# taz.de -- Coronavirus und Rassismus in Australien: Militär soll Lockdown dur… | |
> Im multiethnischen Westen Sydneys soll das Militär über die | |
> Lockdownregeln wachen. Kritiker sehen darin ein racial profiling in der | |
> Coronapolitik. | |
Bild: Berittene Polizei bei der Lockdown-Überwachung im australischen Sydney | |
CANBERRA taz | Die Politik hat versagt – jetzt ruft sie die Armee zur | |
Hilfe: so bewerten Kritiker den Entscheid der Regierung des australischen | |
Bundesstaates New South Wales (NSW), ab Montag 300 Soldat:innen zur | |
Durchsetzung von Anti-Covid-Regeln aufzubieten. Berichten zufolge sollen | |
die Truppen vorwiegend in den multikulturellen Bezirken im Westen Sydneys | |
eingesetzt werden. Dort hat sich die besonders ansteckende | |
[1][Delta-Variante] des Covid-19-Virus' in den vergangenen Wochen stark | |
verbreitet; offenbar vor allem als Folge des Kontaktes zwischen | |
Familienangehörigen. | |
Laut dem Rassismus-Experten Tim Soutphommasane hätte diese Entwicklung | |
eigentlich „eine Verdoppelung der Informationsbemühungen“ mit den | |
Vertretern dieser kulturell vielfältigen Gemeinden bedingt, deren erste | |
Sprache oftmals nicht Englisch ist. Außerdem hätte die „Impfstrategie neu | |
priorisiert werden sollen“. Stattdessen schicke die Regierung „das Militär | |
in die Straßen“. | |
Die Truppen sollen der Polizei dabei helfen, die in den letzten Tagen | |
deutlich verschärften Maßnahmen gegen die Ausbreitung des Virus in der | |
größten Stadt Australiens durchzusetzen. Die Beamten haben Autorität, hohe | |
Bußgelder zu verhängen, wenn ein Passant außerhalb des Hauses keine Maske | |
trägt. Sie können sogar Geschäfte zum Schließen zwingen, falls deren | |
Besitzer sich nicht an Abstands- und Hygieneregeln halten. | |
Die konservative Regierung von NSW reagiert damit auf die deutliche | |
Verschärfung der Covid-Situation in Sydney. Am Donnerstag waren über Nacht | |
239 neue Angsteckungsfälle bekannt geworden, am Freitag 170. | |
Regierungschefin Gladys Berejiklian hatte zu Wochenbeginn von einem | |
„nationalen Notstand“ gesprochen. Experten warnen vor einer Explosion der | |
Fallzahlen, sofern die Situation nicht rasch unter Kontrolle gebracht | |
werden könne. | |
## Corona-Maßnahmen im Streit der Parteien | |
Doch während sich die Lage auch in wohlhabenden Teilen der Stadt zugespitzt | |
hat – etwa in Bondi, bekannt wegen des Badestrandes – würden dort keine | |
„Polizisten auf Pferden durch die Fußgängerpassage preschen wie bei uns“, | |
meinte im Fernsehen ein Vertreter von Fairfield in West-Sydney. In diesem | |
Bezirk leben besonders viele Australier, die ursprünglich aus dem Nahen | |
Osten, Vietnam und anderen asiatischen Ländern stammen. | |
Kritiker sprechen von „rassistischem Profiling“ durch die Behörden, ein | |
Vorwurf, der von der Regierung in Sydney zurückgewiesen wird. Die Tatsache, | |
dass bei einem früheren Ausbruch im wohlhabenden Stadtteil North Shore kaum | |
Polizei eingesetzt worden war, habe mit dessen „geografischer Isolation“ | |
vom Rest der Stadt zu tun gehabt. Der Bezirk sei leicht zu isolieren | |
gewesen. | |
Kritiker, unter ihnen namhafte Epidemiologen, warnen seit Wochen, die | |
„Lockdown“-Maßnahmen der NSW-Regierung seien zu halbherzig. Unter dem Druck | |
der ebenfalls konservativen Bundesregierung unter Premierminister Scott | |
Morrison sowie einflussreicher Wirtschaftsvertreter habe es die Regierung | |
unterlassen, rechtzeitig hart durchzugreifen und nur Geschäften den Betrieb | |
zu erlauben, deren Produkte essenziell sind. | |
Ein Grund für die Zurückhaltung könnte auch ideologisch sein, glauben | |
verschiedene Kommentatoren. Denn „harte Lockdowns“ hatten im | |
sozialdemokratischen Bundesstaat mit der Hauptstadt Melbourne bereits | |
mehrfach rasch Erfolg gezeigt. Trotzdem wird der dortige Regierungschef | |
Daniel Andrews von der konservativen Bundesregierung wegen der Folgen für | |
die Wirtschaft heftig kritisiert. „Wenn nun NSW auch einen ‚harten | |
Lockdown‘ einführt, wäre das ein Eingeständnis, dass der politische | |
Erzfeind recht hatte“, drückte es ein Kommentator am Radio aus. | |
## Nur 17 Prozent Impfquote aus Angst vor AstraZeneca | |
Das Problem in Sydney wird durch die Impfstrategie der australischen | |
Regierung verschärft. Nur 17 Prozent der Gesamtbevölkerung sind bisher | |
komplett geimpft. Damit steht Australien auf der Liste vergleichbarer | |
Länder ganz unten. | |
Die Angst vor der Nadel sei eine direkte Folge der verwirrenden | |
Informationspolitik der Regierung, sagen Epidemiologen. Zwar habe | |
Australien genügend Vorräte des Impfstoffs Astra Zeneca (AZ) – kaum jemand | |
aber wolle ihn sich injizieren lassen, klagen Ärzte. Der Grund: wegen der | |
minimalen Gefahr von Blutgerinseln wurde die Altersgrenze, ab wann AZ | |
verabreicht werden kann, mehrfach geändert. Zeitweise empfahl | |
Gesundheitsminister Greg Hunt sogar, man solle auf den Pfizer-Impfstoff | |
warten. Von diesem Produkt hat Australien aber zu wenig Vorrat. | |
Substanzielle Lieferungen werden erst später im Jahr erwartet. | |
Auch die Aussage von Premierminister Scott Morrison, geimpft zu werden sei | |
„kein Wettrennen“, habe mit dazu beigetragen, dass Millionen von | |
Australiern auf das Pfizer-Produkt warten, statt sich AZ spritzen zu | |
lassen, so Epidemiologen. Greg Dore, Professor für Infektionskrankheiten am | |
Kirby Institut in Sydney, meinte diese Woche, Australien werde dereinst auf | |
den „Anti-AstraZenecismus“ als eines der „größten Versäumnisse im Bere… | |
der öffentlichen Gesundheit“ zurückblicken. | |
Am Freitag rechnete der Thinktank Grattan Institute vor, erst bei einer | |
Impfrate von 80 Prozent der Bevölkerung könne Australien wieder an die | |
Öffnung seiner seit März 2020 geschlossenen Grenzen denken. | |
30 Jul 2021 | |
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## AUTOREN | |
Urs Wälterlin | |
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