# taz.de -- Debatte über Klimaaktivismus: Wie man zu protestieren hat | |
> Wir sind ein zivilisiertes Land, drum wird zivilisiert demonstriert! | |
> Bitte dankbar bleiben, gemäßigt – und niemanden während der Arbeitszeit | |
> stören! | |
Bild: Aktivisten der „Letzten Generation“ vor Madonna von Raffael in der Ge… | |
Es gibt Regeln, und das geht jetzt wirklich zu weit. Protestieren, okay, | |
Kritik äußern, ja, aber bitte höflich und respektvoll. Nicht zu laut werden | |
hier, und was soll denn [1][das mit dem Sekundenkleber]? Und die | |
Tomatensuppe! Der Kartoffelbrei! [2][Die Erbsen]! Das ist | |
Lebensmittelverschwendung. Das ist Terror. Das trifft die Falschen. Das | |
gehört sich einfach nicht. Und vor allem, und das ist das Allerschlimmste: | |
Überzeugen wirst du damit niemanden. | |
Selbst Schuld also. Wenn die Polkappen schmelzen und der Meeresspiegel | |
steigt, Städte überflutet werden und Wälder abbrennen, Bienen sterben und | |
Vögel tot vom heißen Himmel fallen, Menschen verhungern und das Trinkwasser | |
versiegt, wenn Politiker und Journalisten dich für den [3][Tod einer | |
Radfahrerin] verantwortlich machen, noch bevor der Fall untersucht wurde, | |
und wenn du sicherheitshalber als verdächtige Chaosaggroaktivistin [4][30 | |
Tage ohne Prozess im Gefängnis landen kannst] – selbst schuld, dass da | |
niemand was tun will! | |
Der Ton macht nämlich die Musik. Lächel doch mal, zeig ein Mindestmaß an | |
Respekt. Gegenüber dem Staat und seinen Regeln, auch wenn der Staat nicht | |
immer respektvoll ist und die Regeln nicht immer sinnvoll. Gegenüber dem | |
toten Maler, dessen Werk ich ehrlich gesagt kaum kenne, aber der zweifellos | |
etwas geschaffen hat, das ich stärker beschützen will als unseren | |
Lebensraum. | |
Gegenüber den einfachen Leuten, die zur Arbeit müssen oder in den Flieger. | |
Und vor allem gegenüber der Art und Weise, wie wir die Dinge eben zu tun | |
pflegen in diesem zivilisierten Land. Wir sind schließlich keine Tiere. | |
Meistens. Wären wir Tiere, dann fräßen wir uns gegenseitig auf. Dann | |
spürten wir das Ende längst kommen. Aber wir spüren zum Glück nichts mehr. | |
Das macht uns menschlich. | |
## Wir bleiben unantastbar | |
Wir können doch über alles reden. Du sollst dich doch engagieren für diese | |
Gesellschaft, wir müssen ja der Spaltung entgegenwirken, einander die Hände | |
reichen, damit eine die andere waschen kann. Du kannst etwas beitragen, | |
aber lass die alten Meister da raus. Bitte, bitte nicht berühren. Weder van | |
Gogh noch mich. Mein Leben und ich, wir bleiben unantastbar. Du sollst | |
nicht an dieser Welt rütteln oder dich an ihr festkleben, stör mich nicht, | |
jedenfalls nicht während meiner Arbeits- oder Freizeit oder zu anderen | |
ungünstigen Momenten. | |
Ich habe wirklich hart für das alles gearbeitet. Für uns. Für den Komfort, | |
das Unschöne ausblenden zu können. Du könntest auch mal was leisten, aber | |
immer bist du nur dagegen. Ich war früher auch so, aber dann habe ich | |
verstanden: Das Leben ist ein Kompromiss. Man muss demokratisch verhandeln. | |
Wenn die einen den Planeten vor der völligen Zerstörung bewahren und die | |
anderen sich nicht einschränken wollen, dann trifft man sich eben in der | |
Mitte. Wo da die Mitte ist, fragst du? Bei einem guten Stück Schwarzwälder | |
Kirschtorte, wo jede große Veränderung begonnen hat. | |
Das verstehst du doch. Oder? | |
8 Nov 2022 | |
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## AUTOREN | |
Lin Hierse | |
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