# taz.de -- Debatte um Schwarzfahrer: Abfahrt in den Knast | |
> Ob auch Bagatelldelikte ins Gefängnis führen müssen, ist umstritten. Der | |
> Senat will Bundesratsinitiative zur Entkriminalisierung des | |
> Schwarzfahrens. | |
Bild: In der Freiheit doch arg eingeschränkt, in der Justizvollzugsanstalt Pl�… | |
Wer bei Rot über die Ampel fährt, riskiert ein Bußgeld und Fahrverbot. Wer | |
die öffentlichen Beförderungsunternehmen wiederholt um 2,80 Euro für ein | |
Ticket prellt, dem droht im schlimmsten Fall Gefängnis. Ob das | |
verhältnismäßig ist, darüber diskutieren JustizexpertInnen seit Jahren. | |
Justizsenator Dirk Behrendt (Grüne) will nun mit einer Bundesratsinitiative | |
zur Entkriminalisierung des Schwarzfahrens die Debatte befeuern. Inzwischen | |
hat er auch den Regierenden Bürgermeister Michael Müller und Innensenator | |
Andreas Geisel (beide SPD) auf seiner Seite. „Wenn alles gut läuft“, heißt | |
es aus Behrendts Verwaltung, „dann haben wir in den nächsten Wochen einen | |
Beschluss.“ | |
Wer beim Schwarzfahren erwischt wird, muss – das ist allgemein bekannt – 60 | |
Euro erhöhtes Beförderungsentgelt an BVG oder S-Bahn berappen. Wer sich | |
dreimal binnen 2 Jahren ohne Fahrschein erwischen lässt, den meldet die BVG | |
an die Staatsanwaltschaft – egal ob die 60 Euro bezahlt wurden oder nicht. | |
Denn Schwarzfahren, juristisch korrekt Beförderungserschleichung, ist seit | |
1935 eine Straftat. | |
4.200 solcher Strafanträge stellte die BVG im Jahr 2018, 2017 waren es über | |
10.000. Die Staatsanwaltschaft erhebt nach Prüfung Anklage. Ein Urteil wird | |
häufig ohne Gerichtsverfahren gefällt, in der Regel handelt es sich um eine | |
Geldstrafe. Dass trotzdem ein Teil der Verurteilten im Gefängnis landet, | |
liegt an Paragraf 43 des Strafgesetzbuchs (StGB). Aus einer | |
uneinbringlichen Geldstrafe wird eine Ersatzfreiheitsstrafe – eine | |
Rechtsnorm aus dem Jahr 1871. Heute werden immerhin Ratenzahlung und | |
Ableistung in gemeinnütziger Arbeit auf Antrag gestattet. | |
## Mit Kanonen auf Spatzen | |
„Ein starker Rechtsstaat zeichnet sich nicht dadurch aus, dass er mit | |
Kanonen auf Spatzen schießt“, sagt dazu Justizsenator Behrendt. Er fordert, | |
dass Schwarzfahren künftig nicht mehr als Straftat, sondern als | |
Ordnungswidrigkeit eingestuft wird. Auch Generalstaatsanwältin Margarete | |
Koppers spricht sich für eine grundlegende Reform aus – weil die | |
Strafverfolgung die Justiz zu sehr belaste. | |
Für politische Gegner der Entkriminalisierung – vor allem zu finden in den | |
Reihen der CDU, aber auch der SPD – käme dies einer Kapitulation vorm | |
Massendelikt Schwarzfahren gleich, bei der Umsetzung von Recht dürfe | |
außerdem nicht mit Kosten argumentiert werden. | |
Da erst ein von allen Bundesländern im Bundesrat beschlossener | |
Gesetzentwurf dem Bundestag vorgelegt werden kann, ist die Zukunft von | |
Behrendts Initiative ungewiss. „Wir werden sehen, welche anderen | |
Bundesländer mitmachen“, sagt der Sprecher des Justizsenators und verweist | |
auf den Erfolg bei der Ehe für alle und die aktuelle Reform des Paragrafen | |
219a StGB. | |
## Diskussion im Bundestag | |
Im Bundestag wird bereits heftig über das Schwarzfahren diskutiert. Linke | |
und Grüne hatten im vergangenen Jahr Entwürfe zur Entkriminalisierung des | |
Schwarzfahrens vorgelegt – einig sind sie sich aber nicht. Die Bundesgrünen | |
wollen wie der Berliner Justizsenator keinen Straftatbestand mehr, sondern | |
eine Ordnungswidrigkeit. Die Linke will beides nicht. Das erhöhte Entgelt | |
der Beförderungsunternehmen reiche als Strafe aus. | |
Bundesjustizministerin Katarina Barley (SPD) positionierte sich gegenüber | |
der taz vorsichtig: „Schwarzfahren schadet den ehrlichen Fahrgästen und der | |
Allgemeinheit. Es muss allerdings sorgfältig abgewogen werden, welche | |
Mittel wirksam und angemessen sind, um dagegen vorzugehen.“ | |
Bei den Berliner Verkehrsbetrieben setzt man jedenfalls auf die | |
abschreckende Wirkung der Haftstrafen. Nicht zuletzt deshalb habe sich die | |
Schwarzfahrerquote inzwischen deutlich reduziert, so ein Sprecher. Den | |
häufigen Vorwurf, dass man vor allem die Ärmsten der Armen in den Knast | |
schicke, will er nicht gelten lassen. Obdachlose würden bei der BVG nicht | |
als Schwarzfahrer verfolgt. | |
Und doch sitzen in Berliner Gefängnissen jährlich Tausende Menschen eine | |
Ersatzfreiheitsstrafe ab – viele von ihnen drogenabhängig, obdachlos, | |
psychisch krank. So berichten es etwa Bedienstete der Justizvollzugsanstalt | |
Plötzensee. Rund ein Drittel sitzt wegen Beförderungserschleichung. Aber | |
auch bei den Übrigen hat ein Gericht befunden, dass eine Geldstrafe und | |
eben keine Haftstrafe schuldangemessen sei. Weil sie die nicht bezahlt | |
haben – häufig aufgrund ihrer wirtschaftlichen und sozialen Verhältnisse �… | |
werden sie nun mit dem bestraft, was im Recht als Ultima Ratio gilt. | |
Als wäre das nicht widersprüchlich genug, gibt es neben den Häftlingen, für | |
die eine Zelle eine harte Strafe ist, auch noch die, für die das Gefängnis | |
ein besserer Ort ist als alles, was sie sonst in Berlin haben … | |
Dieser Text ist Teil eines Schwerpunkts zum Thema Ersatzfreiheitsstrafen, | |
den Sie im Berlinteil der Printausgabe der aktuellen taz am Wochenende | |
lesen können. | |
9 Feb 2019 | |
## AUTOREN | |
Manuela Heim | |
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