# taz.de -- Iranischer Regisseur über Repressionen: "Eine Innenansicht der Gef… | |
> Ein Gespräch mit dem iranischen Filmemacher Ali Samadi Ahadi über seinen | |
> Film "The Green Wave" und Blogs als Lieferanten verlässlicher | |
> Wirklichkeitsbilder. | |
Bild: Ahadi:"Die Risse sind so offensichtlich, dass sie nicht mehr zu kitten si… | |
taz: Herr Ahadi, Ihr Film "The Green Wave" spielt zur Zeit der umstrittenen | |
Präsidentschaftswahl im Iran im Sommer 2009. Zum Teil verwenden Sie | |
klassisches Dokumentarfilmmaterial, zum Teil arbeiten Sie mit animierten | |
Sequenzen, die auf Blogs basieren. Weshalb haben Sie sich für dieses | |
Vorgehen entschieden? | |
Ali Samadi Ahadi: Diese collageartige Mischung entstand eher aus der Not, | |
weil die Zeit vor den Wahlen, die Wahlen selbst und ihre Niederschlagung | |
hinter uns lagen und wir nicht mehr im Iran arbeiten konnten. Ein | |
Nachstellen der Szenen kam für uns nicht infrage. | |
Warum? | |
Wie soll ich in Deutschland Iran nachstellen, mit den Möglichkeiten, die | |
wir haben? Die Blogs sind für mich ein Teil dieses Dokumentarfilms, es sind | |
Dokumente, die wir verwenden. Und mir war es wichtig, dass sie den Raum | |
haben, sich zu entfalten. | |
Wie viele Blogs haben Sie für den Film ausgewertet? | |
Wir haben insgesamt etwa 1.500 Seiten Blogs und Twitter ausgewertet. | |
Etwa ab der Mitte des Films wird die Animation dominant. Liegt das daran, | |
dass es von der Repression, etwa in den Gefängnissen, kein Material gab? | |
Genau. In dem Moment, als die Niederschlagung der Bewegung begann, fehlte | |
jegliche Möglichkeit, an gute Bilder heranzukommen. Die Aufnahmen, die uns | |
aus dem Iran zur Verfügung standen, waren Artefakte, kleine Ausschnitte wie | |
zerbrochene Puzzle-Stücke. Ich hätte mit diesen Elementen keinen | |
erzählerischen Bogen schlagen können. | |
Meinen Sie mit den Puzzle-Stücken die YouTube-Videos vom Vorgehen der | |
Sicherheitskräfte gegen Demonstranten? | |
Zum Beispiel, die Videos haben weder Anfang noch Ende, sie sind sehr | |
verwackelt, haben eine schlechte Qualität und keinen oder sehr schlechten | |
Ton. Das erschwert es, mit diesem Material eine Geschichte zu erzählen. Und | |
da Iran eine Bloggernation ist und viele ihre Gefühle, Motive und | |
Positionen im Internet geäußert haben, lag es nahe, sie zu benutzen. | |
Hatten Sie für die Animation Vorbilder? | |
Nein. Sie denken wahrscheinlich an die Filme "Waltz with Bashir" oder | |
"Persepolis", aber ich habe beide erst nach der Produktion gesehen. Dabei | |
weiche ich sowohl mit der Animationstechik als auch mit der Art, wie ich | |
sie mit den Realbildern vermenge, sehr davon ab. Der Film ist ja eine | |
Collage, während "Waltz with Bashir" ganz durchanimiert ist, was bei uns | |
nicht der Fall ist. | |
Was heißt das? | |
Wenn Figuren reden und man animiert, dann bewegt sich der Mund authentisch | |
zum Ton, und sie bewegen Hände und Arme. Bei uns sind die Menschen quasi | |
starr. Das ist ein völlig anderes Verfahren als bei "Waltz with Bashir" | |
oder "Persepolis". Das Verweben des Realbildes mit dem Interview und der | |
Zeichnung war für mich ein Experiment während der Arbeit. Ich war mir nicht | |
sicher, ob das aufgeht. | |
Es ist bewegend, sich im Nachhinein nochmals die Bilder der Demonstrationen | |
anzusehen. Andererseits berührt einen der animierte Teil, der | |
personifiziert ist am Beispiel der Studierenden Kaveh und Azadeh, viel | |
mehr. Ist diese starke Emotionalisierung beabsichtigt? | |
Natürlich. Ich habe diese Blogs ausgewählt, um eine Innenansicht der | |
Gefühle der Menschen zu zeigen. Die große Außenansicht haben wir durch die | |
Massenproteste, die Bilder, die dieses Verwackelte, Verwaschene, Unscharfe | |
wiedergeben. Das entspricht der Situation des damaligen Iran. Es war nicht | |
klar, wer wo steht oder wo etwas passiert. Es hätte eine | |
Millionendemonstration in einer Nachbarstraße stattfinden können, und weil | |
alles abgeschottet war, hätte man davon nichts mitbekommen. Dieses | |
Unfokussierte in der Gesellschaft findet sich teilweise in den Bändern, die | |
wir von YouTube, den Nachrichtenagenturen oder von geschmuggeltem Material | |
haben. Auf der anderen Seite steht das Scharfe, das Gefühlte, die Position | |
der einzelnen Menschen in diesem Riesenwirrwar. Das ergibt sich natürlich | |
aus den Erzählungen der einzelnen Personen. | |
Der Film lebt stark von der Gegenüberstellung: auf der einen Seite die | |
grüne Bewegung, auf der anderen die Kräfte des Regimes. Warum? | |
Das hat die Regierung gewählt. Die Konfrontation passiert nicht in meinem | |
Film, sie geschah auf den Straßen im Iran. In dem Moment, wo Menschen auf | |
die Straßen gehen und fragen, wo ist meine Stimme, und die Antwort ist ein | |
Kugelhagel, erhebt sich die Frage, warum? Nach dem iranischen Gesetz, nach | |
der UN-Menschenrechtscharta, die der Iran unterschrieben hat, dürfen die | |
Menschen auf die Straße gehen und das fragen, sie dürfen protestieren, ihre | |
Meinung äußern. Aber alle wanderten ins Gefängnis. Was entstand, war eine | |
Schizophrenie innerhalb des Systems. Plötzlich gab es Leute, die jahrelang | |
Teil davon gewesen waren, und die von heute auf morgen nicht mehr | |
hineinpassten. Das macht meiner Meinung nach die Situation unumkehrbar. Die | |
Risse sind so offensichtlich, dass sie nicht mehr zu kitten sind. | |
Am Schluss des Films, als die Studentin Azadeh aus dem Gefängnis entlassen | |
wird und die Menschen sieht, die auf Nachricht von ihren Angehörigen | |
hoffen, heißt es im Voice-Over: "Du begreifst, dass du nicht freigelassen | |
wirst, dass du aus einem Gefängnis in ein größeres kommst. Das Gefängnis | |
namens Iran." Gibt es heute im Iran keine Zwischentöne mehr? | |
Ich glaube, dass es Zwischentöne gibt, aber der Grat ist sehr schmal. | |
Zugleich ist der Preis, den diese Menschen auf sich nehmen, um die | |
Zwischentöne zum Klingen zu bringen, extrem hoch geworden. Die Regierung | |
versucht, Willkür zu verbreiten, ohne zu ahnen, dass sie früher oder später | |
den Rückhalt der Bevölkerung brauchen wird. Ich bin mir sicher, dass sie | |
nicht ewig mit Hundertschaften auf der Straße das System aufrechterhalten | |
kann. Irgendwann müssen die Fragen der Inflation, der Arbeitslosigkeit, die | |
Perspektive der jungen Menschen, Frauenrechte, Pressefreiheit, | |
Meinungsfreiheit und die Beziehungen zur Weltgemeinschaft auf den Tisch. | |
Das waren alles Gründe, warum die Menschen wählen gegangen sind. Heute, | |
anderthalb Jahre später, sind diese Probleme sogar größer geworden. Wenn | |
das Regime sich stabilisiert hätte, müsste es nicht ständig den Feind | |
hochhalten und von Putschversuchen oder samtener Revolution sprechen. Es | |
braucht dieses Feindbild, um die eigenen Linien geschlossen zu halten. Aber | |
selbst innerhalb dieser Linien gibt es die Einsicht, dass es so nicht | |
weitergehen kann, dass ein Dialog nötig ist. Die Frage ist: Wird das | |
möglich sein oder ist es zu spät für einen friedlichen Wandel? | |
Ihre beiden Kollegen Jafar Panahi und Mohammad Rasoulof sind am 20. | |
Dezember zu 6 Jahren Haft sowie zu 20 Jahren Berufs- und Ausreiseverbot | |
verurteilt worden. Haben Sie sich in dieser Frage engagiert? | |
Natürlich. Jeder Kollege, dem seine Rechte klar sind, müsste sich dafür | |
engagieren. Dabei geht es nicht nur um Iran, sondern darum, wie es mit | |
unseren Rechten weitergeht, in China, Birma, Afrika, auch in Europa, in | |
Ungarn. Natürlich ist Iran 5.000 Kilometer weit weg, und Jafar Panahi ist | |
einer von vielen Regisseuren. Aber wenn das Regime jetzt so mit einem sehr | |
renommierten Regisseur umgehen kann, kann es das mit vielen anderen | |
wesentlich einfacher machen. Daher ist es unsere Pflicht, den Mund auf zu | |
machen. | |
24 Feb 2011 | |
## AUTOREN | |
Beate Seel | |
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