# taz.de -- Debatte Deutsche Kolonialgeschichte: Himmel, Hölle und alles dazwi… | |
> Der Streit zwischen Afrikabeauftragtem Günter Nooke und AfrikanistInnen | |
> zeigt: Über Afrika konfliktfrei zu reden ist unmöglich. | |
Bild: Er sagte: „Afrika ist anders“. Günter Nooke | |
Günter Nooke, der Afrikabeauftragte der Bundeskanzlerin, ist in | |
Schwierigkeiten. Sie gehen auf ein Gespräch zurück, das er im Februar mit | |
Mitgliedern des Fachverbands Afrikanistik führte, um deren Kritikpunkte an | |
seinen Aussagen über Afrika auszuräumen. Ein offener Brief, den der | |
Fachverband ans Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und | |
Entwicklung (BMZ) und die Kanzlerin verschickte, wirft Nooke vor, er | |
bediene koloniale Stereotype und enthalte rassistische Untertöne. | |
Das Gespräch im Februar endete in beidseitiger Enttäuschung: Die | |
AfrikanistInnen waren enttäuscht, dass Nooke kein Problembewusstsein und | |
keine Einsicht zeigte, Nooke war enttäuscht, dass die anwesenden | |
AfrikanistInnen nicht in der Lage waren, konkrete Vorschläge zur | |
Afrikapolitik zu unterbreiten. Eine Gemengelage, die die schwierige | |
Zusammenarbeit zwischen Wissenschaft und Politik auf den Punkt bringt. | |
Ein erstes Missverständnis ist die Annahme, WissenschaftlerInnen, die sich | |
hauptberuflich mit Afrika beschäftigen, müssten ExpertInnen für die | |
Probleme Afrikas und für Entwicklungspolitik sein. Das zweite | |
Missverständnis ist, dass die Afrikanistik in Deutschland keine umfassende, | |
pluridisziplinäre Wissenschaft von Afrika ist, sondern in der Regel die | |
Wissenschaft von den afrikanischen Sprachen. Von VertreterInnen der | |
Germanistik oder Anglistik wird auch nicht erwartet, sie könnten zu | |
Finanzminister Olaf Scholz’ Schwarzer Null oder den ökonomischen | |
Auswirkungen des Brexits kompetent Auskunft geben. | |
Das dritte Missverständnis betrifft das komplizierte Verhältnis von | |
Wissenschaft und Politik. Die Wissenschaft will Dinge gründlich erklären | |
und verstehen, und das heißt, deren Komplexität darstellen. Die Politik | |
muss Komplexität reduzieren, um handlungsfähig zu werden. | |
## Begrifflichkeiten, Interpretationen, Bewertungen | |
In der Auseinandersetzung zwischen Nooke und den AfrikanistInnen ging es um | |
Begrifflichkeiten, Interpretationen, Bewertungen und vor allem um die | |
Kernaussage Nookes: „Afrika ist anders.“ Die Beschreibung als „das Andere… | |
ist historisch belastet, weil es Afrika als negativen Gegenentwurf zum | |
Selbstbild Europas konstituiert. Mit Frantz Fanon könnte man sagen, dass | |
Afrika und Europa zwei Seiten einer Medaille sind, gefangen in einer | |
Beziehung der symbiotischen Ambivalenz. Afrika als anders zu bezeichnen, | |
dient immer der Selbstvergewisserung Europas (und Deutschlands) und | |
reproduziert dieses ungesunde Verhältnis. | |
Aber vor dem Hintergrund der tief mit Kolonialismus und Rassismus | |
verstrickten Fachgeschichte ist es zu einfach, „das Andere“ mit einer | |
knappen Geste als Exotismus abzutun. Umgekehrt ruft die Ablehnung der Frage | |
nach „dem Anderen“ automatisch „das Gleiche“ auf den Plan. Gesteht Euro… | |
Afrika Gleichheit zu, bedarf es der Darstellung hochkomplexer | |
Wirkzusammenhänge, wie es in der aktuellen Restitutionsdebatte zunehmend | |
eingefordert wird. Gleichheit bedeutet aber auch, einander auf Augenhöhe zu | |
begegnen. Wer sich vor lauter „postkolonialem Hangover“ mit Denk- und | |
Sprechverboten belegt, macht es sich zu einfach. | |
Der Präsident Ghanas, Nana Akufo-Addo, teilte im vergangenen Jahr dem | |
verblüfften französischen Präsidenten Emmanuel Macron mit, es müsse jetzt | |
mal Schluss sein mit dem ewigen Reden über den Kolonialismus und dessen | |
Folgen, rund 60 Jahre nach der Unabhängigkeit. Afrika solle sich endlich | |
eingestehen, dass es selbst verantwortlich für seine Entwicklung sei. Und | |
auch sonst sind AfrikanerInnen in der Regel wenig zimperlich, wenn es um | |
die Wortwahl geht. Da werden ohne Weiteres Wörter wie „Stämme“ (tribes) | |
oder Clans verwendet, Stereotype und Vorurteile über andere Volksgruppen | |
verbreitet. Unser Versuch, mit vorsichtigen Formulierungen historischen | |
Ungerechtigkeiten Rechnung zu tragen, stoßen bei manchen (afrikanischen) | |
Zeitgenossen auf Unverständnis, ja gelegentlich Belustigung. | |
## Deutsche zu Normativitäten verführt | |
Doch allein Kraft der Herkunft kann niemand eine höhere Legitimation für | |
seine Beobachtung beanspruchen. AfrikanerInnen sind aufgrund der Erfahrung | |
des Kolonialismus nicht bessere oder aufgeklärtere Menschen. Allerdings | |
wird das, was jemand in Ghana sagt, in der Regel in Deutschland schlicht | |
nicht gehört – die Deutungshoheit über Afrika geben wir nicht aus unseren | |
Händen. Die Deutschen macht ihre (Kolonial-)Geschichtsvergessenheit zu | |
schlechten Beobachtern und verführt sie zu Normativitäten. Aber | |
Wissenschaftler müssen in der Lage sein, die Komplexität von Sachverhalten | |
angemessen darzustellen. Und Politiker haben die Pflicht, trotz allen | |
Handlungsdrucks respektvoll mit Sachverhalten umzugehen. | |
Unbestreitbar ist Günter Nooke keine gute Besetzung für den Posten des | |
Afrikabeauftragten. Er muss sich den Vorwurf gefallen lassen, er bediene | |
Stereotype mit rassistischen Untertönen. Seine Äußerungen sind Wasser auf | |
die Mühlen derer, die behaupten, die „zivilisatorische Mission“ der | |
europäischen Kolonisatoren hätte ihre guten Seiten. Von einem | |
Afrikabeauftragten der Bundeskanzlerin ist ein anderes Niveau zu erwarten. | |
Er muss sich über die Konsequenzen der Komplexitätsreduktion klar sein, die | |
er für sich als Politiker beansprucht und von der Wissenschaft verlangt. | |
Nooke wäre deshalb anzuraten, nicht weiter Negativklischees über Afrika zu | |
befeuern. Abgesehen davon, dass der vielzitierte „einfache Bürger“ durchaus | |
in der Lage wäre, zu verstehen, wenn man stattdessen von den immer noch | |
vorhandenen Traumata der Kolonialzeit, der gesunkenen Kinderzahl in Kenia, | |
der App-Entwicklerszene in Ostafrika spräche oder davon, dass Deutschland | |
im Vergleich zu Uganda, Sambia oder Ruanda wie Steinzeit wirkt, was das | |
bargeldlose Bezahlen mit dem Handy angeht. Auch das sind Afrikabilder. | |
Die Affäre hat der Diskussion über die politischen und wirtschaftlichen | |
Schwierigkeiten in Afrika, die es unbestreitbar gibt, einen Bärendienst | |
erwiesen. Es ist zu befürchten, dass in Zukunft weiterhin über die | |
Legitimität von Worten gestritten wird statt um die Sache: die komplizierte | |
und schmerzhafte Auseinandersetzung darüber, wie das Verhältnis von Afrika | |
und Europa werden könnte. | |
Afrika ist Himmel und Hölle. Und alles dazwischen. Genau wie Europa. Nur | |
anders. | |
26 Mar 2019 | |
## AUTOREN | |
Stefan Schmid | |
Rose Marie Beck | |
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