# taz.de -- Öko-Landwirtschaft als Hoffnungsträger: Heilkräuter für Bosnien… | |
> Das Unternehmen Bosnia Grows Organic will ländlichen Gegenden eine | |
> Perspektive bieten: mit kultivierten Biokräutern. Die Hürden sind hoch. | |
Bild: Salbei, hier allerdings nicht in Bosnien, soll zu Bio-Tee werden | |
Bijelo Brdo taz | Das kleine Dorf Bijelo Brdo liegt in der Region Derventa | |
im Norden von Bosnien und Herzegowina. Nur noch 138 Menschen leben laut der | |
letzten Volkszählung dort. Seit dem Krieg in den 90er Jahren hat die | |
Einwohnerzahl immer weiter abgenommen. Hier gibt es nichts, was die | |
Menschen hält, und kaum etwas, was sie am Leben erhalten könnte. | |
Die Austro-Bosniakin Ivana Stjepanović will das ändern. Was sie sich | |
vorstellt: „Am besten ein Ökodorf mit erneuerbarer Energie.“ Das wird nicht | |
einfach: Ein Vierteljahrzehnt nach dem Krieg ist die Lage in Bosnien und | |
Herzegowina immer noch angespannt: ethnische Konflikte, [1][Korruption], | |
Arbeitslosigkeit. Bei Menschen unter 24 liegt die Arbeitslosenquote sogar | |
bei fast 60 Prozent. | |
Der empfundene Stillstand lässt viele junge und vor allem gut ausgebildete | |
Menschen die Koffer packen. Allein im ersten Halbjahr 2019 sind laut der | |
NGO Union für nachhaltige Rückkehr und Integration in Bosnien und | |
Herzegowina 30.000 Menschen ausgewandert. Seit 2013 haben über 200.000 | |
Menschen das Land verlassen, und das bei einer Gesamtbevölkerung von 3,5 | |
Millionen. | |
Dabei sei Bosnien „ein reiches Land mit fruchtbaren Böden, die nie | |
Pestizide gesehen haben“, sagt Stjepanović. Ihr Wirtschaftssprech zeugt | |
davon, dass sie schon ernsthaft an Konzepten gearbeitet hat: „Eine | |
bosnische Biomarke hätte sozialen, ökonomischen und ökologischen Mehrwert.“ | |
Biologische Landwirtschaft könne Arbeitsplätze schaffen und für den | |
„dringend notwendigen wirtschaftlichen Aufschwung“ sorgen. | |
Das bestätigt Aleksandra Nikolić vom agrarwirtschaftlichen Institut der | |
Universität Sarajevo: „Das Potenzial für Ökolandwirtschaft ist groß, vor | |
allem in Verbindung mit Tourismus.“ Seit dem Krieg liegt ein Großteil der | |
landwirtschaftlich nutzbaren Flächen in Bosnien und Herzegowina brach. Eine | |
Chance für die neue Generation Landwirt*innen, findet Nikolić, die sich | |
neben ihrem Beruf als Professorin schon seit den 90er Jahren für | |
ökologische Anbaumethoden einsetzt. | |
Wie auch in anderen europäischen Ländern hat die Nachfrage nach ökologisch | |
produzierten Lebensmitteln in Bosnien und Herzegowina in den vergangenen | |
Jahren zugenommen. Doch die Produkte sind teuer und sind nur in kleinen | |
Läden in größeren Städten wie Sarajevo, Mostar oder Banja Luka erhältlich. | |
Leisten können sich die Biolebensmittel nur Besserverdienende. | |
Alen Mujčinović schreibt gerade an seiner Doktorarbeit über nachhaltige | |
Anbaumethoden von Heilkräutern in Bosnien. Heilkräuter haben auf dem Balkan | |
eine lange Tradition. „Die Böden sind fruchtbar, und die klimatischen | |
Bedingungen sind ideal für den Anbau“, sagt Mujčinović. Doch es ist ein | |
Rennen gegen die Zeit. Denn die seit einigen Jahren steigende Nachfrage | |
nach Beeren hat zu einer intensiven Bewirtschaftung in manchen Regionen | |
geführt. Das macht ihm Sorgen: „Die Folgen der Bodendegradation lassen | |
nicht lange auf sich warten.“ | |
2016 startet Stjepanović mit der Gründung der Firma [2][Bosnia Grows | |
Organic] und 30 gepachteten Hektar. Bis heute sind noch 10 Hektar | |
dazugekommen. Für die ersten Pflanzen – Brennnessel, Käsepappel, Salbei, | |
Thymian und Hagebutte – haben sich bereits zahlreiche Abnehmer gefunden. | |
Die vom Schweizer Verband Bio Suisse zertifizierten Kräuter werden vor Ort | |
getrocknet und aufbereitet für den Weiterverkauf an Bio-Tee-Verarbeiter in | |
Österreich, der Schweiz und in Deutschland. Sogar in den USA gebe es | |
Interessenten. | |
Die Europäische Union ist ein wichtiger Handelspartner Bosniens. Mehr als | |
die Hälfte der Agrar-Produkte werden in die EU exportiert. „Auch der | |
Heilpflanzen-Sektor ist deutlich exportorientiert“, sagt Mujčinović. Genaue | |
Zahlen gebe es nicht. Man wisse nicht einmal genau, wie viel produziert | |
wird. Die Schätzungen reichen von 1.500 bis 9.000 Tonnen getrocknete | |
Kräuter pro Jahr. | |
Die Expert*innen Nikolić und Mujčinović bedauern, dass sich Vorurteile in | |
der Bevölkerung hartnäckig halten. Allgemein wird davon ausgegangen, dass | |
Ökolandbau nicht profitabel ist. In der Landwirtschaft zu arbeiten ist | |
außerdem nicht populär, es gilt als altmodisch und unterbezahlt. „Es muss | |
sich etwas in der Mentalität verändern“, sagt Mujčinović. Die beiden | |
wünschen sich auch mehr Unterstützung von der Politik. Die tue wenig bis | |
gar nichts. | |
## Ein erstes Crowdfunding scheiterte | |
Die Finanzierung des Bio-Unternehmens war eine der großen Hürden: Die | |
Crowdfunding-Kampagne scheiterte anfangs an zu wenigen Spenden, Stjepanović | |
suchte Investoren, um den Projektstart zu ermöglichen. Unterstützung kommt | |
außerdem von Familienmitgliedern, Freund*innen, Landwirt*innen, die mit | |
Tipps für die Praxis an ihrer Seite stehen, und Nachbarn, die ihre Felder | |
zur Verfügung stellen. Auch der Bürgermeister von Derventa, Milorad Simić, | |
zeigte sich begeistert. | |
Es gibt aber auch kritische Stimmen, Bewohner*innen, die misstrauisch sind. | |
Stjepanović kann das nachvollziehen: „Wer so viel Leid erlebt hat, hat | |
Schwierigkeiten zu vertrauen.“ Dazu kommen viele weitere Hürden: Die | |
gepachteten Felder wurden in den letzten dreißig Jahren größtenteils nicht | |
bewirtschaftet, Sträucher, Baumstümpfe und Ruinen müssen entfernt werden. | |
Bisher sind erst 20 Hektar freigeräumt, nur knapp über 10 können bestellt | |
werden. Manchmal werden bei den Aufräumarbeiten nicht explodierte Geschosse | |
gefunden, die von lokalen Behörden entfernt werden müssen. | |
Und dann sind da noch die untypisch extremen Launen des Wetters. In der | |
ersten Saison lang anhaltende Dürre, in der zweiten zu viel Regen. „Die | |
größte Herausforderung bisher waren Importe aus der EU, etwa von | |
biozertifiziertem Pflanzgut“, erzählt Stjepanović. Die Korruption sei | |
enorm, und es komme vor, dass Ware an den Grenzen blockiert werde, trotz | |
ordnungsgemäßer Unterlagen. Schmiergelder für eine raschere Bearbeitung | |
sind da durchaus üblich, aber die sei sie nicht bereit zu zahlen. | |
Doch mittlerweile wachsen die Nachfrage und die Belegschaft: Dreizehn | |
Mitarbeiter*innen sind inzwischen bei dem Unternehmen beschäftigt. | |
Wenn Stjepanović erzählt, schwingen in vielen Sätzen der Krieg und die | |
Narben des Kommunismus mit. Sie wechselt zwischen „die“ Bosnier haben viel | |
durch gemacht, und „wir“ Bosnier sind ein großzügiges Volk. „Hier“, s… | |
zeigt auf ihr Herz, sei sie Bosnierin, aber die Zeit in Österreich habe sie | |
geprägt. Stjepanović hat die Vision, mit biologischen Kräutern auch | |
ethnische Gruppen wieder zusammenzubringen. Die bösen Geister müssen | |
endlich vertrieben werden, sagt sie. Das mache man im Volksglauben | |
traditionell mit Rosmarin, der für Lebensfreude steht. | |
27 Sep 2019 | |
## LINKS | |
[1] /Korruption-in-Bosnien-und-Herzegowina/!5596554 | |
[2] https://www.bosniagrowsorganic.com/ | |
## AUTOREN | |
Clara Heinrich | |
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