| # taz.de -- DaMigra über die Demo am Frauentag: „Nicht nur Petras und Jörgs… | |
| > Der Migrantinnen*-Block von DaMigra läuft auf der Frauentags-Demo in | |
| > Berlin ganz vorne. Nach Hanau demonstriert Delal Atmaca mit gemischten | |
| > Gefühlen. | |
| Bild: Frauenkampftag in Berlin: „Nur dann stark, wenn wir die Macht teilen un… | |
| taz: Frau Atmaca, Sie laufen mit DaMigra auf der [1][Frauentagsdemo] an der | |
| Spitze. Was überwiegt nach Hanau: Wut oder Trauer? | |
| Delal Atmaca: Beides. Wütend sind wir, weil wir als Dachverband von | |
| Migrantinnen in den vergangenen Jahren immer wieder auf Rassismus | |
| hingewiesen haben und nicht gehört wurden. Daneben berichten mir viele | |
| Frauen [2][nach Hanau] auch immer wieder von Trauer und Angst. Für viele | |
| von uns ist es sehr schmerzhaft zu erfahren, dass wir nicht geschützt | |
| werden. Am Sonntag gehen wir mit gemischten Gefühlen auf die Demo. Aber wir | |
| wollen zugleich zeigen, dass wir zu diesem Land gehören und über uns selbst | |
| bestimmen wollen. Wir fordern: Nur gemeinsam kann der gesellschaftliche | |
| Kampf gegen Sexismus und Rassismus gelingen. Und es müssen nun Taten | |
| folgen. | |
| Wie sollen die aussehen? | |
| Zunächst sollten alle Programme, Gesetze und Maßnahmen, die der Staat | |
| entwickelt, daraufhin geprüft werden, ob sie die Gleichstellung der | |
| Geschlechter und die Teilhabe von Migrantinnen* fördern. Zugleich muss der | |
| Staat schauen, wo er diskriminierende oder rassistische Institutionen und | |
| Gesetzgebungen hat, die abgebaut werden müssten. | |
| Konkret? | |
| Zum Beispiel die Vorbehalte gegen den [3][Art. 59 der Istanbulkonvention], | |
| die von Gewalt betroffenen Migrantinnen* keinen eigenen Aufenthaltstitel | |
| zugestehen. Zur Begründung heißt es, dies sei bereits im Ausländerrecht | |
| geregelt. In der Realität schützt es gewaltbetroffene Frauen überhaupt | |
| nicht. Sehr viele Frauen müssen jahrelang die Gewalt in der Beziehung | |
| erdulden, da sie sonst ihren – eheabhängigen – Aufenthaltsstatus verlieren | |
| würden. Geflüchtete Frauen können bei häuslicher Gewalt aufgrund der | |
| Wohnsitzauflage oft nicht einmal in ein Frauenhaus gehen, da freie Plätze | |
| in der gleichen Kommune sehr selten sind. Zudem kommt noch hinzu, dass es | |
| kaum Frauenhausplätze gibt oder die Beratungsstellen unterbesetzt sind. | |
| Vor allem strukturelle Gewalt an Frauen wurde in Vergangenheit oft | |
| kleingeredet. | |
| Die vom Bundesfamilienministerium entwickelte Kampagne „Stärker als Gewalt“ | |
| zeigt, wie viele Frauen hier zu Lande täglich von Gewalt betroffen sind. | |
| Allein im letzten Jahr wurden 135 Frauen und 15 Kinder von (Ex-)Partnern | |
| ermordet und weitere 63 lebensgefährlich verletzt. Frauen*morde und | |
| rassistische Attentate sind die Spitze des Eisbergs. Dazu sind Rassismen | |
| und Sexismus praktisch überall in der Gesellschaft wirksam: auf dem | |
| Wohnungs- und Arbeitsmarkt, im Bildungsbereich und bei der politischen | |
| Teilhabe. | |
| Was ist das Wichtigste mit Blick auf den Frauenkampftag? | |
| Wir können nicht gegen Sexismus und Ungleichbehandlung kämpfen, ohne dabei | |
| auf Diversität zu achten. Frauenverbände müssen bei der Forderung nach | |
| einer Quote ihre eigenen Privilegien hinterfragen. Ein Paritätsgesetz muss | |
| divers gestaltet werden. Und damit ist nicht nur gemeint, dass mehr | |
| kulturelle Vielfalt in die Parlamente und Gremien einzieht. Die | |
| gesellschaftliche Vielfalt muss sich widerspiegeln. Wir brauchen keine | |
| Parlamente, die nur aus studierten Jörgs und Petras in den Mittfünfzigern | |
| bestehen. Wir brauchen Menschen diverser geschlechtlicher und sexueller | |
| Identitäten aus verschiedenen gesellschaftlichen Schichten und Milieus, um | |
| die Realität widerspiegeln zu können. | |
| Wie gestaltet man Paritätsgesetze gerechter? | |
| Indem Migrantinnen mit am Tisch sitzen und an | |
| Entscheidungsbildungsprozessen beteiligt sind. Wenn in Parlamenten nur 30 | |
| Prozent Frauen sitzen oder nur 5 Prozent Menschen mit Migrationsgeschichte, | |
| dann haben wir ein klares Demokratiedefizit. Auf die Frage, wer im | |
| Bundeskabinett eine Migrationsgeschichte hätte, antwortete Angela Merkel | |
| kürzlich beim Integrationsgipfel, die mittlerweile in Brüssel sitzende | |
| Katharina Barley hätte eine. | |
| Ach wirklich? | |
| Ich schätze Frau Barley sehr, aber ihre Migrationsgeschichte sieht man ihr | |
| nicht wirklich an – sie wird auf der Straße als weiß gelesen und für | |
| gewöhnlich nicht auf dem Arbeitsmarkt diskriminiert. Wir brauchen in diesen | |
| Positionen auch Menschen, die als Minderheit gelesen werden und die | |
| Ausgrenzung erfahren mussten. In der Regel haben diese Menschen eine | |
| bessere Sensibilität für bestimmte Problemlagen. Wenn Menschen nicht selbst | |
| betroffen sind oder sich nicht mit ihren Privilegien kritisch auseinander | |
| gesetzt haben, fehlen die Zugänge dafür. | |
| Wenn Sie das quotieren wollen: An welchen Kriterien wollen Sie das dann | |
| formal festmachen? Am Namen? Am Aussehen? Stempelt man damit nicht | |
| marginalisierte Menschen wieder ab … | |
| … nein! Das will ich nicht, aber sehen Sie: Ein Verband wie unserer, ein | |
| Dachverband der Migrantinnen hat doch Expertise in diesen Bereichen – bei | |
| uns sind Frauen unabhängig von Herkunft, Zugehörigkeit oder | |
| Mehrfachzugehörigkeiten organisiert. Unsere Mitgliedsorganisationen und die | |
| Frauen, die in diesen Vereinen organisiert sind, sind Expertinnen in | |
| verschiedensten Bereichen. Wir sind Ingenieurinnen, Journalistinnen, | |
| Ärztinnen, Arbeiterinnen, Krankenschwestern, Lehrerinnen, Handwerkerinnen | |
| etc. Wir können auch alles andere als nur „Migrationshintergrund“! Wir | |
| müssen ernsthaft einbezogen werden und nicht nur als Expertin für | |
| Migration. Nicht wie bisher: Bei einer Veranstaltung zum Paritätsgesetz war | |
| ich von Frauenverbänden eingeladen. Als ich dann sagte: Finden wir super, | |
| wir müssten aber schon genau schauen, wie divers dieses Gesetz wird, kommen | |
| sofort Einwände– vermutlich aus Angst vor dem Verlust von Privilegien. | |
| Wie wird das begründet? | |
| Es heißt: „Nein, lass uns erstmal schauen, dass wir Parität haben – und | |
| dann können wir über Diversität reden.“ Das sind die patriarchalen | |
| Argumente von vor 100 Jahren, als Frauen erstmals das Wahlrecht | |
| einforderten – und die hören wir jetzt selbst von Frauenverbänden. Ihnen | |
| muss klar werden: Es ist ein Fehlschluss zu denken, dass ich weniger | |
| Freiheiten habe, wenn ich meine Freiheit teile. Wir sind nur dann stark, | |
| wenn wir die Macht teilen und solidarisch miteinander sind. | |
| Wie schwer ist es, sich innerhalb der Frauenbewegung zu positionieren und | |
| durchzusetzen? | |
| Es gibt nicht die Frauenbewegung in Deutschland. Wir sind mit sehr vielen | |
| Strömungen und Feminismen konfrontiert. Mit vielen Verbänden ist es ein | |
| täglicher Kampf, der teilweise sehr subtil abläuft. Wenn wir etwa fragen, | |
| warum wir nicht einbezogen wurden, heißt es: „Ah, vergessen!“ Oder wenn wir | |
| Themen benennen, sagt jemand fast schon banal: „Ihr wieder mit eurer | |
| Extra-Wurst.“ | |
| Und wenn Sie das ansprechen? | |
| Selbst wenn wir sehr direkt sind und sagen, dass das Vorgehen | |
| diskriminierend oder rassistisch ist, wird uns gesagt, das sei nicht so. | |
| Sie haben die Definitionsmacht. Sie entscheiden, wie wir zu fühlen und zu | |
| denken haben. Das ist deshalb auch so schmerzhaft, da viele dieser Frauen | |
| in der Auseinandersetzung mit Macht und Privilegien der Männer genau so | |
| argumentieren wie wir. Manchmal rollen sie auch nur die Augen oder schauen | |
| weg. | |
| Woran liegt das? | |
| Viele Menschen sind sich ihrer eigenen Privilegien oder Rassismen gar nicht | |
| bewusst. Selbst bei Feministinnen oder bei Linken, wo man eine gewisse | |
| Sensibilität erwarten würde. Warum sollte es in Frauenverbänden auch anders | |
| sein? Sie bilden auch nur die Rassismen der Gesellschaft ab. Wieviele | |
| Frauenverbände sind nach Hanau oder Halle auf die Straßegegangen? Wieviele | |
| haben sich mit Migrantinnen solidarisch erklärt? Wie viele waren bei den | |
| Angehörigen? Und wenn jetzt demonstriert wird, geht es meist um die eigenen | |
| verwehrten Privilegien, Macht und Themen. Gleichzeitig gibt es natürlich | |
| auch eine Vielzahl von kritischen und tollen Feministinnen, die sehr wohl | |
| ihre Machtstrukturen reflektieren und mit denen wir gerne auf Augenhöhe | |
| zusammenarbeiten. | |
| Was ist in Deutschland so kaputt, dass man Menschen nicht aus Schubladen | |
| rauslässt? | |
| Es hängt viel am gesamtgesellschaftlichen Diskurs. Rassismus ist viel | |
| tiefer in der Gesellschaft und ihren Institutionen verankert, als wir das | |
| auf den ersten Blick sehen. Aber nicht nur Rassismus sondern auch Sexismus. | |
| Wenn wir uns das als Gesellschaft nicht eingestehen, können wir beides | |
| nicht bekämpfen. Gerade die deutsche Gesellschaft tut sich besonders schwer | |
| damit. So lange in den Parlamenten, in den Strafverfolgungsbehörden, in den | |
| sozialen Medien und in persönlichen Begegnungen nicht entschieden gegen | |
| Rechtspopulismus, Frauenhass und Rassismus vorgegangen wird, wird sich | |
| nichts an dem gesellschaftlichen Klima ändern, das Gewalttaten wie die in | |
| Hanau erst ermöglichen. | |
| 6 Mar 2020 | |
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