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# taz.de -- Debatte um Feiertage: Ist das Gleichberechtigung oder kann das weg?
> Die Forderung der Unternehmerverbände, zur Belebung der Wirtschaft den
> Frauentag als Feiertag abzuschaffen, sind ignorant und kontraproduktiv.
Bild: Was der 8. März als Feiertag sichtbar gemacht hat, soll wieder unsichtba…
Berlin taz | Da sitzen sie also, die Herren der Berliner Wirtschaft, bei
Croissants und Cappuccino, und zerbrechen sich die Köpfe, wie sie die
klamme Ökonomie wieder auf Vordermann bringen. Die Frage, die sich die
Vertreter der Unternehmensverbände Berlin-Brandenburg (UVB) – allesamt
Männer – stellten: Welcher Feiertag ist überflüssig und kann abgeschafft
werden? Die Antwort kam prompt von [1][UVB-Chef Alexander Schirp: der
Frauentag am 8. März].
Eine ignorante Forderung, die aktiv den Fortschritt blockiert: Es war eine
Errungenschaft, als Berlin, das Bundesland mit den wenigsten Feiertagen, im
Jahr 2019 den 8. März zum Feiertag erklärte. Schon damals hagelte es
Widerstand. In den sozialen Medien echauffierten sich Männerrechtler:
„Frauen werden heutzutage in allem bevorzugt“, „Wann kriegen wir den
‚Nationalen Biertag‘?“, „Bald kommt der Zahnschmerzfeiertag“. Auch
Politiker wie der CDU-Abgeordnete Stefan Evers stellten sich quer, der
damalige Chef der UVB, Christian Amsinck, protestierte: Berlin verzichte
„ohne Not“ auf 160 Millionen Euro Wirtschaftsleistung.
Ohne Not? Ist es etwa keine Not, wenn in Deutschland beinahe jeden Tag eine
Frau von ihrem (Ex-)Partner ermordet wird, weil sie eine Frau ist? Ist es
keine Not, dass es [2][allein in Berlin im letzten Jahr mehr als 30
Femizide gab]? Dass bundesweit im Jahr 2023 180.715 Fälle häuslicher Gewalt
gemeldet wurden, dass viele Frauen sich nicht trennen können, weil sie
finanziell von ihren gewalttätigen Partnern abhängig sind, dass der Gender
Pay Gap 2024 weiterhin klafft und Frauen systematisch benachteiligt werden?
Wer das nicht als Not anerkennt, verkennt die Realität und das Ausmaß der
Probleme, mit denen Frauen täglich konfrontiert sind. Es gibt genau zwei
Tage im Jahr, an denen Medien, Politiker*innen und Gesellschaft über
Femizide, häusliche Gewalt, Lohnlücken und gläserne Decken sprechen: den 8.
März und den 25. November, den Tag gegen Gewalt gegen Frauen. Davor,
dazwischen und danach: Stille. Den 8. März wie vorgeschlagen auf einen
Sonntag zu verschieben, würde bedeuten, auch diesen Feiertag mit der Decke
des Schweigens zu ersticken.
## Kampftage leben von Störung
Ein Feiertag an einem Sonntag ist wie Urlaub, den ein Arbeitnehmer
ausschließlich am Wochenende nehmen darf. Feiertage leben von der Störung
des Alltags: keine Arbeit, geschlossene Geschäfte, keine Routine. Verlegt
man den 8. März auf einen Sonntag, wird niemand gestört, niemand denkt um.
Einen Feiertag zu einem Arbeitstag zu degradieren, entwertet den Anlass.
UVB-Chef Schirp wiederum behauptet, dass dadurch die wirtschaftliche
Entwicklung weniger gestört würde. Fiele der Feiertag weg, „[3][würden
zusätzlich 230 Millionen Euro volkswirtschaftlich erwirtschaftet]“. Dem
widersprach selbst Wirtschaftssenatorin Franziska Giffey (SPD), die darauf
hinwies, dass Produktionen rund um Feiertage oft vorgezogen oder nachgeholt
werden. Das eigentliche Problem der Aussage liegt jedoch nicht in der
zweifelhaften Zahl, sondern darin, dass durch diese Argumentation Werte wie
Gerechtigkeit und Gleichheit zu bloßen ökonomischen Kennzahlen degradiert
und zur Ware gemacht werden.
Ganz gleich, welcher Feiertag gestrichen werden soll – man habe auch über
den Pfingstmontag oder den 3. Oktober nachgedacht, so Schirp – ist diese
Denke unsozial und das Gegenteil von dem, was wir in einer Zeit zunehmender
Belastung und Einsamkeit brauchen. Denn Feiertage verbinden, sie formen
Gemeinschaft und fördern Resonanz. Demnach wäre es sogar nach FDP-Logik
sinnvoll, den 8. März als Feiertag beizubehalten, damit die Arbeitstiere
funktionsfähig bleiben und sich nicht wegen Burnout, Depressionen oder aus
Dauerstress krankmelden müssen.
Apropos Krankmeldungen: Der Daueraufreger erhitzte auch diese Woche wieder
die Gemüter der Wirtschaftsetagen. Nach der Veröffentlichung der aktuellen
Zahlen zum Rekord-Krankenstand in Deutschland (laut Statistischem Bundesamt
2023: durchschnittlich 15,1 Arbeitstage pro Arbeitnehmer*in) forderte
Allianz-Chef Oliver Bäte die Streichung der Lohnfortzahlung am ersten
Krankheitstag. Dass der hohe Krankenstand laut Bundesärztekammer nicht auf
Blaumachen, sondern auf eine Zunahme an Infektionen und die Einführung der
digitalen Krankmeldung zurückzuführen ist, scheint nebensächlich.
## Feiertage streichen ist keine Lösung
Diese Diskussionen sind so rückwärtsgewandt, dass es schmerzt. Berlins
größtes Wachstumshemmnis sind nicht Arbeitnehmer*innen, die zu wenig
arbeiten, nicht der Frauentag oder ein Feiertag zu viel. Es sind der
gravierende Fach- und Arbeitskräftemangel, ein innovationsfeindliches
Wirtschaftsklima und Unternehmen, die nicht zukunftsorientiert investieren.
Statt sich weiter in unsinnigen Diskussionen über den Frauentag zu
verlieren, sollten die UVB-Herren endlich die Ärmel hochkrempeln und sich
für echte Gleichberechtigung einzusetzen: für mehr Frauen in Führung,
gerechte Gehälter und flexible Arbeitszeiten.
Wie sagen sie selbst immer? Spuckt euch in die Hände!
11 Jan 2025
## LINKS
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## AUTOREN
Lilly Schröder
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