| # taz.de -- Czollek und Salzmann im HKW: Das Ende des „postmigrantischen Jahr… | |
| > Bei der letzten Folge der Reihe „Der Anfang ist nah“ im HKW spricht Max | |
| > Czollek mit Sasha Salzmann über Verzweiflung – und | |
| > Handlungsmöglichkeiten. | |
| Bild: Sasha Marianna Salzmann: „Wir haben nichts mehr zu verlieren“ | |
| Das Best-Case-Szenario: „Berlin ist zu einer Migrationsinsel geworden, die | |
| von allen verlassen wurde, die darauf keinen Bock haben – und zu einer | |
| Stadt, die alle Menschen, Liebes- und Lebensformen integriert.“ So fasst | |
| Sasha Marianna Salzmann die eigene Vision eines utopischen Berlins | |
| zusammen. | |
| Salzmann ist Autor*in, Essayist*in und Dramatiker*in. Am Mittwochabend | |
| ist Salzmann zu Gast in der letzten Folge der Gesprächsreihe „Der Anfang | |
| ist nah“ des Lyrikers Max Czollek im [1][Haus der Kulturen der Welt (HKW)]. | |
| Der Titel mag angesichts der katastrophalen Weltlage kontraintuitiv wirken | |
| – aber darum geht es: die Krise als Ausgangspunkt zu nehmen, um anders und | |
| besser weiterzumachen. | |
| Salzmann zeigt, wie sich Verzweiflung in Energie umwandeln lässt: „Jetzt wo | |
| wir wissen, dass wir nichts mehr zu verlieren haben, darf der Kampf auch | |
| Spaß machen!“ Die Entwicklung der deutschen Gesellschaft beobachtet | |
| Salzmann mit Sorge: Rassismus ist auf einem Höhepunkt und der | |
| Dominanzgesellschaft sei es egal. Als Menschen mit Migrationsgeschichte | |
| könnten sie sich auf den Kopf stellen; wenn die Mehrheit der Gesellschaft | |
| nicht mitzieht, werde sich nichts bewegen. „Und das tut sie nicht.“ | |
| Salzmann, geboren in Wolgograd, wuchs als geflüchtetes Kind in einem | |
| deutschen Asylheim auf. Später zog Salzmann nach Berlin und begann 2008 ein | |
| Studium im Szenischen Schreiben an der Universität der Künste (UdK). | |
| Durchgezogen habe Salzmann nur, weil zu der Zeit das [2][Ballhaus | |
| Naunynstraße in Kreuzberg öffnete – ein „postmigrantisches Theater“]. H… | |
| könne man das Wort kaum noch hören, damals sei es revolutionär gewesen. | |
| ## Das Ende des postmigrantischen Jahrzehnts | |
| Salzmann spricht von einem „postmigrantischen Jahrzehnt“: Eine Phase des | |
| Hoffnungsschimmers, in der es so schien, als würde sich diese Gesellschaft | |
| als eine pluralistische verstehen. Diese Jahre seien nun vorbei. Die | |
| „Mode“, Menschen mit Migrationshintergrund einzustellen oder ihnen Raume zu | |
| öffnen, sei vorbei, sind sich Czollek und Salzmann einig. Aber: „Wir sind | |
| keine Modeerscheinung. Das ist unser Leben.“ | |
| Salzmann kritisiert: „Es wird alles gekürzt, was links ist, nach queer, | |
| postkolonial oder migrantisch riecht.“ Dabei handele es sich nicht um | |
| zwingende, sondern um „ideologische Kürzungen“. Betroffen sind unter | |
| anderem das Ballhaus Naunynstraße sowie das Maxim-Gorki-Theater. Dort geht | |
| auch [3][die Intendanz von Shermin Langhoff, der Begründerin des | |
| „postmigrantischen Theaters“, nach dieser Spielzeit zu Ende.] | |
| Am Gorki veranstalteten Salzmann und Czollek, beide jüdisch, 2016 den | |
| „Desintegrationsgipfel“ – einen „Kongress zeitgenössischer jüdischer | |
| Positionen“, und 2017 die „Radikalen Jüdischen Kulturtage“. Ziel der | |
| Veranstaltungen war es, sich von gesellschaftlichen Zuschreibungen zu lösen | |
| und Distanz zu den Fremdkonstruktionen in Deutschland nach 1945 zu | |
| gewinnen. | |
| Im Gesprächen kritisieren Czollek und Salzmann, dass die Union das „Nie | |
| wieder“ nutze, um rechte (Asyl)politiken zu legitimieren. Im Zuge dessen | |
| wird auch die [4][Fördergeldaffäre der Berliner CDU] verurteilt, bei der | |
| Gelder für kulturelle Projekte gegen Antisemitismus teils an ihr eigenes | |
| Umfeld vergeben wurden. | |
| ## Tokens, um Diversität zu erwecken | |
| Für Salzmann steht fest: Nun zeige sich, dass es der deutschen | |
| Dominanzgesellschaft egal gewesen sei, welche Impulse sie mit ihren | |
| künstlerischen und gesellschaftlichen Interventionen gesetzt haben. | |
| Vielmehr seien sie als Tokens benutzt worden, also als | |
| Repräsentant*innen ihrer Gruppe eingesetzt, um den Anschein von | |
| Diversität zu erwecken. Salzmann fasst sich auch an die eigene Nase: „Wir | |
| waren so mit Quoten beschäftigt, dass wir nicht tief genug in die | |
| Dominanzgesellschaft eingedrungen sind.“ | |
| Doch die Veränderungen, die es heute brauche, seien vielmehr ökonomische | |
| und sozialstaatliche, als künstlerische. Ihre Aufgabe als Künstler*innen | |
| sei es, „forensische Architektur für die Emotionen unserer Zeit zu | |
| schaffen“ – und jetzt erst recht! Dazu benötige es mehr Zusammenarbeit | |
| zwischen linken und migrantischen Gruppen. | |
| Was Salzmann sich für die Zukunft wünscht: „Politischen Aufwind – nicht n… | |
| in der Kulturbranche. Im besten Falle haben die Kürzungen Narben | |
| hinterlassen, aber wir haben neue Räume gefunden, die mehr als eine | |
| Nabelschau waren.“ | |
| 24 Nov 2025 | |
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| [3] /Neue-Intendanz-am-Berliner-Gorki-Theater/!6046829 | |
| [4] /Projekte-gegen-Antisemitismus/!6122985 | |
| ## AUTOREN | |
| Lilly Schröder | |
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