# taz.de -- Depressionen und die Coronakrise: Das Virus kann auch helfen | |
> Psychotherapeuten berichten: Das „handfeste Alltagsproblem“ Corona | |
> relativiere bei manchen Patienten das persönliche psychische Leid. | |
Bild: Einsamkeit und Isolation wird zu Coronazeiten noch verschärft | |
Es gibt auch gute Nebenwirkungen in Zeiten von Corona. „Die Coronakrise hat | |
überraschend auch die Eigenschaft, zu stützen“, berichtet die | |
Psychotherapeutin Natalia Erazo aus Eching bei München. „Das psychische | |
Leid rückt bei manchen etwas aus dem Zentrum des Erlebens, es scheint in | |
der Corona-Sorge etwas aufgehoben. Es gibt nun Konkretes zu besprechen, zu | |
organisieren, zu erschaffen.“ | |
Die Beobachtungen von Erazo finden sich in einer Sammlung von Berichten | |
darüber, was sich in psychotherapeutischen Praxen und Beratungsstellen | |
durch die Coronakrise verändert hat. Die Berichte, besonders aus ländlichen | |
Regionen, hat die [1][Bundespsychotherapeutenkammer] veröffentlicht und es | |
zeigt sich ein unerwartet differenziertes Bild. | |
Die PatientInnen hätten jetzt „handfeste Alltagsprobleme“, was das | |
persönliche psychische Leiden relativiere, stellt Erazo fest. Das erinnert | |
an Forschungen in Kriegsgebieten, wonach die Panikwerte bei ausgewiesenen | |
Angstpatienten in einer realen Bedrohungssituation nicht steigen, sondern | |
sogar [2][sinken] können. Krankhafte Panikattacken spielen sich in einem | |
[3][anderen Hirnareal] ab als die Furcht vor einer realen Bedrohung. | |
Bei Erazo nehmen zwei Drittel der PatientInnen die Möglichkeit der | |
Videobehandlung wahr. Dies ist nicht jedermanns Sache, schließlich sitzen | |
die Leute in ihren Privaträumen vor dem Bildschirm und reden über Trauer | |
und Angst, während möglicherweise der Partner im Nebenzimmer rumort und das | |
Bild auch mal wackelt. „Der Schutzraum der Praxis fehlt“, meint Erazo. Auch | |
die TherapeutInnen müssten sich mehr konzentrieren, wenn sie nur das | |
Gesicht und die Stimme der Patientin auf dem Bildschirm vor sich haben, | |
heißt es in den Berichten. | |
## Videokontakt für soziale Phobien | |
Für Kinder und Jugendliche, die unter einer sozialen Phobie, also unter | |
Kontaktangst leiden, kann die Umstellung von einer persönlichen auf eine | |
Video-Therapie auch eine Entlastung bedeuten. Diese Video-Gespräche | |
verliefen „einfacher als normal“ heißt es in dem Bericht von Christine | |
Breit, Kindertherapeutin in Neuhausen in Baden-Württemberg. | |
Depressive Kranke fühlen sich durch Corona möglicherweise sogar etwas | |
entlastet, weil die anderen ja derzeit auch kein tolles Sozialleben haben. | |
Für die Behandlung ergibt sich aber ein Problem. „Als Psychotherapeut | |
empfehle ich ihnen normalerweise genau das Gegenteil. Ich versuche, sie zu | |
aktivieren, sie zu motivieren, etwas zu unternehmen und Familie und | |
FreundInnen zu treffen“, erklärt der Psychotherapeut Hans-Peter Brettle im | |
rheinland-pfälzischen Landkreis Wittlich. | |
Corona ist Stress: Existenzängste belasten die PatientInnen, die Kinder | |
müssen zu Hause betreut werden. In manchen Familien „hocken sich gerade | |
alle sehr eng auf der Pelle. Für einige bestehen jetzt zu wenig | |
Rückzugsmöglichkeiten“, schildert Oleg Winterfeld, Psychotherapeut im | |
rheinland-pfälzischen Alzey. | |
Jörg Hermann, Psychotherapeut im niedersächsischen Landkreis Wolfenbüttel, | |
berichtet von dem Fall einer chronisch-depressiven Mutter, der die | |
gewohnten Tagesabläufe verlorengingen. Da die Kinder nicht mehr zur Schule | |
gingen, fiel der fixe Startpunkt am Morgen weg. „Insbesondere psychisch | |
erkrankte Menschen haben jetzt noch größere Schwierigkeiten, das innere | |
Gleichgewicht zu wahren“, so Hermann über die Coronakrise. | |
Die Erfahrungen in der Coronakrise sind auch ein unfreiwilliger | |
Großversuch, was die Videosprechstunden betrifft: Es zeigen sich die | |
Möglichkeiten und Grenzen künftiger Fernbehandlungen, und das ist bedeutsam | |
für die künftige Versorgung im ländlichen Raum. Dort mangelt es an | |
TherapeutInnen vor Ort. | |
15 May 2020 | |
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## AUTOREN | |
Barbara Dribbusch | |
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