# taz.de -- Debatte Integration des Westbalkans: Die falsche Reihenfolge | |
> Brüssel und Berlin scheinen immer noch zu glauben, dass Serbien ein | |
> Stabilitätsfaktor für die Region ist. Das Gegenteil trifft zu. | |
Bild: Serbien erinnert an die spanische Weigerung, die Unabhängigkeit des Koso… | |
Vielleicht hat Bulgarien aus eigenem Interesse den Ausschlag für die neue | |
Initiative der EU in Bezug auf den Westbalkan gegeben. Die immer deutlicher | |
werdenden wirtschaftlichen und militärischen Ambitionen [1][Russlands] | |
und der Türkei in diesem Raum sind aber auch ein generelles Problem. | |
Russland bildet serbische Militärs in der serbischen Teilrepublik in | |
Bosnien und Herzegowina und in Serbien selbst aus und hat sich Zugriff auf | |
die Energieproduktion im gesamten Gebiet verschafft. Erdoğans Türkei sieht | |
den Balkan als türkischen Vorhof an und propagiert sich als Alternative zu | |
Europa. Komplementiert wird das Ganze durch ihre Medienoffensiven – | |
russische Nachrichtensendungen und Fake News, gepaart mit | |
süßlich-kitschigen türkischen Telenovelas flimmern täglich in allen | |
Wohnzimmern von Zagreb bis Tirana über die Bildschirme. | |
Indem China nun die Finanzierung großer Infrastrukturprojekte angekündigt | |
hat – so die Schnellbahn zwischen dem von China genutzten Hafen | |
Thessaloniki über Belgrad nach Budapest und neue (Kohle-)Kraftwerke in | |
Bosnien – ist ein neuer Spieler in Südosteuropa aufgetaucht. Die | |
EU-Außenbeauftragte Federica Mogherini vertritt durchaus europäisches | |
Interesse, wenn sie gegenüber den Menschen in der Region und auch gegenüber | |
den EU-Mitgliedstaaten betont, dass Südosteuropa zu Europa gehört und die | |
bisher außerhalb der Union stehenden Staaten Serbien, Montenegro, Albanien, | |
Mazedonien, Bosnien und Herzegowina und Kosovo so schnell wie möglich ihren | |
Platz in der EU finden sollten. | |
Das war in den vergangenen Jahren nicht immer selbstverständlich. Der je | |
nach Stimmungslage sprechende Jean-Claude Junker hielt noch kürzlich | |
flammende Reden gegen eine erneute EU-Erweiterung. Man kann nur hoffen, | |
dass angesichts der erlebten Doppeldeutigkeit der EU-Politik bei den | |
Menschen in der Region noch nicht das gesamte Porzellan zerschlagen ist. | |
Jetzt klingen die Töne aus Brüssel fast wieder wie in Thessaloniki 2003, | |
als wäre seitdem nichts geschehen. Wenn ihr euch demokratisiert und | |
Rechtsstaaten aufbaut, seid ihr herzlich willkommen, hieß es damals wie | |
heute. | |
Damals nahmen das viele Leute ernst, es gab einen demokratischen Schub und | |
Hoffnung in den Zivilgesellschaften. Heute ist eine solche Stimmung nicht | |
mehr zu kreieren. Zu schlimm sind die Erfahrungen mit der unentschlossenen | |
und gegenüber nationalistischen Diktatoren zu weichen Politik der EU. | |
Warum hat Brüssel nicht stärker eingegriffen, als mit den Religionen | |
verbündete nationalistische Parteien und verantwortungslose Führer in der | |
letzten Dekade Scheindemokratien aufgebaut haben, die sich durch Terror und | |
Kontrolle über die Medien an der Macht halten? In Bosnien und Herzegowina | |
können die Volksgruppenführer wie der Chef der serbischen Teilrepublik mit | |
Abspaltung und Krieg drohen, ohne dass dies sanktioniert würde. Die meisten | |
dieser Führer versuchen unverhohlen, durch das Schüren nationalistischer | |
Ressentiments ihre Herrschaft zu festigen. | |
## Kaum fassbares Versagen | |
Serbien und Montenegro sollen also zuerst, 2025, aufgenommen werden. Warum | |
gelten gerade die Länder, wo die EU und andere internationale | |
Institutionen das Sagen haben, als Schlusslichter für die Integration? In | |
Kosovo und Bosnien und Herzegowina gab und gibt es internationale | |
Administrationen, internationale Polizei, Rechtsstaatsmissionen, | |
internationale Truppen. Dass ausgerechnet jene Staaten das Ende der | |
Schlange bilden und die Kosovaren noch Visa für einen Besuch in der EU | |
brauchen, ist ein kaum fassbares Versagen. | |
Den Kampf gegen die Korruption hat zudem niemand gewonnen. Und vor allem | |
hat man dabei versagt, die junge, ausgebildete Bevölkerung bei der Stange | |
zu halten. Zehntausende fliehen jährlich aus dem Westbalkan, um in | |
Deutschland, Österreich oder Skandinavien ein neues Leben aufzubauen. | |
Wie aber soll das neue Angebot Brüssels in den Augen gutwilliger Menschen | |
glaubwürdig werden, wenn ganz vorneweg Serbien die Mitgliedschaft in der EU | |
2025 angeboten wird? Warum hofiert auch die Kanzlerin in Berlin den starken | |
Mann, Aleksandar Vuksić, unter dem Serbien zu einer „Demokratur“ verkommen | |
ist, das die Bewältigung der eigenen blutigen Verbrechen in den Kriegen der | |
90er Jahre ablehnt? Die in Den Haag verurteilte Kriegsverbrecher werden | |
offen als Volkshelden verehrt. | |
Dass ohne die Aufarbeitung der Vergangenheit auch auf dem Balkan keine | |
Zukunft zu gewinnen ist, hat sich in Brüssel und Berlin offensichtlich | |
nicht herumgesprochen. Offenbar herrscht immer noch die irrige Vorstellung | |
vor, Serbien sei ein Stabilitätsfaktor auf dem Balkan. Seit Milošević 1991 | |
müsste man wissen, dass bis heute genau das Gegenteil der Fall ist. Serbien | |
hat nicht aufgegeben, Kosovo zurückzugewinnen und Bosnien und Herzegowina | |
entlang der Frontlinien von 1995 nach ethnischen Kriterien territorial | |
aufzuteilen. Die ähnlich gelagerte Verehrung von Kriegsverbrechern in | |
Kroatien ist keine Entschuldung. | |
Nein, ohne die Aufarbeitung der Vergangenheit gelingt es nicht, | |
Rechtsstaatlichkeit auf dem Westbalkan aufzubauen. Anderenfalls droht der | |
Zugriff von autoritären Regimen wie Russland, der Türkei und China. Um zu | |
vermeiden, dass die europäischen Prinzipien ein zweites Mal in | |
Vergessenheit geraten, müssen endlich auch gravierendere Maßnahmen in | |
Erwägung gezogen werden. | |
Die von lokalen Thinktanks vorgeschlagene Idee, man könnte die Länder des | |
Westbalkans schon jetzt in ein Europa der drei Geschwindigkeiten aufnehmen, | |
wäre vielleicht eine Lösung. Neben dem Kerneuropa (Eurostaaten) könnten | |
dann rechtsstaatlich fragwürdige Staaten wie Ungarn und Polen in der | |
zweiten Schiene bleiben, der Westbalkan zunächst in der dritten – mit | |
Aufstiegsmöglichkeiten. Dem Einfluss der Russen und Türken wäre aber erst | |
einmal ein Riegel vorgeschoben. | |
11 Feb 2018 | |
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## AUTOREN | |
Erich Rathfelder | |
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