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# taz.de -- Debütalbum von Rustin Man: Mäandern im Londoner Speckgürtel
> Paul Webb, Bassist der sagenumwobenen britischen Band Talk Talk, hat
> unter dem Namen Rustin Man ein wunderbares Album veröffentlicht.
Bild: Paul Webb in seinem magischen Keller
Wer je vom Flughafen Stansted mit der Bahn durch den Speckgürtel der
britischen Hauptstadt in die Londoner Innenstadt gefahren ist, weiß:
Idyllisch geht anders. Seelenlose Vororte, eine beige Siedlung nach der
nächsten, Gewerbeparks und Schnellstraßen. Irgendwo, ganz in der Nähe des
Flughafens, muss es jedoch einen wahrlich magischen Ort geben – zumindest
der Musik nach zu urteilen, die dort entstanden ist.
In einer umgebauten Scheune in Nordessex lebt und arbeitet Paul Webb alias
Rustin Man. Dort hat der 57-jährige Multiinstrumentalist und Autodidakt wie
auch ehemalige Bassist der Popband [1][Talk Talk] fast im Alleingang sein
Soloalbumdebüt „Drift Code“ eingespielt: eine tolle Ansammlung von Songs,
jeder sehr eigen und doch im Gesamtbild stimmig. Das Album wirkt zugleich
luftig und gewichtig, manchmal progrocky ausufernd, zugleich aber leicht
und jazzig – eine Einladung zum Sichtreibenlassen, die ja schon im Titel
angelegt ist. Webbs Songs wirken intim und sind doch irgendwie nicht ganz
von dieser Welt.
Seit dem Ende von Talk Talk, dieser archetypischen Band der achtziger
Jahre, die sich vom Pop zum Experiment bewegte, hat man wenig von Webb
gehört. 2002 brachte er zusammen mit Portishead-Sängerin Beth Gibbons das
Album [2][„Out of Season“] heraus, dann wurde es wieder lange Zeit still.
„Nachdem wir damals zu dem Album getourt waren, hatte ich Ideen für eigene
Songs. Vor allem wollte ich mit meiner eigenen Stimme arbeiten, was ich nie
zuvor gemacht hatte“, erzählt Webb. „Ich habe mir zwar keine Deadline
gesetzt, aber dass alles nun schon 15 Jahre her ist, ist schon fast ein
bisschen peinlich. Es hat einfach viel Freude gemacht. Da habe ich gar
nicht gemerkt, wie die Zeit vergeht.“
## Einfache Skizzen
Am Anfang standen einfache Skizzen, erzählt Webb, die er dann Schicht um
Schicht angereichert hat. Den voluminösen Sound des Albums schaffte er,
indem er in seiner Studio-Scheune Instrumente und Mikrofone an
verschiedenen Stellen des Raums verteilt hat. „Irgendwann hatte ich
unzählige Aufnahmen. Es war dann eine Mix-&-Match-Arbeit, das so
zusammenzufügen, dass es richtig klang.“
Während Webb in seiner Scheune werkelte und die meisten Parts alleine
einspielte – etwas Unterstützung hatte er von seinem Talk-Talk-Mitstreiter
Lee Harris, dem einstigen Schlagzeuger der Band –, gesellten sich immer
mehr imaginäre Charaktere dazu.
Zum einen, weil er sein Studio, in dem er seit 15 Jahren jeden Tag
arbeitete, wenn die Kinder in der Schule waren, wohnlicher gestalten wollte
„Meine Frau und ich haben ein paar der vielen Instrumente, die da
rumstehen, verkleidet. Mit den Bildern und Skulpturen, die dort ebenfalls
drapiert sind, wirkt es mittlerweile wie eine Kuriositätenkabinett“,
erklärt er. „Oder auch ein Schrottplatz“, fügt er lachend hinzu.
## Wie ein Theaterstück
Zum anderen, weil er über die Jahre diverse Figuren erfand, die er in
seinen Songs zum Sprechen bringt. „Ich wollte unbedingt mit meiner Stimme
arbeiten, habe aber schnell gemerkt, dass es für mich nicht funktioniert,
dabei aus meinem tiefsten Inneren zu schöpfen.“ Also habe er Figuren
erfunden. Und sich über die Jahre immer wieder mit ihnen beschäftigt.
Zwischendurch ließ er die Songs liegen. „Da sind Geschichten eingeflossen
von Menschen, die mir über die Jahre begegnet sind.“ Es sei wie das
Schreiben an einem Theaterstück gewesen, erzählt er. Irgendwann haben diese
Figuren dann ein Eigenleben geführt.
Der mäandernde Song „Brings me Joy“ etwa sei von seiner Großmutter
inspiriert, deren Bruder als Jugendlicher vom einem Molkereilieferwagen
überfahren wurde. Auf dem Sterbebett fragt er seine weinende Schwester, ob
sie nicht all die Engel im Raum sehen könne. Nein, antwortete sie ihm,
Engel sehe sie nicht.
Der von einem Klavier geführte, wunderbar beatverschleppte Song
[3][„Vanishing Heart“], seine epische Anmutung erinnert an David Bowies
finales Album „Blackstar“, erzählt dagegen vom dem Befreiungsgefühl, das
sich einstellt, wenn man eine toxische Beziehung hinter sich lässt: „No
more dithering lies, your thorn’s out my side / Think of a new dawn where
I’m standing tall.“
## Warme Nostalgie
Rustin Mans Songs transportieren eine warme, sepiagetränkte Nostalgie, die
jedoch nichts Rückwärtsgewandtes hat – eher etwas Psychedelisch-Surreales.
Das leicht Entrückte ist es auch, was Webb an der Musik fasziniert, die er
selbst am liebsten hört: Jazz der 1940er und 1950er Jahre, Cab Calloway,
die [4][Mills Brothers] und die frühe Nina Simone. „Mich fasziniert, dass
das in Mikrofone gesungen wurde, die gar nicht mehr hergestellt werden, und
auf Tapes, die nicht mehr existieren. Dadurch haben diese Songs etwas
Magisch-Surreales. In Verbindung mit den unschuldigen Texten ergibt sich
eine tolle Spannung.
Die gleiche Atmosphäre steckt nun auch in seiner eigenen Musik. Tolle Songs
hat Webb schon immer komponiert, doch jetzt hat er zudem auch noch seine
ganz eigene Stimme gefunden.
11 Feb 2019
## LINKS
[1] https://www.youtube.com/watch?v=i7OEvo-GjUg
[2] https://www.youtube.com/watch?v=yBoix0ihCTY
[3] https://www.youtube.com/watch?v=RyrGv1d8gFk
[4] https://www.youtube.com/watch?v=MtqpyMvI3D4
## AUTOREN
Stephanie Grimm
## TAGS
Rustin Man
Paul Webb
Schwerpunkt Brexit
Pop
Hebbel am Ufer
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