# taz.de -- Vorladung vors Kosovo-Strafgericht: Premier Haradinaj tritt zurück | |
> Der Ministerpräsident von Kosovo gibt sein Amt auf. Doch wohl nicht nur, | |
> weil er vor dem Kosovo-Strafgericht erscheinen soll, wie er behauptet. | |
Bild: Ramush Haradinaj ist strikt gegen den Gebietsaustausch mit Serbien | |
SPLIT taz | Kosovos Ministerpräsident Ramush Haradinaj ist am Freitag | |
überraschend zurückgetreten. Er sei vom 2017 eingerichteten | |
Kosovo-Strafgericht in Den Haag vorgeladen worden, gab Haradinaj in | |
Prishtina bekannt, nicht aber als Angeklagter. Bis zur Ernennung eines | |
Nachfolgers bleibe er geschäftsführend im Amt, fügte der seit zwei Jahren | |
amtierende 51-jährige hinzu. | |
Inwieweit die Vorladung zu dem Kosovo-Strafgericht tatsächlich die aktuelle | |
politische Krise im Kosovo ausgelöst hat, wie es in internationalen Medien | |
heißt, ist allerdings fraglich. Politische Analytiker vermuten hinter dem | |
Rücktritt Haradinajs viel mehr einen Machtkampf in höchsten | |
Regierungskreisen. | |
Das Kosovo-Strafgericht ist nicht vergleichbar mit dem Den Haager | |
UN-Tribunal gegen Kriegsverbrechen im ehemaligen Jugoslawien. Vom | |
UN-Tribunal wurde Haradinaj als ehemalige Kommandeur der Organisation UCK, | |
die für die Unabhängigkeit Kosovos kämpfte, [1][bereits zwei Mal | |
freigesprochen]: 2008 und 2012. Allerdings blieb ein Geschmäckle: Wichtige | |
Zeugen kamen während der Verhandlungen unter ungeklärten Umständen ums | |
Leben. | |
Erst 2017 wurde das Kosovo-Strafgericht auf internationalen Druck hin | |
geschaffen, um mögliche Kriegsverbrechen während des Kosovokrieges zwischen | |
1998 und 2000 zu untersuchen. Es besteht vor allem aus kosovarischen | |
Richtern. Nun muss Haradinaj also auch dort aussagen | |
## Politischer Aufstieg trotz Verfahren | |
Bereits vor dem ersten Verfahren des UN-Tribunals gegen ihn hatte es | |
Haradinaj zum Ministerpräsidenten des Kosovos geschafft – auch mit Hilfe | |
aus dem Ausland: Im Jahr 2000 gründete er die Partei „Allianz für die | |
Zukunft des Kosovos“ (AAK), der er seitdem vorsteht. 2004 war er mit | |
Unterstützung der USA erstmals Premier geworden. | |
Nach dem entscheidenden Freispruch 2012 gelang es Haradinaj, seine im | |
Westen des Landes verankerte AKK wieder zu stärken. Er profilierte sich als | |
Oppositionsführer und Gegenspieler des „starken Mannes“ des Kosovos – | |
Hashim Thaci, dem heutigen Präsidenten. So konnte er 2017 mit den Stimmen | |
der anderen Oppositionsparteien, Demokratische Liga und Selbstbestimmung, | |
den damaligen Ministerpräsidenten Thaci aus dem Amt jagen, das er seitdem | |
erneut [2][selbst innehatte]. | |
Der wahre Grund für den Rücktritt des Premiers ist laut politischen | |
Analytikern wie der Journalistin Evliana Berani jedoch nicht seine | |
Vorladung vor Gericht. Vielmehr strebe er damit eine Neuwahl an. Denn die | |
Konflikte zwischen Haradinaj und Präsidenten Thaci haben sich in den | |
vergangenen Jahren verschärft. | |
## Streit um Land | |
Hashim Thaci, nicht nur amtierender Präsident des Kosovos, sondern auch | |
Ex-Oberkommandierender der UCK und Ex-Chef der größten Partei des Landes, | |
der Demokratischen Partei PKK, strebt einen [3][Austausch von Territorien | |
mit Serbien] an. So soll das vor allem von Serben bewohnte Nordkosovo an | |
den nördlichen Nachbarn gehen, dagegen das vornehmlich von Albanern | |
bewohnte Preševo-Tal in Südserbien zu Kosovo geschlagen werden. Dafür soll | |
Serbien Kosovo endlich als unabhängigen Staat anerkennen. | |
Hinter diesem Deal stehen auch internationale Mächte, allen voran Russlands | |
Präsident Wladimir Putin und US-Präsident Donald Trump sowie die | |
Außenbeauftragte der EU, Federica Mogherini. Dennoch gelang es Angela | |
Merkel im Mai auf einer Balkan-Konferenz in Berlin, das Projekt erst einmal | |
auf Eis zu legen. Berlin fürchtet mit dem Gebietsaustausch die Öffnung der | |
Büchse der Pandora mit unabsehbaren Konsequenzen für Bosnien und | |
Herzegowina, Nordmazedonien und die Ukraine. | |
Auch Ramush Haradinaj ist strikt gegen den Gebietsaustausch und weiß damit | |
den größten Teil der kosovarischen Öffentlichkeit hinter sich, ebenso wie | |
die serbisch-orthodoxe Kirche, die bei einem ethnisch motivierten | |
Gebietsaustausch um die Existenz der serbischen Minderheit in Kosovo | |
fürchtet. | |
Pluspunkte bei der albanischen Bevölkerungsmehrheit konnte der | |
mehrsprachige und jovial auftretende Haradinaj auch damit gewinnen, dass er | |
im November vergangenen Jahres die Einfuhrzölle auf serbische Waren um 100 | |
Prozent erhöhte. Damit reagierte Kosovo auf die serbische | |
Obstruktionspolitik, die Kosovo von internationalen Organisationen | |
fernhalten soll. Erst 2018 verhinderte Serbien die Aufnahme des | |
Nachbarlandes bei Interpol. Durch die erhöhten Einfuhrzölle erlitt Serbien | |
empfindliche an die Milliardengrenze gehende Verluste, während sich die | |
Produzenten und Händler in Montenegro, Albanien und Nordmazedonien freuen | |
konnten. | |
Auf der Grundlage dieser Stimmung im Lande geht Haradinaj jetzt aufs Ganze. | |
Sollte Präsident Thaci nicht innerhalb von 45 Tagen eine tragfähige neue | |
Regierung auf die Beine stellen, bekommt Haradinaj seinen Willen: eine | |
Neuwahl. | |
20 Jul 2019 | |
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## AUTOREN | |
Erich Rathfelder | |
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