# taz.de -- Debatte 10 Jahre Kosovo: Krawatten und Hass | |
> Keine Reisefreiheit, Arbeitslosigkeit, Korruption: An den Problemen des | |
> jungen Staates Kosovo ist zur Hälfte die internationale Gemeinschaft | |
> schuld. | |
Bild: Premierminister Ramush Haradinaj verdoppelte sein Gehalt und erklärte, e… | |
Das Kosovo sei eine gemeinsame Erfolgsgeschichte sagte Hashim Thaci, | |
Präsident des Landes und ehemaliger Rebellenführer, [1][kürzlich gegenüber | |
der taz]. Er meint damit, dass das Kosovo, so wie es heute ist, nicht nur | |
von einheimischen Politikern wie ihm aufgebaut wurde, sondern auch von der | |
internationalen Gemeinschaft. Es stimmt: Beide Seiten sind für die | |
Ergebnisse verantwortlich. Im Guten wie im Schlechten. | |
Als 1999 Nato-Truppen in das von den serbischen Militärs verwüstete Land | |
einrückten, als fast eine Million von den Serben vertriebene Kosovo-Albaner | |
gemeinsam mit den Kämpfern der UÇK wieder in ihre Heimat zurückkehrten, war | |
etwas Unglaubliches geschehen. Die internationale Gemeinschaft hatte einer | |
von Genozid bedrohten Bevölkerung mit militärischer Gewalt geholfen, die | |
alte Herrschaft abzuschütteln. Bei den späteren Interventionen ging es dann | |
nicht mehr um Menschenrechte, im Kosovo schon. | |
Die Vereinten Nationen und die vor allem aus Nato-Truppen bestehende Kosovo | |
Force halfen der in ihre verwüsteten Dörfer zurückkehrenden albanischen | |
Bevölkerung. Die internationale Gemeinschaft sicherte zudem das Überleben | |
der im Kosovo gebliebenen serbischen Bevölkerung. Eine UN-Mission begann | |
das Land zu verwalten, das Kosovo wurde zu einem Protektorat der Vereinten | |
Nationen. Mit allen positiven und negativen Seiten. | |
Wo viele Soldaten stationiert sind, entwickeln sich auch Prostitution und | |
Frauenhandel. Drogen kamen ins Land. Die Korruption innerhalb der | |
UN-Verwaltung ergänzte die Korruption in den wiederaufgebauten staatlichen | |
Strukturen des Kosovo. Den schlechten Ruf des Landes also nur den Kosovaren | |
anzulasten ist grundfalsch. Die UN-Verwaltung selbst hat ein schlechtes | |
Beispiel gegeben und dadurch die Kriminalität im Land mitproduziert. | |
Hunderte von Millionen Euro internationaler Hilfsgelder wanderten in Kanäle | |
krimineller Strukturen. | |
## Von Kriminellen beherrscht | |
Indem die französischen Truppen im Juni 1999 beim Einmarsch in Mitrovica | |
stehen geblieben sind und es so Belgrad ermöglichten, einen Teil des Landes | |
weiterhin zu kontrollieren, haben die internationalen Institutionen die | |
Lunte an den bis heute schwelenden Streit im Kosovo gelegt. Denn die Region | |
um Nordmitrovica ist bis heute nicht vollständig in die 2008 unabhängig | |
gewordene Republik Kosovo integriert. Sie wird faktisch nicht nur von | |
Belgrad, sondern auch von serbischen Kriminellen beherrscht. Die | |
Unabhängigkeit des Landes war also von vornherein durch die Existenz | |
krimineller Strukturen und ungelöster Konflikte zwischen Albanern und | |
Serben in Mitrovica belastet. | |
Mit dem internationalen Plan, der den serbischen Gemeinden weitgehende | |
Selbstbestimmungsrechte einräumt, konnte das Land zwar in die | |
Unabhängigkeit, nicht jedoch in die Konfliktlosigkeit entlassen werden. | |
Wenn jetzt die EU von Prishtina fordert, den serbischen Gemeinden im Kosovo | |
ein eigenen Parlament zuzugestehen, dann baut sie an einer Republika | |
Srpska, wie sie in Bosnien schon existiert. Zehn Jahre nach der | |
Unabhängigkeit ist das Kosovo wirtschaftlich noch nicht gesundet. Es ist | |
lediglich gelungen, das Land auf niedrigem Niveau bei Arbeitslosenquoten | |
von 40 bis 70 Prozent wirtschaftlich zu stabilisieren. | |
Dass die Bevölkerung relativ ruhig geblieben ist, könnte man als Erfolg | |
werten. Die Menschen haben lange daran geglaubt, dass das Kosovo in | |
absehbarer Zeit in die EU aufgenommen würde. [2][Diese Stimmung aber | |
beginnt zu kippen]. Dass es nicht einmal gelungen ist, Visumfreiheit für | |
die EU zu erlangen, ist ein Skandal. Das Kosovo ist neben Bosnien und | |
Herzegowina das von der internationalen Gemeinschaft und der EU am | |
stärksten kontrollierte Land in Europa. | |
Weshalb Bürger aus Ländern wie Georgien und Moldau jetzt frei reisen | |
können, die Kosovaren aber nicht, erschließt sich niemandem mehr. Auch | |
nicht, warum die EU die fadenscheinige Bedingung aufstellte, es müsse | |
zuerst der Konflikt um ein paar Quadratmeter an der Grenze zu Montenegro | |
gelöst werden. Angesichts solcher Argumentationen müssen sich die Menschen | |
im Kosovo von der EU zu Recht verschaukelt vorkommen. | |
## Hass auf die politische Führung | |
Angesichts der Unruhe in der Bevölkerung beginnt die Legitimation der | |
herrschenden Parteien zu wackeln. Schon bei den letzten Wahlen haben die | |
Parteien der UÇK-Generation gewaltig Stimmen eingebüßt. Die Reputation | |
ihrer Führer hat sich seither nicht verbessert. Darüber, dass | |
Premierminister Ramush Haradinaj sein (offizielles) Gehalt auf 3.000 Euro | |
verdoppelte und erklärte, er könne sich mit dem alten Gehalt keine Krawatte | |
kaufen, mag man noch schmunzeln. Auch darüber, dass Bürger ihm Krawatten | |
zum Amtssitz brachten. Dass er aber 550 Leute aus seiner Region zu | |
Arbeitsplätzen in der Verwaltung verhalf, dass er in einem sündteuren Hotel | |
in St. Moritz Urlaub machte, entfachte Emotionen. | |
Ein so offen ausgedrückter Hass der einfachen Bevölkerung auf die | |
politischen Führer ist neu. Hinzu kommt, dass die politische Führung – was | |
sie jetzt bedauert –dem Aufbau eines von internationalen Richtern besetzten | |
Gerichtes zugestimmt hat , das die Verbrechen der UÇK ab Sommer 2019 | |
untersuchen soll. Es tauchen immer mehr Zeugen auf, die aussagen wollen – | |
manche, um falsche Spuren zu legen oder um sich selbst zu schützen. Doch es | |
ist etwas in Bewegung geraten, was die gesamte Führung in den Abgrund | |
reißen kann – und eine Mentalität ändern könnte, die sich während einer | |
500-jährigen Fremdherrschaft der Sultane gebildet hat und auch in zehn | |
Jahren der Unabhängigkeit intakt blieb. | |
Über Jahrhunderte sah die Bevölkerung im Staat einen Feind, der Steuern | |
erhob und die Menschen auspresste. Doch wer an die Tröge kam, versuchte | |
alles, den Staat für die eignen Interessen zu instrumentalisieren. Sich als | |
verantwortliches Mitglied einer Gemeinschaft zu begreifen, das den Staat | |
trägt, fällt den Beherrschten wie den Herrschern im Kosovo immer noch | |
schwer. | |
17 Feb 2018 | |
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## AUTOREN | |
Erich Rathfelder | |
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