit ihrer kleinen Herde in | |
Kanada lebt. „Ich weiß natürlich, dass meine Schafe keine Schimpansen | |
sind“, sagte sie, „aber ich will damit ausdrücken, dass es sinnvoller ist, | |
den Schafen die Möglichkeit einzuräumen, sich wie Schimpansen zu verhalten, | |
als davon auszugehen, dass sie langweilig sind im Vergleich mit Schimpansen | |
– dann haben die Schafe nämlich keine Chance.“ Zuletzt unternahm Thelma | |
Rowell bei ihrer Schafherde eine Meinungsforschung. Heraus kam dabei – laut | |
einer kanadischen Schäferzeitung: „Sheeps do have opinions“. | |
Dies deutet trotz Herdentrieb auf eine halbwegs ausgeprägte Persönlichkeit | |
hin. Dafür sprechen auch die Berichte auf den „Schaf-Foren“. Da schreibt | |
zum Beispiel die Schäferin Eva: „Ich hatte mal ein Flaschenlamm, das im | |
Haus aufgewachsen ist. Obwohl ich es von Anfang an immer mit zu den Schafen | |
genommen hab, war es wohl doch etwas fehlgeprägt und hielt sich eher für | |
einen Hund. Es fand es später auch ganz übel, als es nicht mehr im Haus, | |
sondern bei den anderen Schafen wohnen sollte. Wenn ich mit dem Hund zu den | |
Schafen ging, lief es immer mit dem Hund mit. Man muss sich das vorstellen: | |
Ein Border Collie läuft einen Outrun, und ein Schaf galoppiert hinter ihm | |
her. Der Hund fand das anfangs etwas verwirrend, hat es dann aber | |
ignoriert. Die anderen Schafe hielten es wohl für einen Verräter und | |
elenden Überläufer.“ | |
Christine erzählt: „Unser zweites Lamm überhaupt, das bei uns geboren | |
wurde, war ein Zwillingsmädchen, das, nachdem der Bruder gelandet war, mit | |
einem Fuß feststeckte, aber damals schon mit Kopf draußen laut gemäht hat | |
(kann das sein? Ich bin mir völlig sicher, zweifle aber manchmal doch an | |
meiner Erinnerung), weshalb es den Namen ‚Callas‘ bekam. Es hat sich | |
zusammen mit seinem Bruder als ein Flaschenlamm herausgestellt (Mutter | |
chronische Mastitis). Und immer noch, nach sieben Jahren, will es seine | |
Portion Futter aus der Hand, wenn ich da auf meinem Stein sitze, hat sie so | |
eine nette sanfte Art, mich mit der Schnauze gegen die Backe zu stupsen, es | |
ist wie ein kleines Busserl, so ähnlich wie die Lämmer erst das Euter | |
anstoßen, aber sie macht das wirklich ganz sanft. Und natürlich hat sie | |
Erfolg.“ | |
## Bocklamm und Hütehündin | |
Der Schäfer Krollo schreibt: „Ein Bocklamm ist von Anfang an immer auf | |
unsere Hütehündin zugelaufen, wenn sie auf die Weide kam. Das Böckchen hat | |
ihr immer die Schnauze geleckt, wie es ein Welpe bei erwachsenen Hunden | |
tut. Unsere Hündin hat ihn daraufhin auch wie einen Welpen behandelt. | |
Mittlerweile muss es nun doch schon mal mit der Herde mitgehen, wenn sie | |
treibt – und darf nicht mehr hinter (!) Hund und Herde herlatschen, aber an | |
der Begrüßung hat sich nichts verändert. Es war allerdings im Gegensatz zu | |
seinem Bruder und seinem Vater noch nie aggressiv gegen den Hund. Bei | |
unserer anderen Hündin kommen solche Vertraulichkeiten aber gar nicht gut | |
an … Ist ihr wahrscheinlich peinlich, von einem Schaf geknutscht zu | |
werden.“ | |
Viele Geschichten auf den Schaf-Foren handeln von einzelnen Schafen und | |
ihrem Anderssein. Aber auch viele Schäfer sind „anders“. Einer der Schäfer | |
der Longo-Mai-Kommune“, Hans Breuer, machte sich mit seiner Frau und einer | |
Herde in Österreich selbstständig. Der US-Journalist Sam Apple begleitete | |
den kommunistischen Wanderschäfer einige Wochen, der jiddische Lieder | |
singt, dazu Schafdias zeigt und der Meinung ist, sein Gesang sei für die | |
Schafe wichtig. Er zieht mit seiner Herde über die Berge – in der einen | |
Hand einen Hirtenstab in der anderen sein Handy: „Hans sagt, das Handy habe | |
sein Leben völlig verändert, weil er sich so bereits von unterwegs mit | |
Freunden kurzschließen und sich einen Platz zum Übernachten sichern kann.“ | |
Die Schäferin Stefanie Weiland arbeitete in einer Schäferei in Röther bei | |
Leipzig: „Der Besitzer, seine Freundin, ein Lehrling und ich – wir haben | |
1.000 Schafe versorgt in ganzjähriger Hütehaltung ohne Stall, aber mit | |
Zufütterung. | |
## Mitbesitzer der Schafherde | |
Insbesondere die 400 Moorschnucken waren sehr nett. Ich bin sowieso | |
meistens lieber mit Tieren als mit Menschen zusammen. Röther liegt in einem | |
Naturschutzgebiet, aber in der Nähe ist eine Autobahn, die ständig lärmt. | |
Und wenn ich am Fluss gehütet habe, kamen laufend Spaziergänger vorbei, | |
denen man Rede und Antwort stehen musste: ,Wie viel Schafe sind denn das?' | |
Ich habe viel allein gelebt. Beim Hüten hat mich oft sogar schon der Hund | |
gestört.“ | |
Ich hatte einige Jahre eine kleine Schafherde mitbesessen: sechs | |
ostfriesische Milchschafe, die gemolken wurden. Sie leisteten sehr | |
individuellen Widerstand, aber wir ließen nicht locker: Sie gaben ihre | |
Milch lieber an ihre Lämmer als an uns ab, das konnten wir gut | |
nachvollziehen, dennoch bestanden wir auf einen gewissen Anteil. | |
18 Dec 2017 | |
## AUTOREN | |
Helmut Höge | |
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