# taz.de -- Deutsches Fernsehen: Schadenfreude ist für Boom-Zeiten | |
> Unterhaltungs-TV in Deutschland ist entweder „retro“ oder aus dem Ausland | |
> kopiert. Die Branche lechzt nach Innovation und neuen Talenten. | |
Bild: Parshad Esmaeli macht Comedy bei „Funk“ | |
„Ich bin ein Star – Holt mich hier raus!“, „Germany’s Next Topmodel�… | |
Bachelor“ oder „Let’s Dance“ – diese und eine Handvoll anderer | |
Unterhaltungsformate sind seit Jahren, wenn nicht Jahrzehnten, die Krönung | |
deutscher Fernsehunterhaltung. Und sie stammen alle aus dem Ausland. Damit | |
nicht genug, konnte sich in den letzten Jahren zusätzlich noch ein | |
[1][„Retro-Trend“] etablieren, mit einstmals erfolgreichen Sendungen, die | |
noch mal aus der Versenkung geholt wurden, etwa „Die 100.000 Mark Show“, | |
„TV total“ und „Der Preis ist heiß“. | |
Fragt sich: Fällt den TV-Macher*innen eigentlich nicht mal was Neues ein? | |
Entstehen endlich einmal wirklich gute neue Ideen, müssen diese dann auch | |
über Jahre als Beleg für die Qualität deutscher TV-Unterhaltung herhalten, | |
so wie die Shows von Joko und Klaas oder von Jan [2][Böhmermann], die bei | |
den einschlägigen Fernsehpreisen regelmäßig abräumen. | |
René Jamm, Geschäftsführer von Warner Bros. International TV Production | |
Germany, ist sich sicher: „Die klassische non-fiktionale Unterhaltung holen | |
sich viele Menschen sowieso nicht mehr aus dem TV – sondern eher aus den | |
sozialen Netzwerken.“ Dort entwickelten sich auch Comedians, die gar nicht | |
mehr ins Fernsehen wollten. Jamms Firma produziert unter anderem den | |
ZDF-Quotenerfolg „Bares für Rares“ sowie „Der Bachelor“. Er sagt: „D… | |
großen Sender versuchen letztlich, die ältere, weibliche Zielgruppe | |
anzusprechen, das junge spitze Publikum ist da nicht mehr erreichbar.“ Für | |
die öffentlich-rechtlichen Sender ist das ein Problem, da sie sich mit | |
einer im Schnitt über 60-jährigen Zuschauerschaft dringend verjüngen wollen | |
und müssen. | |
„Für die nächsten Jahre wollen wir die Zielgruppe der 25- bis 35-Jährigen | |
in den Fokus nehmen“, sagte Isa Ostertag vom ZDF vor Kurzem auf einer | |
Comedy-Fachtagung und gestand damit ein gewisses Versäumnis ein. „TV-Marken | |
wie ‚heute show‘, ‚Studio Schmitt‘, ‚Die Anstalt‘ oder [3][‚ZDF M… | |
Royal‘ haben wir seit 2015 bereits] auch auf allen Plattformen ausgebaut.“ | |
Sendungen wie „ZDF Magazin Royale“ oder „heute show“ erreichen auf Yout… | |
über 1,3 Millionen Aufrufe. | |
## Das entscheidende Genre | |
Für die ZDF-Mediathek und Youtube werden aber nicht nur eigene TV-Inhalte | |
nach dort übertragen, sondern eigene Formate entwickelt, etwa „Bosetti will | |
reden!“ für die ZDF-Mediathek, die Comedienne Parshad für Funk, ebenso | |
„Aurel“. „Mittelpunkt unserer Verjüngungsstrategie ist die ZDF-Mediathek… | |
sagte Ostertag, „das Meiste senden wir dort, aber auch auf ZDFneo.“ | |
Überhaupt ist Comedy das entscheidende Genre, wenn man das junge Publikum | |
erreichen möchte, auch für die [4][Streamer]. Das bekräftigt der Leiter | |
Unterhaltung Deutsche Originals bei Amazon Studios Volker Neuenhoff. Zu | |
seinen Produktionen zählt unter anderem die aktuelle Erfolgs-Show „LOL – | |
[5][Last One Laughing]“: „LOL war unser erster großer Schritt. Es steht f�… | |
das, was wir strategisch planen. Es geht um Inhalte, die man so nicht | |
findet, und darum, ‚home of talent‘ zu sein.“ Aber selbst „LOL“ ist e… | |
Erfindung der japanischen Amazon-Kollegen, auch wenn die deutsche Version | |
jetzt für den International Emmy nominiert war. Talente zu gewinnen und zu | |
binden, ist für Prime ebenfalls eines der wichtigsten Ziele, und so freut | |
sich Neuenhoff über die Verpflichtung von Teddy Teclebrhan, „einem der | |
vielseitigsten deutschen Entertainer.“ | |
Retro-Formate würden bei den Streaming-Anbietern jedenfalls nicht | |
funktionieren. Innovation sind für sie lebensnotwendig, denn was im Free TV | |
zu sehen ist, wird das zahlende Publikum nicht interessieren. Dass im | |
Fernsehen wenig neue Unterhaltungsideen auftauchen, ist vor allem die Folge | |
eines immer härteren Wettbewerbs. So sieht es zum Beispiel der israelische, | |
in der Branche renommierte Entertainmentproduzent Avi Armoza: „Die Märkte | |
konsolidieren sich, während die Konzentration weniger großer | |
internationaler Mediengruppen voranschreitet. Das reduziere Wettbewerb | |
sowie Innovation. „Also bleibt man auch bei dem, was man hat, und was | |
funktioniert.“ Langfristig kann solch eine Strategie aber nicht | |
funktionieren. Alle „großen“ Shows haben über die Jahre deutlich an | |
Zuschauer*innen verloren. Damit ist auch klar, dass die aktuelle | |
Retro-Welle nur auf einem ersten Nostalgie-Effekt basiert und sicher kein | |
Langläufer wird. | |
„Letztlich geht es immer darum, Geschichten zu erzählen, jedes Format ist | |
eine Story, wir alle müssen essen, trinken, daten, heiraten, singen, tanzen | |
– das sind die Schlüsselelemente, auch für die Zukunft“, beschreibt Armoza | |
den Kern seines Business. Die Herausforderung dabei: immer neue Wege zu | |
finden, um diese Geschichten neu zu erzählen. „Das kann auch über neue | |
Technologien geschehen, die uns die Möglichkeit neuer Erzählformen geben.“ | |
Sein Unternehmen beispielsweise hat in diesem Jahr „Family Piggy Bank“ auf | |
den Markt gebracht. Die Gameshow findet in einem CGI-Set statt. | |
## Mutiger sein | |
Dabei sind Bedarf sowie Nachfrage in den aktuellen Krisenzeiten größer denn | |
je, denn die Menschen brauchen Zerstreuung. Das bestätigt Jens Richter, | |
Geschäftsführer von einem der weltgrößten Formatehändler, Fremantle | |
International (Pop Idol, GZSZ): „Schadenfreude-Formate sind in diesen | |
Phasen allerdings eher out, die sind mehr in Boom-Zeiten gefragt.“ | |
René Jamm jedenfalls ist überzeugt, dass auch in Deutschland viel mehr | |
Innovatives entstehen könnte, wenn Produzent*innen sowie Sender mutiger | |
wären und mehr Durchhaltevermögen beweisen würden: „Wir müssen bei Comedy | |
endlich wieder aus der Deckung rauskommen, was die Political Correctness | |
angeht, auch aus der Diskussion um Diversität. Ich wünsche mir überhaupt | |
mehr anarchistische Sketchcomedy und gesellschaftlich relevantere | |
Programme.“ Und das wünschen wir uns mit ihm. | |
5 Jan 2023 | |
## LINKS | |
[1] /Wetten-dass-und-TV-Total-zurueck/!5879754 | |
[2] /Jan-Boehmermann/!t5008189 | |
[3] /Jan-Boehmermann-im-ZDF-Hauptprogramm/!5726806 | |
[4] /Streaming/!t5007927 | |
[5] /Ueber-den-Kampf-gegen-das-Lachen/!5834676 | |
## AUTOREN | |
Wilfried Urbe | |
## TAGS | |
Fernsehen | |
Comedy | |
Öffentlich-Rechtlicher Rundfunk | |
Privatfernsehen | |
Jan Böhmermann | |
Kolumne Flimmern und Rauschen | |
Lokaljournalismus | |
Kolumne Postprolet | |
Kurt Krömer | |
ZDF Neo | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Anzeige wegen Satanismus-Sendung: Böhmermann hat Probleme | |
Böhmermanns Team soll für eine Sendung über rituelle Gewalt angeblich auf | |
rechtswidrigen Weg recherchiert haben. Vor Ausstrahlung gab es eine | |
Anzeige. | |
TV-Sender sieht duales System gefährdet: Stoiber kämpft für ProSiebenSat.1 | |
Der Beirat von ProSiebenSat.1 kritisiert, dass die Privatfernsehgruppe in | |
einem ungleichen Wettbewerb mit den Öffentlich-Rechtlichen steht. Doch | |
Annäherungsversuche scheitern. | |
Medienpolitik im Jahr 2023: Berlusconi auf ProSieben? | |
Der Rundfunk braucht Reformen, Alternativen zu Twitter wollen gefunden, | |
Papierzeitungen gerettet werden. Was in der Medienwelt 2023 wichtig wird. | |
Soziale Ungleichheit im Freundeskreis: Schweigen über Geld | |
Ein Beitrag des Jugendformats „Funk“ über den Umgang mit Armut im | |
Freundeskreis hat für Aufregung gesorgt. Er mag missglückt sein, aber ist | |
auch ehrlich. | |
Aus für RBB-Sendung „Chez Krömer“: Die Katze ist tot | |
„Chez Krömer“ von Kurt Krömer wird abgesetzt. Die TV-Sendung lebte von der | |
Konfrontation mit unliebsamen Gästen wie Frauke Petry oder Diether Dehm. | |
Jan Böhmermann im ZDF-Hauptprogramm: Bissiges Infotainment | |
Deutschlands wichtigster Showmaster Jan Böhmermann ist wieder auf Sendung. | |
Die erste Episode des „ZDF Magazin Royale“ zeigt Botschaft und Haltung. |