| # taz.de -- Demokratieförderung des Bundes: Geld allein macht nicht glücklich | |
| > Der Staat investiert viel Geld in Großprogramme zur Demokratieförderung. | |
| > Was können diese überhaupt leisten? | |
| Bild: Nich jede „Demokratieförderung“ kommt vom Bund Unteilbar-Demo in Dre… | |
| Demokratie, die Herrschaft des Volkes, bedeutet in Deutschland für die | |
| meisten Volljährigen, regelmäßig frei und geheim ihre | |
| Repräsentant*innen wählen zu können. Gerade Jüngere halten das für | |
| selbstverständlich, sie kennen kein anderes politisches System. Und | |
| Demokratie bedeutet, die eigene Meinung frei äußern zu dürfen, auch wenn | |
| einige dabei gern weiter gehen würden, als es das Grundgesetz erlaubt. Doch | |
| demokratisches Leben ist noch viel mehr als wählen gehen und | |
| Meinungsfreiheit. | |
| Wie wir zusammenleben möchten, muss in einer Demokratie immer wieder aufs | |
| Neue ausgehandelt werden. Und manchmal braucht es eine Erinnerung, wie sehr | |
| wir von unserem politischen System profitieren. Es braucht | |
| Überzeugungsarbeit – ob im Betrieb oder in der Kneipe. Um diese Arbeit zu | |
| fördern, hat der Staat 2001 beschlossen, Geld zu verteilen. Zusammengefasst | |
| hat er das mit dem Begriff Demokratieförderung. | |
| Was heißt das? Konkret geht es um Fördergroßprogramme des | |
| Familienministeriums, wobei Geld an Organisationen und Bürger*innen | |
| verteilt wird, die sich um die Demokratie kümmern. Unterstützt werden zum | |
| Beispiel Bildungsprojekte für Schüler*innen, Schulungen für | |
| Lehrer*innen, Projekte zur präventiven Extremismusbekämpfung, aber auch | |
| Aussteiger*innenprogramme für Extremist*innen. | |
| In den vergangenen 20 Jahren hat die Regierung konstant immer mehr Geld | |
| dafür bereitgestellt, [1][Kritik gab es trotzdem]. Das Problem: Bisher | |
| liefen diese Großprogramme maximal fünf Jahre. Somit waren auch die | |
| Förderungen der Projekte immer begrenzt, ihre weitere Existenz stets | |
| bedroht. Nun wird mit „Demokratie leben“ zum ersten Mal ein solches | |
| Großprogramm verlängert. | |
| „Weil Demokratieförderung Planungssicherheit braucht“, begründete | |
| Familienministerin Franziska Giffey (SPD) diese Entscheidung. Mit dem Jahr | |
| 2020 beginnt dann der zweite Förderzeitraum. Jährlich sollen bis 2024 115,5 | |
| Millionen Euro in demokratiefördernde Projekte fließen. Die Entfristung | |
| allein schafft aber keine Planungssicherheit. | |
| Die Kritik an Großprogrammen zur Demokratieförderung ist so alt wie die | |
| Programme selbst. Jedes Mal, wenn diese Programme auslaufen, sagen | |
| Vertreter*innen bisher geförderter Projekte, dass das Geld nicht | |
| reicht. Mit „Demokratie leben“ wurden aber allein 2019 115 Millionen Euro | |
| verteilt. Das ist mehr als in jedem vergleichbaren Programm in Europa. | |
| Viel Unmut gab es wegen der neuen Verteilung der Fördergelder. Besonders | |
| ein offener Brief an das Familienministerium sorgte für Aufsehen. Der Brief | |
| wurde von Joseph Blank und Martin Nanzig von der Deutschen Gesellschaft für | |
| Demokratiepädagogik initiiert und von 315 Organisationen und Personen | |
| unterzeichnet. Wo genau ist das Problem? | |
| „Demokratie leben“ wird vom Bundesministerium als „lernend“ beschrieben… | |
| will flexibel auf den Bedarf der Gesellschaft reagieren. Das heißt, dass | |
| externe Berater*innen Empfehlungen zu einer möglichen Änderung der | |
| Schwerpunkte und zur Verteilung der Gelder aussprechen. Für 2020 bedeutet | |
| das etwa: Es fließt mehr Geld in die Kommunen, also in die Hände der | |
| Bürger*innen. Und es fließt mehr Geld aufs Land. Klingt erst mal gut – | |
| ginge damit nicht einher, dass dafür gerade zivilgesellschaftliche Projekte | |
| weniger gefördert werden, weil das Geld an die Kommunen geht. | |
| Außerdem stellt sich die Frage, wie das Programm überhaupt lernt. | |
| [2][Gerade der rechtsextremistische Anschlag in Halle am 9. Oktober, bei | |
| dem zwei Menschen getötet wurden, zeigt die Brisanz des Themas] – und was | |
| bei der Förderung oft falsch läuft. Gut funktionierende Modellprojekte zur | |
| Rassismus- und Antisemitismusprävention, auch vor Ort in Halle, erfuhren | |
| zeitnah eine Absage weiterer Zuwendungen. | |
| „Demokratie leben“ kann nicht alles heilen, was innerhalb der Gesellschaft | |
| falsch läuft. Die Regierung kann Gelder bezuschussen, beeinflusst | |
| allerdings nicht, welche Anträge aus der Zivilgesellschaft hereinkommen. | |
| Doch mit einer Absage müssen auch etablierte und funktionierende | |
| Projekte regelmäßig rechnen – und somit mit ihrem Aus. Planungssicherheit: | |
| Fehlanzeige. | |
| Die bürokratischen Hürden bleiben, ebenso die Unsicherheit – gerade auch | |
| für jene, an die sich die Angebote wie zum Beispiel | |
| Aussteiger*innenprogramme richten. Und diese Unsicherheit macht | |
| Demokratiearbeit für Bürger*innen auch weniger attraktiv. | |
| Wenn die meisten sich doch einig sind, dass man ein zuverlässiges Netzwerk | |
| aus Expert*innen und Bürger*innen haben möchte, das sich kontinuierlich | |
| für die Demokratie engagiert – woran mangelt es? | |
| Die aktuelle Gesetzgebung erlaubt bisher nicht die Weiterführung von | |
| einzelnen Modellprojekten. Ein neues Gesetz müsste dafür her. Bisher gibt | |
| es aber nur die Forderung von Familienministerin Franziska Giffey und ihrer | |
| Fraktion nach einem solchen „Demokratiefördergesetz“. Bei der Union stieß | |
| der Vorschlag stets auf Ablehnung. | |
| Aber da scheint es jetzt möglicherweise doch Bewegung zu geben. Ende | |
| Oktober hat Innenminister Horst Seehofer (CSU) erstmals öffentlich | |
| Sympathie dafür zum Ausdruck gebracht. | |
| 15 Nov 2019 | |
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| ## AUTOREN | |
| Pia Stendera | |
| Simon Schramm | |
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