# taz.de -- Debütalbum „Love Is“ von Jungstötter: Die Verzweiflung singt … | |
> Der Pfälzer Gothic-Crooner Jungstötter hat mit Ende zwanzig einen | |
> gepflegten Bariton. Sein Gesang erinnert an Nick Cave oder Scott Walker. | |
Bild: Jungstötter ist Ende zwanzig, singt aber wie die großen Popsänger der … | |
Die popkulturelle Bedeutung der pfälzischen Kleinstadt Landau wird eher | |
selten thematisiert. Womöglich liegt es daran, dass diese gen null | |
tendiert. Lassen wir mal außer Acht, dass einer von den Söhnen Mannheims | |
mal da wohnte. Das erste Mal in aller Munde war Landau, als Harald Schmidt | |
– zu seinen anarchistischen Zeiten beim Privatsender Sat1 – die „dicken | |
Kinder von Landau“ als wiederkehrendes Segment in seine Show einbrachte. | |
Kaiserslautern gastierte früher stets in der Sportschau mit seiner | |
Fußballmannschaft, und Ludwigshafen galt als BASF-Chemie-Unort | |
beziehungsweise Heimat von Saumagen-Kanzler Kohl. | |
Ein Glück, dass 2012 die Band Sizarr aus Landau auftauchte; drei | |
Indiejungs, gar nicht so dick, wie Schmidt ehedem von den Kindern dort | |
behauptete. Tief verborgen in ihren Songs schlummerte schon damals eine | |
gewisse Brise despair: das ungute Gefühl, aus einem der abgehängtesten Orte | |
der Republik zu stammen. Dort, wo man in der Kleinbürger-Tristesse zu | |
versauern droht und Musik eines der wenigen probaten Mittel des Ausbruchs | |
ist. | |
Nach zwei vielgelobten Alben hatten sie ihr Pulver verschossen. Obwohl: | |
Sizarrs „Nachbar“ und Leidensgenosse Drangsal, aus dem unweit Landaus | |
gelegenen Dorf Herxheim, hatte währenddessen das „Pfalz“-Gefühl in | |
(Charts-)Höhen befördert. Jetzt folgt das ehemalige Sizarr-Mitglied Fabian | |
Altstötter mit seinem Solodebüt im Windschatten. Der ehemalige | |
Sizarr-Bandkollege P. A. Hülsenbeck hatte Ende 2018 mit „Garden of Stone“ | |
bereits vorgelegt. Alle drei eint, dass sie mittlerweile in Berlin leben. | |
## Äußerst reifes Songwriting | |
Nun, mit Ende zwanzig, hat Altstötter mit seinem Erstling unter dem | |
Pseudonym Jungstötter einen neuen Abschnitt seiner Karriere gelauncht, der | |
sicher von längerer Dauer sein wird. Musikalische Referenzen seines Albums | |
„Love Is“ verweisen auf die großen Croonergestalten des Pop: Nick Cave, | |
Scott Walker und gerne auch mal eine Brise Mark Hollis fließen bei | |
Jungstötter ein. | |
Die HörerInnen erwartet äußerst reifes Songwriting. Lieder vom Schmerz, vom | |
Verlassenwerden und Verlassensein, von der absurden, existenzialistischen | |
Last, in die Welt geworfen worden zu sein: „Love Is“ ist Cioran zum | |
Streamen, am besten bei Reisen alleine in der Bahn oder während banger | |
Stunden im Studentenwohnheim. Als Grundton des Albums darf der Songtitel | |
„Wound Wrapped in Song“ herhalten – glaubt man Jungstötter, dann heilen | |
Schnittwunden am besten, wenn man sie nur eng genug verschnürt. | |
## Fürsorgliche Wärme | |
Zu zweit ist man weniger alleine: Das Arrangement, das Max Rieger von den | |
Stuttgarter Krachmachern Die Nerven als Produzent hier gewählt hat, spendet | |
fürsorgliche Wärme. Man fühlt sich behaglich zwischen den jazzigen, | |
besenreinen und zurückhaltenden Fills von Drummer Manu Chittka und | |
Hülsenbeck, der hier als Gitarrist metallisch schmeckende Anschlagsorgien | |
feiert. | |
Am nächsten bleibt einem dennoch Jungstötters sonore Stimme, die so brutal | |
weit nach vorne geholt wurde, dass es über den Kopfhörer gerne mal so | |
klingt, als säße der schmachtende Sänger mit all seinem Leid direkt auf der | |
Hirnrinde. Bewaffnet mit seinem phänomenal nachklingenden Klavier und einer | |
Stimme, die tatsächlich keinen Vergleich mit den großen Heulbojen des Pop | |
scheuen muss. | |
## Insignien der Maskulinität | |
Was Jungstötter mit den genannten Stars des zärtlichen Songwritings | |
verbindet, ist Campness, die bei ihm aus allen Poren trieft. Selbst wenn | |
der Sänger Jungstötter, mit seiner tätowierten Haut, der standesgemäßen | |
dünnen Kette um den Hals und dem gepflegten Crewcut im Haar, viril | |
rüberkommt – und das alles von seinem gepflegten Bariton untermauert wird | |
–, kann die Musik dies glücklicherweise nicht ungebrochen darstellen. | |
Den Männerfiguren in Christian Krachts Romanen ähnlich, weiß man um | |
Insignien der Maskulinität und bricht sie sogleich. Das sieht man nicht | |
nur, man hört es auch, der feine Männer-Background-Chor in „Sally Ran“ und | |
die Kitschbombast-Pause bei „To Be Someone Else“ fallen einem sogleich auf. | |
Vielleicht schlägt hier ein letztes Mal die Pfalz durch: Unweit der Grenze | |
zu Frankreich, dem Wein nun mal näher als dem Bier, hört man hier mehr | |
Chanson-Überformung statt Rock-Banalität, das Schöne als Antwort auf das | |
Mächtige. Willkommen in der Neuen Deutschen Sanftheit. | |
19 Feb 2019 | |
## AUTOREN | |
Lars Fleischmann | |
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