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# taz.de -- Folterungen der ägyptischen Armee: Das Ende der Küsse
> Ägyptens Protestbewegung sah in der Armee ihren Retter. Nun zeigen
> Netzvideos die brutale Seite der Soldaten. Der Student Ramy Essam hat die
> Exzesse veröffentlicht.
Bild: Der Sänger und Student Ramy Essam mit Verletzungen am ganzen Körper
Die Demonstrierenden haben auf Panzern getanzt, neben ihren Ketten
geschlafen. Den Soldaten Blumen in die Uniformtasche gesteckt, sie geküsst.
Als Präsident Mubarak nach wochenlangen Protesten am 11. Februar
zurücktrat, übernahm in Ägypten das Militär die Macht – und wurde mit Jub…
begrüßt. Die Bewegung, die auf und um den Kairoer Tahrirplatz gewachsen
war, wähnte das Militär auf ihrer Seite. Ein Sprecher sagte in einer
Ansprache zu, die Armee sei nur an der Macht, um die Forderungen der
Revolution zu erfüllen.
Doch die Flitterwochen sind vorbei. Am 9. März, keinen Monat nach der
Machtübernahme, räumte das Militär die letzten Reste des Protestcamps auf
dem Tahrirplatz und verhaftete über 200 Menschen, darunter fast alle
Protestierenden, die im Camp waren oder zu seiner Verteidigung herbeigeeilt
waren.
Zwei Tage später tauchte auf Facebook ein Video auf. Es zeigt den Studenten
und Sänger Ramy Essam, 23, wie er während der Revolution auf einer
improvisierten Bühne steht, die langen Locken zum Zopf gebunden, Gitarre
spielt, lacht, singt. Schnitt. Essam liegt auf einem Laken, das Gesicht
verquollen, von den Haaren sind nur struppige Büschel geblieben. „Mein Name
ist Ramy Essam“, beginnt er, und während die Kamera über seinen Rücken voll
Striemen schwenkt, erzählt er, wie er am 9. März festgenommen wurde:
„Sie brachten uns zum Ägyptischen Museum und schlugen uns vom ersten Moment
an brutal. Ich versuchte erst gar nicht, mit den einfachen Soldaten zu
diskutieren. Ich wartete auf die politischen Offiziere, ich war mir sicher,
sie würden uns verstehen und das aufklären. Das Gegenteil war der Fall! Die
Offiziere gingen noch brutaler mit uns um. Sie warfen mich zu Boden und
prügelten auf mich ein. Sie zogen mich aus und schnitten mir die Haare ab,
schlugen uns mit Stöcken, Stromkabeln, Gürteln und Drähten. Einer sprang
mir mehrmals ins Gesicht. Dann schleiften sie mich auf den Hof und
schmierten mir Dreck ins Gesicht. Offiziere verabreichten mir
Elektroschocks … Gott schütze mich vor dem ägyptischen Militär!“
## Nackt vor den Soldaten
Andere Aktivisten folgten seinem Beispiel und sagten aus, wie sie im
Ägyptischen Museum behandelt wurden. Etwa die junge Aktivistin Salma
al-Hosseina Gouda: „Wir Frauen wurden der Prostitution angeklagt, wir saßen
vollkommen nackt vor den Soldaten. Und wenn ein Mädchen widersprach und
sagte, sie sei Jungfrau, nahm einer sie und ‚checkte‘ das.“
Die Videos waren ein Schock für viele in der jungen Bewegung in Ägypten.
„Wir hätten nie gedacht, dass das Militär so etwas tut“, sagt Fatima, 25.
„Wir dachten, die stehen auf unserer Seite.“ Auch sie selbst sei zwei
Wochen zuvor verhaftet worden. Die Soldaten hätten sie aber gut behandelt,
mit Respekt. Was das für den Fortgang der Revolution bedeutet? Sie zuckt
hilflos die Schultern. „Ich weiß es nicht.“
„Ich dachte, das sei ein Einzelfall“, sagt Hamid, 21, Ingenieurstudent.
„Aber so, wie das aussieht, ist es das nicht.“ Es ist nicht bei den
Misshandlungen geblieben: Ende März haben Militärgerichte in
Schnellverfahren viele der Protestierenden zu ein bis drei Jahren Haft
verurteilt, von einigen der Festgenommenen fehlt jede Spur. Hamid ist
ratlos, wütend. „Wir haben die Sicherheitspolizei nicht vertrieben, damit
das Militär nun dasselbe macht!“
Tatsächlich galt das Militär bisher als verhältnismäßig sauber. Durch die
allgemeine Wehrpflicht bestehen enge Verbindungen in die Bevölkerung, die
Armee hat seit der Befreiung von der Kolonialherrschaft einen guten Ruf.
Für Folter, willkürliche Verhaftungen und das Verschwindenlassen von
Aktivisten war unter Mubarak meist die verhasste Sicherheitspolizei
zuständig, das Militär beschränkte sich darauf, im Hintergrund die Politik
des Landes zu lenken. Nicht zuletzt aufgrund seiner enormen
wirtschaftlichen Macht – das Militär kontrolliert geschätzt 25 Prozent des
Bruttoinlandsprodukts, ihm gehören Land, Fabriken und Hotels.
## Die Diktatur ist noch da
Die ägyptischen Medien haben sich mit der Berichterstattung zurückgehalten
– das Militär zu kritisieren ist in der neuen, deutlich freieren
Medienlandschaft eines der verbliebenen Tabus. Wer es bricht, läuft Gefahr,
vor einem Militärgericht zu landen: wie Maikel Nabil Sanad, der am Dienstag
wegen Beleidigung der Armee verhaftet wurde, nachdem er in einem Artikel
auf seinem Blog die Rolle der Armee während der Revolution analysierte und
zum Schluss kam: „Wir sind den Diktator losgeworden, aber nicht die
Diktatur.“
Das Militär setzte in den letzten Wochen auf Öffentlichkeitsarbeit: Seit
kurzem hat es eine Facebook-Seite, als Ende Februar Protestierende
verhaftet wurden, entschuldigte sich ein Sprecher am selben Tag. Jetzt
weigert sich das Militär, zu den Vorfällen am 9. März Stellung zu beziehen.
Ein Sprecher behauptete in einem Interview, die Namen von Essam oder
anderen Festgenommenen nie gehört zu haben.
Stattdessen hat die Übergangsregierung Ende März ein Gesetz beschlossen,
das jede Art von Protest verbietet, wenn er das reibungslose Funktionieren
von Institutionen oder der Wirtschaft beeinträchtigt. Das Gesetz war keine
vier Stunden alt, da wandte das Militär es bereits an und räumte die
Besetzung der Kairoer Universität. Die Studierenden hatten mit Streiks die
Absetzung der Dekane und Professoren gefordert, die vom alten Regime
eingesetzt worden waren. Im Militär, so mutmaßen viele Aktivisten, setzen
sich zunehmend jene Kräfte durch, die weniger auf Nähe zur Bewegung als auf
eine harte Hand setzen – und dabei einen großen Teil der Bevölkerung hinter
sich wissen, der nach wochenlangen Protesten nach einer Rückkehr zu „Ruhe
und Stabilität“ ruft.
Die Bewegung hat schmerzhaft gelernt, dass es keine gute Idee war, die
Umsetzung des Wandels dem Militär zu überlassen – und ruft wieder auf die
Straße, zur „Rettung der Revolution“. Dieses Mal nicht mit der Armee,
sondern gegen sie.
2 Apr 2011
## AUTOREN
Juliane Schumacher
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