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# taz.de -- Emanzipation im Kosovo: Die Unabhängigkeit ist weiblich
> Seit zehn Jahren ist Kosovo ein eigenständiger Staat. Seitdem hat sich
> politisch viel verändert. Doch Frauen haben es noch immer schwer.
Bild: Früher provokativ, heute dezenter unterwegs – trotzdem: Nita Hasani le…
Prishtina taz | Nita Hasani ist jetzt ruhiger geworden. Vor ein paar Jahren
noch liebte es die 29-Jährige, zusammen mit ihren Freundinnen in schrägem
und extravagantem Outfit in den angesagten Kneipen Prishtinas rumzuhängen.
Das war zu der Zeit, als sie noch in der Künstlerszene aktiv und Teil eines
alternativen Theaterkollektivs war. Dieses knüpfte Kontakte zur serbischen
Alternativszene in Belgrad und gab eine zweisprachige Zeitung mit Beiträgen
von Dichtern und Intellektuellen beider Seiten heraus, machte sich an ein
gemeinsames Theaterstück. Sich einer Diskussion mit den Serben zu öffnen
war damals in Kosovo gefährlich.
Heute sitzen Kosovo-Serben sogar in der Regierung des Landes, vor zehn
Jahren jedoch waren die Erinnerung an die gewaltsame Vertreibung von einer
Million Albanern und der gegenseitige Hass noch allgegenwärtig. Kämpfer der
Kosovo-Befreiungsorganisation UCK hatten die Macht in Prishtina
übernommen. Die albanischen „Dörfler“, die Menschen aus ländlichen Gegen…
mit rückwärtsgewandten Moralvorstellungen, saßen in der
Nachkriegsgesellschaft an allen Schalthebeln der Macht und bestimmten die
Atmosphäre in der Stadt.
Dass Hasani sich jetzt unauffälliger kleidet, will sie nicht als Kniefall
vor dieser „Kultur“ verstanden wissen. Die tägliche verbale Anmache und die
Beleidigungen zu ertragen verlange viel Geduld. Viele Frauen und Männer aus
der Künstlerszene haben sich in den letzten Jahren nicht nur aus Geldmangel
und Existenzängsten ins Ausland abgesetzt. Viele wollten die intellektuelle
Beschränktheit im Lande nicht mehr ertragen. Sie erleben jetzt ihre
persönliche Freiheit in Berlin, Zürich oder Wien, in Australien, Kanada
oder den USA. „Wir Frauen, die wir hier weiterleben, dürfen uns aber nicht
einschüchtern lassen“, sagt Hasani trotzig.
## Über 30 Prozent Arbeitslosigkeit
Nita Hasani stammt zwar aus einer ziemlich liberalen und gut ausgebildeten
Familie. Ihr Vater habe sie nie unter Druck gesetzt, dieses oder jenes zu
tun. „Aber die Onkel, die Verwandten, sie fordern ganz offen, ich sollte
heiraten und mich an ihren Wertvorstellungen orientieren.“ Ihren Wunsch,
als Frau ein unabhängiges Leben zu führen, könnten sie nicht akzeptieren.
„Wenn du deine Tochter so leben lässt, dann wird sie einem Mann niemals
mehr dienen, wie es sich gehört“, werfen sie dem Vater vor. Frauen gehörten
ins Haus und sollten sich um die Kinder kümmern.
Nita Hasani hat sich jetzt einen Freiraum geschaffen. Und sie hat auch
Glück gehabt. Denn Angestellte einer westlichen Botschaft zu werden gelingt
nicht jeder Kosovoalbanerin in diesem Land mit über 30 Prozent
Arbeitslosen. Sie hat sich in den Neubaugebieten oberhalb der Stadt sogar
eine kleine Wohnung kaufen können.
Ist die Flucht in die kleinbürgerliche Idylle die Alternative zum Kampf für
Veränderung? „Du musst die Frauenproblematik in Kosovo schon tiefer
studieren, bevor du so was ausspuckst“, rät Evliana Berani, eine 56-jährige
Journalistin, Aktivistin, Professorin, vielsprachige Multiplikatorin und
ein Wirbelwind in allen Gassen.
Sie hat gleich ein paar wichtige Hinweise über das Leben der Frauen in
dieser Gesellschaft parat. Um die 70 Prozent aller Frauen in Kosovo sind
von häuslicher Gewalt betroffen. Es gebe in den traditionellen Familien für
Frauen kaum eine Chance, sich zu wehren. Die Gewalt öffentlich zu machen
hieße die Ehre der Familie zu beschmutzen.
## Die traditionelle Frauenrolle
Nicht einmal Vergewaltigungen würden angezeigt. Die 20.000 Frauen, die nach
realistischen Schätzungen von serbischen Soldaten 1999 vergewaltigt wurden,
werden bis heute von den eigenen Familien aus Scham daran gehindert, dies
offenzulegen. „Stell dir mal vor, nach dem Krieg haben Frauen als
vergewaltigte Kriegsopfer eine Rente beantragen können. Es haben sich nur
150 gemeldet.“ Die Frauen sind sich selbst überlassen, professionelle Hilfe
von außen gibt es für sie nicht. „Und so kann man auch nicht erwarten, dass
es im Kosovo schnell zu einer MeToo-Bewegung kommt.“
Berani selbst ist ganz anders aufgewachsen. Sie stammt aus einer der
wenigen gemischten Familien, ihr Vater Albaner, ihre Mutter Serbin, beide
Akademiker. Sie stand niemals unter dem Druck, eine traditionelle
Frauenrolle annehmen zu müssen. Trotzdem heiratete sie schon mit knapp 20
Jahren einen albanischen Ingenieur, hat eine Tochter. Sie kam Anfang der
80er Jahre als junge Frau eher zufällig zum Journalismus, weil die
albanischsprachige Zeitung Rilindja gerade jemanden suchte. Aber sie fing
Feuer und schon ein paar Jahre später gehörte sie zu den meistgelesenen
Autoren in diesem Land. Denn sie verzichtete auf Ideologie und Politik, wie
sie betont, sie berichtete einfach über Dinge, die passiert sind. Kühl.
Distanziert. Menschlich.
## Ein selbstbestimmtes Leben
Als die Zeitung nach der Abschaffung des Autonomiestatutes Kosovos vom
serbischen Milošević-Regime 1990 verboten wurde und alle Albaner ihre
Positionen in der Verwaltung und der Wirtschaft verloren, behielt Berani
einen kühlen Kopf. Sie hätte auch zu ihrem 1988 in die Schweiz geflohenen
Ehemann gehen können. Doch lieber blieb sie mit ihrer Tochter in dem Land,
in dem die Repression des Milošević-Regimes eingesetzt hatte. Sie wollte
bei ihren Leuten bleiben. „Gerade dann, wenn es schwierig wird.“
Weltweit Aufsehen erregte 1990 ihre Recherche über die Vergiftung von
Hunderten von albanischen Schülern durch serbische Nationalisten. Sie nahm
die Repression und die Ungerechtigkeiten nicht hin. Als die Schulen
geschlossen und Albaner aus dem Gesundheitssystem geworfen waren, als sie
also plötzlich in einem Apartheidsstaat lebte, half sie, ein alternatives
System zu etablieren.
Vor allem aber schrieb sie über das Leben im Untergrund, über die in
Privathäusern untergebrachten Krankenhäuser und Schulklassen, gab selbst
Unterricht an der albanischen Untergrund-Universität und war Stringer für
ausländische Journalisten, etwa für die New York Times, die Zeit, die ARD,
sie übersetzte für CNN, BBC und baute das Büro von Radio Freies Europa auf.
Was sie verdiente, verteilte sie sofort an Bedürftige. Geld war ihr nicht
wichtig.
„Mir ist es damals gar nicht aufgefallen, dass ich als Frau an vorderster
Front stand.“ Sie ist über ihre Aussage selbst verwundert. „Im
jugoslawischen Sozialismus hatten die Frauen formell die gleichen Rechte.“
Das habe ihr sicherlich geholfen, als ausgebildete, mehrsprachige Frau ein
selbstbestimmtes Leben zu führen.
## Langsame Modernisierung
„Ich lebte auch im Apartheidsstaat und später während des Kosovokrieges als
Aktivistin in einer besonderen Sphäre.“ Erst nach dem Krieg und dem
Einmarsch der Natotruppen 1999, während der UN-Verwaltung bis 2008 und dann
in der Unabhängigkeit Kosovos vor zehn Jahren sei ihr die
Gender-Problematik bewusst geworden, gibt sie zu. So stieg sie in Projekte
zur Qualifizierung von Frauen ein. „Heute haben wir ein buntes Bild über
die Lage der Frauen.“
Auf dem Land und in den Unterschichten der Städte würden die traditionellen
Werte noch gelten, ein Teil der städtischen Bevölkerung aber modernisiert
sich langsam. „Vor allem in privaten Medien, Firmen, Schulen und
Universitäten sind Frauen sogar manchmal in der Mehrheit.“
Evliana Berani ist sich bis heute treu geblieben. Wenn jemand sie braucht,
dann will sie helfen. Wo kann man sie also heutzutage in Prishtina
antreffen? Natürlich in einer abseits liegenden Wohnung, wo junge Leute
konzentriert an Computern sitzen. Und an einem Projekt arbeiten, das sie
für wichtig für die Zukunft der Gesellschaft hält. Berani ist begeistert
von der Aufgabe, mit infoglobi.com eine Datenbank für den Kosovo zu
erstellen, die für den Journalismus und die Wissenschaft „unschätzbare
Dienste“ leisten kann. Sie möchte dem Projekt mit Ideen zur Vermarktung auf
die Sprünge helfen – ohne selbst nach Lohn zu fragen.
17 Feb 2018
## AUTOREN
Erich Rathfelder
## TAGS
Kosovo
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Frauen
Emanzipation
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