# taz.de -- Der „letzte Deutsche“: Botho Strauß im Schlussverkauf | |
> Götz Kubitschek bezeichnet ihn als seinen Lehrer. Nun legt der Rowohlt | |
> Verlag die gesammelten Bocksgesänge des dichtenden Sprengmeisters vor. | |
Bild: Botho Strauß – in rückständigem Schwarz-Weiß | |
Der Reaktionär ist ein Bewohner der Resterampe. Er lebt von den Rückständen | |
abgelebter Ideologien. Mit seinem Ressentiment gegen eine Gegenwart, die | |
ihn überfordert, hält er das Gedankengut im Verwesungszustand künstlich am | |
Leben, ein Zombiezustand. Wie andere Gärprozesse produziert das manchmal | |
interessant duftende Gifte. Botho Strauß, schon lange ein bekennender | |
Reaktionär, bietet mit seinem neuen Buch jede Menge solcher Rückstände an. | |
Der Titel verspricht eine „Expedition zu den Wächtern und Sprengmeistern“. | |
Gemeint sein dürften die „Wächter“ und „Sprengmeister“ einer | |
Traditionslinie der Antimoderne, in die sich Strauß stellt. | |
Der Untertitel deutet kommende Aufstände an, als könnte der Dichter in | |
seinem Landhaus in der Uckermark den großen Knall kaum erwarten: „In der | |
Ferne tuten die kleinen Signalhörner und warnen, dass eine Sprengung | |
bevorsteht.“ Das Bild ist putzig wie die kleinen Signalhörner, aber es | |
spielt mit der Gewaltfantasie von einem in die Luft gejagten System. Das | |
Buch hält, was sein Titel verspricht. | |
In den hier versammelten Aufsätzen über das Zeitgeschehen, über | |
konservative und sehr konservative Literaten, einige Maler und bewunderte | |
Theaterkünstler begegnet man dem Autor als etwas schrulligem | |
Wünschelrutengänger auf der Suche nach den verschütteten Quellen einer | |
irgendwie archaischen, zeitenthobenen Wahrheit. | |
## Umsonst gelächelt | |
„Der alte hohe Herr“, wie Strauß in seinem jüngsten, im vergangenen Jahr | |
erschienenen Prosawerk („zu oft umsonst gelächelt“) sein Alter Ego ganz | |
ironiefrei nennt, wechselt dabei zwischen sensiblen Beobachtungen, | |
Hassausbrüchen und orakelnden Andeutungen. Begriffliche Klarheit, | |
durchgeführte Argumente sind offenkundig nicht das Ziel des Antiaufklärers. | |
Nichts an diesem neuen Buch ist neu, und das nicht nur, weil es auf den | |
ersten 280 Seiten leicht überarbeitete Zweit- und Drittverwertungen | |
bekannter Aufsätze versammelt. Einige, vor allem die klugen, unendlich | |
differenzierten Porträts, die Strauß seinen Theaterweggefährten der alten | |
Schaubühne der 1970er Jahre gewidmet hat, sind noch immer eine | |
faszinierende Lektüre. | |
Sie zeigen ein empfindsames, ungemein ernsthaftes und kenntnisreiches, auch | |
kollektives (oder, weil Strauß Kollektive vermutlich hasst: gemeinsames) | |
Nachdenken über Theater. Andere, vor allem die gereizten Versuche zur | |
Zeitdiagnose („Anschwellender Bocksgesang“), sind mit den Jahrzehnten nicht | |
besser geworden. | |
## Aggressives Gebräu | |
Wirkte das Gebräu aus aggressivem Ressentiment, Verstiegenheiten, | |
gedanklicher Wirrnis, „Ahnen“, „Sittengesetz“, Blut-und-Boden-Geraune in | |
den 1990er Jahren noch wie das eines überspannten Romantikers auf dem | |
esoterischen Holzweg, bizarr, aber ohne politische Bedeutung, kann man sich | |
heute bei der politischen Wirkungslosigkeit nicht mehr so sicher sein. | |
Gebündelt und mit zeitlichem Abstand lesen sich die Essays als Dokumente | |
eines sich seit Beginn der 1990er Jahre immer stärker radikalisierenden, in | |
die selbstgewählte Ausweglosigkeit mündenden reaktionären Denkens eines | |
bedeutenden Schriftstellers. | |
Dass Strauß statt als herausragender Autor von Zeitgeistkomödien | |
(„Kalldewey, Farce“), Beobachter verunglückter Intimbeziehungen („Die | |
Widmung“), Großstadtflaneur („Paare, Passanten“) oder Sammler von | |
Erinnerungsbruchstücken („Herkunft“) immer öfter als völkischer Mystiker… | |
Erscheinung tritt, ist nicht der geringste Verlust auf diesem Weg. | |
Es ist in diesem Zusammenhang hilfreich, die Elogen des Strauß-Verehrers | |
Götz Kubitschek in den Blick zu nehmen. Der Pegida-Redner und Publizist, | |
ein in seiner Szene einflussreicher Propagandist eines intellektuell | |
aufgerüsteten Rechtsradikalismus, ist eng verbunden mit Aktivisten der | |
Identitären Bewegung, mit dem AfD-Politiker Björn Höcke und dem wegen | |
Volksverhetzung verurteilten Krawallautor Akif Pirinçci. | |
## Fanfarenstoß für Deutschland | |
Kubitschek feiert Strauß als „Lehrer“ und schwärmt vom „tiefen | |
Deutschland“, dessen „Versinken“ Strauß bis heute betrauere. Strauß’ | |
Skandalessay „Bocksgesang“ von 1993 mit seinen martialischen Endzeit- und | |
Kulturkampfszenarien („Zwischen den Kräften des Hergebrachten und denen des | |
ständigen Fortbringens, Abservierens und Auslöschens wird es Krieg geben“) | |
ist für Kubitschek nicht weniger als ein „Fanfarenstoß“, ein „Code-Text… | |
die deutsche intellektuelle Rechte“, der „Grundpfeiler unserer | |
Selbstvergewisserung“. | |
Kubitschek dürfte sehr genau wissen, wovon er redet, wenn er ihn als ein | |
Gründungsmanifest der neuen extremen Rechten liest: „Alles, was nun kippt, | |
was sich intellektuell, kulturell nach rechts neigt, hat mit | |
dem,Anschwellenden Bocksgesang' einen unterirdischen Anker.“ Freimütig | |
bekennt der rechte Publizist, dass der Name seiner Zeitschrift Sezession | |
einem „Bocksgesang“-Zitat entlehnt ist („Das einzige, was man braucht, ist | |
Mut zur Sezession“). | |
Jeder Autor hat die Leser, die er verdient. Soweit bekannt, hat sich Botho | |
Strauß nicht gegen diese Inanspruchnahme durch einen [1][Lautsprecher des | |
Rechtsextremismus verwahrt.] Kubitschek ist ein genauer Leser. Man wird ihm | |
nicht vorwerfen können, irgendetwas bei Botho Strauß missverstanden zu | |
haben. | |
Wer in der Strauß-Rezeption ausblendet, wie anschlussfähig ein gereizter | |
Kulturpessimismus an die Debatten des offen rechtsradikalen Milieus ist | |
(oder wie die Zeit großzügig einen Vorabdruck des neuen Strauß-Buches | |
veröffentlicht), demonstriert Verdrängungswillen. Oder bemerkenswerte | |
Ignoranz. | |
## Üble Tradition | |
Es sind Schnittmengen mit langer, übler Tradition, bis hin zu Thomas Manns | |
„Betrachtungen eines Unpolitischen“, in denen „bürgerlicher“ | |
Kulturkonservativismus sich mit der Verachtung von Zivilisation, | |
Liberalismus, Demokratie verbindet. Dieser Link ist es, der Strauß mit oder | |
ohne seine explizite Zustimmung als Weggefährte und strategischen Partner | |
für Demokratiefeinde wie Kubitschek interessant macht. | |
Trotzdem taugt das Buch nicht zum Skandal, auch wenn Strauß in die hier zum | |
ersten Mal publizierten Notizen („Sprengsel“) einige Reizvokabeln streut | |
(„Toleranz und Diversität werden verordnet wie vormals die patriotische | |
Gesinnung“, „die natürliche Anlage der Diskriminierung“). Vielleicht fol… | |
das der Hoffnung auf etwas Aufmerksamkeit in Form von Aufregung, also das, | |
was Die Ärzte einen „stummen Schrei nach Liebe“ nennen. | |
Die Litanei der Verluste sammelt Lesefrüchte, ist auf Dauer aber etwas | |
monoton. Die Ausfälle gegen die Popkultur („Song-Lyrik mit ihrem | |
Alltagsgebarme und ihrem Aufsässigkeitskitsch“) wirken routiniert und in | |
etwa so gut informiert wie die armen Kulturkonservativen der 1950er Jahre, | |
die den Rock ’n’ Roll für den Untergang des Abendlandes hielten. | |
Das Selbstbild als Mönch, der sich hinter dicken Klostermauern die | |
Zumutungen der Zeit vom Leib hält, ist purer Kitsch. Wenn auch gestelzt | |
formuliert: „Der Autor der Weile wird sich mit der Aufgabe | |
mittelalterlicher Mönche konfrontiert sehen, die in vergesslicher Zeit für | |
den Transport der großen Werke der Literatur und Denkkunst zu sorgen | |
haben.“ Geht’s noch, möchte man seufzen: „Autor der Weile“! „Mittela… | |
„Mönche“! „Denkkunst“! | |
## Tiefe des Erinnerns | |
Die sprachlichen Bilder sind so abgegriffen wie die Gedanken: „Alle | |
höchsten Gipfel sind genommen. Dafür stehen in der Tiefe des Erinnerns | |
Rekorde noch aus.“ Die Vergangenheit scheint vor allem dazu da zu sein, | |
sich selbst „in der Tiefe des Erinnerns“ zu spiegeln. | |
Ohne falsche Bescheidenheit parallelisiert sich der Autor mit Hölderlin, | |
„Seher aus Sehnsucht, der von Verlust Durchglühte […] und aus Verlust | |
entstieg ihm das Kommende.“ Und sofort wird wieder orakelt: „Doch was ließe | |
sich ahnen heute?“, fragt der Seher aus der Uckermark. Hölderlin, Verlust, | |
Ahnung, Glut, „das Kommende“ (was immer das sein soll, vermutlich das | |
Gegenteil der banalen Gegenwart), das sind so die Assoziationsketten auf | |
der Suche nach erhabener Größe. | |
Es ist die Kombination aus Larmoyanz und hochfahrender Pose („Ich bin ein | |
Subjekt der Überlieferung, und außerhalb ihrer existiere ich nicht“), die | |
diese schwer von sich selbst faszinierten Selbstporträts so unangenehm | |
macht: „Manchmal ist ihm zumut, nur bei den Ahnen noch unter Deutschen zu | |
sein. Ja, er ist der letzte Deutsche. Ein Strolch, ein in heiligen Resten | |
wühlender Stadt-, Land- und Geiststreicher. Ein Obdachloser.“ | |
Das will anrüchig und skandalös sein, ist aber vor allem unfreiwillig | |
komisch, wenn der letzte Deutsche mit Hang zum Altertümeln („ist ihm | |
zumut“) in einem verqueren Stil schlechtes Deutsch schreibt. | |
19 Sep 2020 | |
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## AUTOREN | |
Peter Laudenbach | |
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