| # taz.de -- Die Verantwortung von Wut: Alle sind wütend, niemand räumt auf | |
| > Wut ist ein wichtiges politisches Instrument und verbreitet sich oft sehr | |
| > schnell. Warum Freundlichkeit aber genauso wichtig ist. | |
| Bild: Wir werfen Wut in digitale Räume, und dann räumt niemand auf | |
| Um mich herum sind alle wütend. Natürlich gehöre ich auch dazu. Zu diesem | |
| Zeitpunkt, in diesem Land, in allen Situationen, in denen wir uns befinden, | |
| wabert eine konstante Grundwut durch meinen Körper. Sowieso haben sich der | |
| Rhythmus und die Intensität verändert, mit der mich Gefühle ausfüllen. Ich | |
| bin wütend, dankbar, entsetzt, glücklich, müde, zuversichtlich und | |
| hoffnungslos. Alles legt sich übereinander und wechselt sich so schnell ab, | |
| dass ich kaum hinterherkomme. | |
| Als Kind habe ich gelernt, [1][dass Wut ein Problem ist], dass sie | |
| runtergeschluckt werden muss. Dabei ist Wut ein valides Gefühl und ein | |
| wichtiges politisches Werkzeug. Sie bricht mit der Choreografie der | |
| Höflichkeit und ist als strategisches Mittel besonders da nötig, wo sich | |
| die vermeintlich Anständigen hinter ihren Umgangsformen verstecken, um | |
| Mangel an Haltung zu kaschieren. Aber die Sache mit der Wut ist, dass sie | |
| immer auch Dreck macht. Auch da, wo sie keinen machen sollte. | |
| Wir werfen Wut in alle Räume, die digitalen und die analogen, und dann | |
| räumt niemand auf. In der Welt, die ich kenne, fehlen vielen die | |
| Ressourcen, die eigene Wut zu sortieren und in die richtige Richtung zu | |
| lenken. Das ist keine Schwäche, sondern ein Resultat von Ungerechtigkeit. | |
| Aber diejenigen, die von der Wut getroffen werden, stehen oft alleine da. | |
| Es gibt Leute, die werfen auf das erstbeste Ziel, ohne Rücksicht auf | |
| Verletzungen. Es gibt Leute, die sich nicht mehr verantwortlich fühlen für | |
| ihre Wut, wenn sie sie losgeworden sind. Neu ist das nicht, seit Jahren | |
| fahren wir diese Straße, gucken aus dem Fenster und zählen den Roadkill. | |
| ## Freundin der Freundlichkeit | |
| [2][Wut ist selten das erste Mittel]. Sie wächst über Jahrzehnte und speist | |
| sich aus vergeblichen Kämpfen, die viele vor uns austragen mussten. Wut | |
| wächst, wenn das Bitten, das Fordern und das Diskutieren zu keiner | |
| Veränderung führen – oder wenn nicht einmal Raum für diese Formen der | |
| Teilhabe gegeben wird. Wut türmt sich vor verschlossenen Türen, manchmal | |
| drückt sie sie auf. Wut ist nötig, aber sie ist nie allein, und ich frage | |
| mich, warum wir so tun, als wäre sie es. | |
| Ich war [3][immer eine Freundin der Freundlichkeit], ich habe mich oft | |
| gefragt, warum. Will ich freundlich sein, weil ich gefallen will, weil ich | |
| eine Frau bin, weil ich eine nichtweiße Frau bin? Oder will ich freundlich | |
| sein, weil es mir und der Welt gut tut? Das sind legitime Fragen und in | |
| allen finde ich etwas Wahrheit. | |
| Ich finde, wir müssen uns nicht entscheiden. Wir sind beides, wütend und | |
| freundlich, wir können lernen, was in welche Richtung gehört, und uns | |
| fragen, wann Wut eine Person meint und wann einen Systemfehler. Ich sage | |
| können, niemand muss. Das ist keine Scheindebatte des Sollens, sondern ein | |
| Lob des Wollens. Ich bezweifele, dass wir Wohlwollen verlernt haben. | |
| Wir breiten nur eben die Wut aus, in allen Räumen, in denen sie ein | |
| Anliegen hat, und vergessen oft, das auch mit Freundlichkeit zu tun. | |
| 17 Mar 2021 | |
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| ## AUTOREN | |
| Lin Hierse | |
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