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# taz.de -- Debatte Demonstrationen im Iran: Die schlagende Revolution
> Der Machtapparat im Iran ist viel cleverer aufgebaut als der in Ägypten.
> Demonstrationen allein treiben in Teheran niemanden in die Flucht.
Bild: Ob der richtige Durchblick hilft: Irans Präsident Ahmadinedschad.
Die Wellen, die 2009 von den Unruhen im Iran ausgingen und in den
vergangenen Wochen in den arabischen Ländern einen Tsunami auslösten,
kehren nun wieder in den Iran zurück. "Erst Bin Ali, jetzt Said Ali
(Chamenei)", lautete die Parole, die am 14. Februar von zehntausenden
Demonstranten unter anderem in Teheran gerufen wurde. Das Regime schlug
brutal zu. Am Sonntag gedachten einige tausend Oppositionelle der beiden
Toten. Es gab ein weiteres Todesopfer.
Heißt es, dass nun auch im Iran so wie in Tunesien, Ägypten und vermutlich
auch Libyen die Stunde für die Machthaber geschlagen hat? Wohl kaum.
Zwar ist die wirtschaftliche Lage im Iran um keinen Deut besser als etwa
die in Ägypten. Die von der UNO und zusätzlich von den USA, der EU und
einigen anderen Staaten verhängten Sanktionen wegen des umstrittenen
Atomprogramms und die Streichung staatlicher Subventionen für Energie und
Grundnahrungsmittel haben die Preise rapide in die Höhe getrieben. Die
Arbeitslosigkeit ist enorm gestiegen. Heute lebt jeder vierte Iraner unter
der Armutsgrenze. Die Korruption ist nahezu grenzenlos. Im Vergleich zu den
islamischen Gottesmännern waren die Anhänger des Schahs kleine
Taschendiebe.
Was den gravierenden Unterschied zwischen Iran und Ägypten ausmacht, ist
die Staatsmacht. Während in Ägypten die Macht auf einen Mann konzentriert
war, der sich als Diktator nur wegen der Unterstützung der USA und des
Westens behaupten konnte, regiert im Iran kein Alleinherrscher.
Revolutionsführer Chamenei verfügt nur nominell über die absolute Macht.
Das iranische Regime ist aus einer Revolution hervorgegangen, die damals
von nahezu der Gesamtheit der Bevölkerung getragen wurde. Und es bewaffnete
sich mit einer Ideologie, die auf dem Glauben basierte - einer Waffe, die
dem Regime in Ägypten gänzlich fehlte. Der ägyptische Staatschef Husni
Mubarak hingegen rühmte sich, die islamischen Kräfte in Schranken halten zu
können. Der Friedensvertrag mit Israel und seine Abhängigkeit vom Westen
nahmen ihm die Möglichkeit, sich wie viele Despoten als Nationalist zu
gebärden.
Die Machtinstrumente Mubaraks waren die Armee, die Polizei und die
Geheimdienste. Aber die Armee, die von den USA ausgebildet und finanziert
wurde, orientierte sich eher an Washington als an Kairo. Die Rolle, die die
Streitkräfte bei den Unruhen als eine mehr oder weniger neutrale Macht
zwischen Mubarak und den Aufständischen einnahmen, bestätigt dies. Zunächst
zögernd, handelten sie in dem Augenblick, als Washington sich entschloss,
Mubarak fallen zu lassen.
Der Revolutionsfaktor
Die Islamische Republik hat demgegenüber von Anbeginn ihre eigenen
Machtinstrumente aufgebaut. Als Alternative zu der regulären Armee wurde
die Organisation der Revolutionswächter (Pasdaran) gegründet, die Rolle der
Justiz übernahmen zunächst die Revolutionsgerichte, die der Polizei die
Revolutionskomitees. Hinzu kam die Milizenorganisation der Basidschis. Der
achtjährige Krieg gegen den Irak stärkte diese Machtinstrumente und
beschleunigte die Verbreitung der schiitischen Märtyrerideologie, vor allem
bei den Militärs, Milizen und Sicherheitskräften.
Inzwischen sind sowohl die Organisation der Revolutionswächter als auch die
der Basidschi gigantisch gewachsen. Spätestens seit der Regierungsübernahme
von Präsident Mahmud Ahmadinedschad bilden sie die erste Macht im Land,
nicht nur militärisch, sondern auch politisch wie wirtschaftlich. Sie
wurden mit modernsten Waffen ausgestattet.
Der neue Regierungschef übergab nahezu sämtliche Schlüsselpositionen seinen
ehemaligen Pasdaran-Kollegen und überließ der Organisation die meisten
Staatsaufträge. Ob in der Ölindustrie oder im Straßenbau, im
Export-Import-Geschäft oder im Aufbau des Kommunikationsnetzes, überall
sind die Pasdaran direkt oder als getarnte Privatfirmen mit von der Partie.
Allerdings hat die Militarisierung der Macht für das Regime auch
gravierende negative Folgen.
Bereits nach dem Krieg und kurz darauf dem Tod Chomeinis begann die
herrschende Ideologie zu bröckeln. Selbst im islamischen Lager fragten sich
viele, ob das Erreichte das war, wofür sie sich aktiv an der Revolution und
dem Aufbau des neuen Staates engagiert hatten. Der Versuch eines Teils der
Kritiker, durch Reformen den Staat an die Bedürfnisse des Volkes
anzupassen, scheiterte an dem Widerstand der Radikalen, was schließlich bei
den manipulierten Wahlen von 2009 zu einer großen Spaltung im islamischen
Lager führte.
Der Militärapparat steht
Mit der Militarisierung und der brutalen Niederschlagung der Proteste
verlor das Regime auch vollends seine ideologische Legitimität. Selbst
einfache Gläubige fragten sich, wie sich die Betrügereien, Korruption,
Hinrichtungen, Folterungen und erzwungenen Geständnisse mit ihrem
Verständnis vom Islam und dessen ethisch-moralischen Grundsätzen
vereinbaren ließen. Die Spaltung hat sich mittlerweile auf Teile des
konservativen Blocks ausgeweitet. Einflussreiche Großajatollahs, die
Hauptstütze des Gottesstaates, sind zu den herrschenden Radikalen auf
Distanz gegangen oder üben offen Kritik.
Doch die Möglichkeit, dass die Spaltung sich auch auf Militär- und
Sicherheitskräfte ausweitet und sie die Seite wechseln, ist sehr gering.
Sie genießen außerordentliche Privilegien und sind damit existenziell an
die Macht gebunden. Denn anders als in Ägypten, wo das Militär durch einen
klugen Schachzug zumindest bis jetzt die alte Macht bewahren und ihre
Pfründen retten konnte, würde im Iran eine wie auch immer geartete Distanz
von der politischen Macht zum Sturz des gesamten Regimes führen.
Ein Regimewechsel im Iran ist nur dann möglich, wenn es der Oppositionen
gelingt, einerseits den inneren Zerfall der Staatsmacht zu beschleunigen
und andererseits die Proteste auf Produktionszentren und staatliche
Einrichtungen auszuweiten. Allein mit Straßendemonstrationen wird man die
Radikalen, die vor keinem Verbrechen am eigenen Volk zurückscheuen, nicht
stürzen können.
22 Feb 2011
## AUTOREN
Bahman Nirumand
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68er
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