# taz.de -- Die Wahrheit: Wilde, wilde Lügen | |
> Die lustige Tierwelt und ihre gar ernste Erforschung gehen in die 43. | |
> Runde. Heute: Können Tiere und Pflanzen lügen? | |
Bild: Ausgefuchster Lügner oder fromm wie ein Lamm? | |
Arthur Schopenhauer fragte sich: „Woran sollte man sich von der endlosen | |
Verstellung, Falschheit und Heimtücke der Menschen erholen, wenn die Hunde | |
nicht wären, in deren ehrliches Gesicht man ohne Misstrauen schauen kann?“ | |
Der Psychoanalytiker und Hundebesitzer Jeffrey Masson schrieb ein ganzes | |
Buch, um zu beweisen: „Hunde lügen nicht“. | |
Die Psychologin Susanne Preusker kam dagegen in ihrem Ratgeberbuch „Wenn | |
das Glück mit dem Schwanz wedelt“ zu dem Schluss: „Ein Hund versteht es, | |
Dankbarkeit zu heucheln. In Wirklichkeit hält er alles, was Sie für ihn | |
tun, für selbstverständlich, aber Sie werden sich wesentlich besser fühlen, | |
wenn Sie an seine Dankbarkeit glauben.“ Auch Konrad Lorenz bemerkte schon | |
bei seinen Hunden „Bully“ und „Stasi“, dass sie „geschickt lügen“ … | |
## Nix mit Flunkern | |
Sind Wildtiere vielleicht ehrlicher? Der Tierpsychologe Heini Hediger | |
meint, sie seien die am wenigsten „Beeinflussten“ und deswegen „die Norm | |
für alle Beurteilung tierlichen Verhaltens.“ In diesem Sinn behauptet auch | |
der US-Autor Mark Rowlands in seinem autobiografischen Buch „Der Philosoph | |
und der Wolf“ (2009): „Wölfe sind nicht in der Lage zu lügen.“ Er ist s… | |
mit dem Primatenforscher Volker Sommer einig: „Erst die Menschenaffen und | |
die Menschen haben die Fähigkeit zu lügen“ – und die Hunde passen sich den | |
letzteren bloß an. | |
In der Reihe der allegorischen Darstellungen steht allerdings die Katze – | |
im Kriminalgericht Moabit von Berlin zum Beispiel – für die Lüge. Die | |
Erbauer konnten sich dabei auf das „Handwörterbuch des deutschen | |
Aberglaubens“ berufen. | |
Der Verhaltensforscher Kurt Kotrschal erwähnt in seiner „sozioökonomischen | |
Bestandsaufnahme ‚Faktor Hund‘“ (2004) einen, der mit seinem Herrn | |
gewissermaßen mitlog: „Checker“ – der Hund des US-Präsidenten Nixon: Er | |
half ihm, vor laufender Kamera seine Watergate-Lüge mit treuherzigem | |
Gesichtsausdruck Glaubwürdigkeit zu verleihen. Laut den „Simpsons“ kam | |
„Checker“ dafür in die „Hundehölle“. | |
Der Haushund steckt in seiner Abhängigkeit vom Menschen in einem Dilemma, | |
das ähnlich auch für Kinder gilt: Einerseits legen die Eltern ihnen ein | |
striktes Lügenverbot auf, andererseits werden sie genötigt, sich artig bei | |
der lieben Tante für das uninteressante Geschenk zu bedanken. „Ob man nun | |
lügt oder nicht – so oder so droht Ärger,“ schreibt die FAZ dazu in ihrer | |
Rezension des Buches „Lügen lesen“ der Kantianerin Bettina Stangneth. | |
Bei Wildtieren ist das Dilemma eher wie bei erwachsenen Menschen gelagert: | |
Wenn sie nicht lügen, gehen sie unter Umständen leer aus, und umgekehrt | |
erreichen sie mitunter nur mit Lügen das von ihnen Begehrte. So wurde | |
beispielsweise ein junger Pavian dabei von dem schottischen Zoologen | |
Richard Byrne beobachtet, wie er sich einem Weibchen näherte, die gerade | |
eine begehrte Knolle freilegte. Dort fing er jämmerlich an zu schreien, so | |
dass seine Mutter herbeilief und das arglose Weibchen angriff, woraufhin | |
ihr Sohn sich in Ruhe über die Knolle hermachte. | |
Diesen Trick wiederholte er in einer ähnlichen Situation: „Zielgerichtet | |
missbrauchte er den Hilferuf,“ schreibt die SZ, die als ein weiteres | |
Beispiel einen Schimpansen namens Yeroen erwähnt, der im Zoo von Arnhem | |
lebte: „Nach einem verlorenen Kampf gegen das neue Alphamännchen humpelte | |
der abgesetzte, offenbar schwerverletzte Chef davon. Kaum war er allerdings | |
aus dem Blickfeld des Siegers verschwunden, konnte Yeroen wieder völlig | |
normal gehen.“ | |
Die Welt erwähnt den dänischen Verhaltensforscher Anders Møller: „Er hat | |
beobachtet, wie Schwalbenmännchen ihre Bräute von Seitensprüngen abhalten: | |
Finden sie bei der Rückkehr zum Nest ihr Weibchen nicht vor, stoßen sie | |
Warnrufe aus. Das Weibchen wähnt das Nest in Gefahr und eilt herbei. Sobald | |
alle Eier gelegt sind, spart sich der Eifersüchtige den falschen Alarm: | |
Denn während der Brutzeit ist die werdende Vogelmutter nicht mehr in | |
Paarungsstimmung.“ | |
Eine andere Form der Täuschung ist das Sichtotstellen. Am weitesten geht | |
dabei laut „N24“ die Antillen-Boa: „Bei Gefahr verkrümmt sie sich, verf�… | |
ihre Augen zu einem leblosen Rosa, sondert ein Sekret ab, das nach | |
Verwesung stinkt, und lässt sogar ein paar Tropfen Blut aus ihren | |
Mundwinkeln rinnen. Sobald sich der Angreifer abwendet, schlängelt sich die | |
Untote davon. Stellt sich hingegen ein Fuchs tot, hat er Hunger. Bereits in | |
Tierbüchern des 12. Jahrhunderts steht, er gebärde sich als sein eigener | |
Leichnam, um aasfressende Krähen anzulocken.“ | |
Viele Tiere täuschen, indem sie sich nicht nur im Verhalten, sondern auch | |
optisch einer anderen Art annähern. Bekannt sind die harmlosen | |
Schwebfliegen, die das Aussehen von Wespen angenommen haben, um | |
gefährlicher auszusehen als sie sind. Mit einer solchen „Mimikry“ versuchen | |
auch harmlose Schmetterlinge und Schlangen ihren Fressfeinden zu entkommen, | |
indem sie das Aussehen von giftigen angenommen haben. | |
Dazu sind auch Pflanzen in der Lage, Orchideen zählt man zum Beispiel zu | |
den „Täuschblumen“, weil sie für ihre Befruchtung zwar Insekten durch For… | |
Farbe und Geruch anlocken, aber gar keinen Nektar in ihren Blüten für sie | |
produzieren. | |
## Flunkerndes Chile | |
Die chilenische Kletterpflanze Boquila vermag es tatsächlich, die Blätter | |
von bis zu drei verschiedenen Bäumen nachzuahmen. Sie schützt sich auf | |
diese Art und Weise wirksam vor Fressfeinden, die besonders in Form von | |
Schnecken und Käfern auftreten. Das „journal ‚pflanzenforschung.de‘“ | |
schreibt, dass „die Kletterpflanze die Blätter der Bäume, um die sie sich | |
rankt, in punkto Farbe und Form, Stiellänge und Blattgröße sowie bezüglich | |
der Blattdicke und Ausrichtung imitiert. Mitunter bildet sich sogar ein | |
kleiner Blattstachel an der Blattspitze, wenn dies auch beim Wirt der Fall | |
ist.“ | |
Ganz anders gelagert ist der Fall bei den Pflanzen der südafrikanischen | |
Gattung Lithops: Sie sehen Steinen zum Verwechseln ähnlich (und zwar | |
äußerst verschiedenen Steinen, je nachdem, wo sie wachsen), um | |
Pflanzenfresser zu täuschen. Man nennt sie deswegen auch „lebende Steine“. | |
## Wikipedia und Flunkern | |
Wie machen sie das bloß? Die uns immer nur mit den zufällig mutierenden | |
„Genen“ arg langweilenden Darwinisten müssen sich in solchen Fällen den so | |
sehr verhassten Lamarckisten annähern, indem sie diesen Pflanzen laut | |
Wikipedia „einen hohen Grad von phänotypischer Plastizität“ attestieren: | |
„Je stärker der Einfluss von Umweltfaktoren auf den Phänotyp ist, desto | |
höher auch die phänotypische Plastizität.“ | |
Soll heißen, dass die Boquilas und Lithops im krassen Gegensatz zu fast | |
allen anderen Pflanzen, die sich weitgehend gleich bleiben, einem besonders | |
starken Umweltdruck ausgesetzt sind. Das allerdings ist jedoch eine allzu | |
durchsichtige Erklärung, die bloß vortäuscht, etwas zu erklären. | |
Man sagt ja bekanntlich, dass ein „gezieltes Täuschungsmanöver“ Bewusstse… | |
voraussetzt. Könnte es sein, dass in der Botanik mehr davon vorhanden ist | |
als bei den Botanikern? | |
4 Dec 2017 | |
## AUTOREN | |
Helmut Höge | |
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