| # taz.de -- Arabisches Revolutionskino: Die Tür des Todes öffnet sich | |
| > In einem Film des tunesischen Regisseurs Nouri Bouzid nahm sich ein Mann | |
| > das Leben. Ein ähnlicher Selbstmord löste die Aufstände aus. Gab es ein | |
| > Kino der Revolution? | |
| Bild: Filmplakat zu Microphone. | |
| Eine Revolution, die Nordafrika erschütterte, hat die Welt zu Beginn des | |
| Jahres 2011 aufgeweckt. Am Anfang war es Tunesien, es folgte Ägypten. | |
| Andere Länder der Region, die man "arabische Welt" nennt, sind am Kochen. | |
| Niemand hätte vermutet, dass eine derartige Volkserhebung, die so tief | |
| greifende Veränderungen fordert, eines Tages in diesen Gesellschaften | |
| stattfinden würde. | |
| In dem Szenario der Überraschung kommt einem Bild eine besondere Rolle ist, | |
| es hat einen verstärkenden Effekt für die Ereignisse. Niemand sprach von | |
| einer Facebook-Revolution und einer Revolution der sozialen Netzwerke. Doch | |
| Letztere haben in der Tat eine Schlüsselrolle gespielt, indem sie es | |
| ermöglicht haben, Bilder von der Realität zu übermitteln. So war die Welt | |
| wohl weniger von den Ereignissen an sich geschockt als vielmehr von der | |
| Tatsache, diese Gesellschaften in voller Aktion zu sehen. | |
| Wenn es also Bilder gibt, die der Revolution geholfen haben, so gibt es | |
| andere, die sie vorbereitet haben. Seit einigen Jahren schon gibt es um die | |
| sozialen Netzwerke herum ein Tauziehen zwischen der Internetpolizei, die | |
| versuchte, die Verbreitung von Bildern im Netz zu verhindern, und jungen | |
| Hackern, die zu einer Kraft der Reaktion und des Cyberwiderstands geworden | |
| sind. | |
| Das heißt: Bilder sind seit Langem das Zentrum eines jeden Machtkampfes. | |
| Und während die Schlacht der sozialen Netzwerke während der Aufstände so | |
| mediatisiert war, weil sie eine sehr sichtbare Ebene des Aktionismus | |
| betrifft, so fand schon länger eine andere Schlacht statt - auf einer | |
| tieferen, indirekteren und subtileren Ebene. | |
| ## Kampf um Unabhängigkeit | |
| Indem die jungen Leute mit iPhones, Blackberries und verschiedenen Gadgets | |
| hantieren, um auf Facebook, Twitter und in anderen virtuellen Räumen zu | |
| surfen, vertieften sie damit nur die Arbeit, die die Künstler des Bildes | |
| bereits begonnen hatten. Die Netzaktivisiten haben den Filmemachern voraus, | |
| mehr und anarchistische Freiräume der Herstellung der Bilder und ihrer | |
| Vertreibung nutzen zu können. Für ein Bild, das in einem genauso | |
| strukturierten und kontrollierten Rahmen wie demjenigen des Kinos | |
| produziert wurde, war das bisher nicht einfach. | |
| In Gesellschaften wie der tunesischen und der ägyptischen ist das Bild mit | |
| einem "Embargo belegt". Das gilt sowohl auf der Ebene der Produktion wie | |
| auch auf der Ebene der Verteilung und Wahrnehmung. Alles hing von dem | |
| politischen Willen ab, der das Land umklammert hielt und alle Kräfte, sich | |
| auszudrücken, fesselte. | |
| Doch trotzdem kämpften auch die Kinomacher für ihre Unabhängigkeit und | |
| hörten dabei auch immer auf ihre Gesellschaften. Die tunesischen Regisseure | |
| Fadhel Jaibi und Nouri Bouzid sind für ihren liberalen Ton, die Kraft ihrer | |
| Worte und die Beherrschung der Werkzeuge des kinematografischen Schaffens | |
| bekannt. Der Start ihrer Filme wird oft von Polemik bzw. einem | |
| Schlagabtausch mit den offiziellen Kontrollinstanzen und ihrer Zensur | |
| begleitet. | |
| Der Film "Junun" (von 2001) von Jaibi ist eine Röntgenaufnahme der | |
| tunesischen Gesellschaft am Beispiel eines jungen Mannes, der in der | |
| Psychiatrie sitzt. Nun, ein junger Analphabet, lehnt sich gegen alles auf, | |
| was eine "Kastrationsmacht" repräsentiert. Der Film stellt die | |
| Dysfunktionalität einer Gesellschaft in den Mittelpunkt, die am Abgrund | |
| taumelt. | |
| "Khamsoun" (2007) zeichnet die Geschichte Tunesiens während der 50-jährigen | |
| Unabhängigkeit des Landes nach. Hier liegt der Akzent vor allem auf dem | |
| Gewicht, das die Religion bei der Evolution der Gesellschaft hat. Es | |
| bedurfte der Mobilisierung der Zivilgesellschaft und eines harten Kampfes | |
| mit den Behörden, damit das Werk endlich gezeigt werden konnte - ungeachtet | |
| der Zensur, die das Kulturministerium verhängt hatte. | |
| Was Nouri Bouzid betrifft, so hat er von seinem ersten Spielfilm "LHomme de | |
| cendre" (1985) an zu einer weitaus realistischeren Ausrichtung des | |
| tunesischen Kinos beigetragen. Das heißt: eine tiefgründige Arbeit über | |
| Tabus, Blockaden der Gesellschaft sowie all das, was deren Entwicklung und | |
| Fortschritt behindert. Sein jüngster Film "Making of Kamikaze" ist eine | |
| Analyse der Sackgasse, mit der die jungen Tunesier konfrontiert sind. | |
| Die Hauptperson (Bahta) nimmt den jungen Mohamed Bouazizi vorweg. Dieser | |
| opfert sich am 17. Dezember 2010 und gibt damit den Anstoß für den | |
| revolutionären Prozess, der noch immer in Tunesien und anderen Ländern der | |
| Region im Gange ist. Beide sind 26 Jahre alt, arbeitslos, und beide haben | |
| unter der Beleidigung durch alle Symbole der Macht gelitten. In ihrem | |
| Ringen um ein würdiges Leben stoßen sie auf eine taube Macht und sind dazu | |
| verurteilt, mit einer ultimativen Geste über ihren eigenen Tod zu | |
| entscheiden. | |
| ## Eine Prophezeiung? | |
| Dieser Film wird jetzt als eine Prophezeiung der Ereignisse im Januar 2011 | |
| gesehen, obgleich er schon vier Jahre alt ist. Man könnte fast denken, der | |
| Filmemacher sei auf den Spuren dieser Jugend gewesen, die auf der Suche | |
| nach sich selbst war. Bahta ist unfähig, sich in seinem Milieu zu | |
| entfalten. Alle Türen werden ihm vor der Nase zugeschlagen, nur die des | |
| Todes öffnet sich vor ihm über die Bruderschaft der Islamisten. Der Film | |
| zeigt verschiedene Elemente, die zu dem Druck, der auf die Jugend ausgeübt | |
| wird, beitragen, bis hin zum Ersticken, das zu den Ereignissen im Dezember | |
| und Januar führen wird. | |
| Um dasselbe Ersticken geht es in bestimmten ägyptischen Filmen wie "Ain | |
| Chams" (2009) und "Hawi" (2011) von Ibrahim El Batout; "Héliopolis" (2009) | |
| und "Microphone" (2010) von Ahmad Abdalla und "Basra" (2008) von Ahmad | |
| Rashwan. Diese Namen wird man sich merken müssen, wenn es um das junge | |
| ägyptische Kino geht. Das ist eine junge Generation, die eine tiefgründige | |
| Arbeit geleistet und die die zunehmend sklerotische Filmindustrie überholt | |
| hat. Eine neue Sensibilität setzt sich gegen das System einer | |
| traditionellen Produktion durch: sie sind um die 40 Jahre alt und sie | |
| machen ihre ersten Spielfilme. Sie alle kommen vom Dokumentarfilm, oft auch | |
| aus der Filmkritik wie Ahmad Rashwan. | |
| Außerhalb dieser organisierten Produktionskreise scheint diese Generation | |
| ihre eigene Stimme zu suchen, und das mit eigenen Mitteln, das heißt ohne | |
| große Etats: Armut spielt spielt keine geringe Rolle in diesem Kinotyp. | |
| "Hawi" von Brahim El Batoutist ist ein Beispiel: Mit einem geringen Budget | |
| gedreht, mit Bildern nahe am Dokumentarischen entfaltet er einen | |
| realistischen Atem und eine klare Orientierung auf eine Jugend, die zu | |
| ersticken droht und mit den Widrigkeiten des Alltags kämpft. | |
| Der Film ist auf zwei Ebenen konstruiert, entsprechend zwei Generationen. | |
| Nach jahrelangem Exil in Frankreich kehrt Brahim nach Ägypten zurück. | |
| Joussef ist aus der Haft entlassen worden mit dem Auftrag, vertrauliche | |
| Unterlagen zu sammeln, die vor allem die Geheimdienste zu interessieren | |
| scheinen. Die beiden Männer gehörten einer Gruppe militanter Kämpfer an, | |
| waren festgenommen und inhaftiert worden. | |
| Die zweite Generation betrifft die Kinder der beiden Männer. Zwei junge | |
| Mädchen sind zu einem Leben ohne Eltern verdammt. Eine Art Waisenhaus, El | |
| Batout, dient als Metapher eines Ägyptens, das nicht für seine Kinder | |
| aufkommt. Der Film wird zur Frage nach der Zukunft dieser Generation junger | |
| Verlorener. | |
| Dieselbe Atmosphäre herrschte schon 2007 bei Ahmad Raswan. In seinem Film | |
| "Basra" geht es um eine Gruppe Jugendlicher, die mit wirtschaftlichen | |
| Schwierigkeiten kämpfen, selbst für die kleinste Zerstreuung fehlt ihnen | |
| die Freiheit. Ein Fotografen-Ehepaar kann kaum von seiner Kunst leben, ein | |
| anderes junges Ehepaar wird plötzlich zum Opfer der Krise des Tourismus - | |
| damals ausgelöst durch den Golfkrieg. Gerade als sie an ein gemeinsames | |
| Leben denken, verlieren sie ihre Arbeitsplätze. Der dritte Fall ist der | |
| eines jungen Filmemachers. Er ist gezwungen, auf seine Kunst zu verzichten | |
| und in der Werbeindustrie zu arbeiten, was ihn letztlich zerstört. | |
| ## Eine Jugend in Aufruhr | |
| "Microphone" von dem jungen Regisseur Ahmad Abdalla porträtiert ebenfalls | |
| junge Leute. Khaled ist nach Alexandria zurückgekehrt in eine Szene, in der | |
| einige einen Film machen, andere ein Hip-Hop-Konzert und wieder andere | |
| Mauern mit Plakaten und Graffitis schmücken. Unter dem Eindruck realer | |
| Ereignisse zeichnet der Film ein Bild einer Jugend in Aufruhr, die kurz | |
| davor ist zu explodieren. Entstanden 2010, feierte er seinen ersten Erfolg | |
| in Tunis, wo er im Oktober 2010 den großen Preis des Filmfestivals von | |
| Karthago erhielt. | |
| Die Wut, das Gewicht der Frustration und der starke Wille, die Sprache an | |
| sich zu reißen, sind sehr stark und tief in der Realität einer Gesellschaft | |
| verankert, die am Ende explodiert. Die Bilder, die die Medien ohne | |
| Unterlass über diese ausbrechende Gesellschaft übermitteln, sind lediglich | |
| die Lava dieses Vulkans, dem schon diese Kinomacher ihre Aufmerksamkeit | |
| gewidmet haben - auch ihre Filme haben nur das Echo seines Grummelns | |
| übermittelt. | |
| Doch ob es sich nun um Filme oder kleine Videos im Internet handelt - das | |
| allein macht noch keine Revolution. Die wahre Revolution hat in den Straßen | |
| von Tunis und auf dem Tahrir-Platz in Kairo stattgefunden. Die Bilder haben | |
| dazu beigetragen, das Bewusstsein zu nähren, es aufzuwecken und ihm zu | |
| erlauben, an etwas zu glauben. Um den Rest hat sich die Straße gekümmert. | |
| Aus dem Französischen von Barbara Oertel | |
| 17 Mar 2011 | |
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