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# taz.de -- Coronamaßnahmen auf dem Inselstaat: Australiens neue Normalität
> Nicht nur wegen der geschlossenen Grenzen verzeichnet Australien kaum
> mehr Neuinfektionen. Dabei hilft auch eine strikte Kontaktverfolgung.
Bild: Bei der Sydney Gay and Lesbian Gras Parade am 6. März – tatsächlich i…
Canberra taz | Auch im Nobelhotel Hilton im Zentrum von Sydney muss sich
der Gast eine Schelte anhören, wenn er beim Frühstück über die rote Linie
tritt. „Treten Sie sofort wieder auf die andere Seite, jetzt!“, sagt die
schwarz befrackte Angestellte, und hängt ein nobles „Sir“ an. Der Strich am
Boden zeigt die Grenze zwischen Restaurant und Buffet, die im Kampf gegen
die Ausbreitung von Covid-19 nicht einmal der Premierminister übertreten
darf.
Die Luxushotelkette setzt wie alle Unterkunftsanbieter und Gastrobetriebe
die Coronamaßnahmen strikt durch. Dazu gehört nicht nur die Einhaltung
physischer Distanz zwischen Gästen, Bedienungspersonal und Essen. Ob im
Hotel oder im Restaurant: Jeder Ankömmling muss sich mit einer App auf dem
Mobiltelefon registrieren, bevor er oder sie sich setzen darf.
Mancherorts kontrollieren Angestellte, ob geschummelt wird. Beim
Kulturfestival „Fringe“ in der südaustralischen Stadt Adelaide prüften
jüngst Sicherheitsleute den Handybildschirm jedes einzelnen Gastes, ob
dieser ein grünes Häkchen zeige. Unter 50.000 Menschen, die er und sein
Team persönlich kontrolliert hätten, seien nur zwei Kneifer gewesen, so ein
Sicherheitsbeamter gegenüber der taz. „Man hält sich dran, weil man weiß,
dass es wichtig ist“, meint der Mittdreißiger.
Und weil es funktioniert. Seit Beginn der Pandemie verzeichnete Australien
29.357 Coronafälle, 909 Erkrankte starben. Seit Ende letzten Jahres haben
die Krankenhäuser kaum noch Infizierte zu versorgen. Nur noch selten tritt
ein Fall auf. In der Regel greift dann die Regierung des jeweiligen
Bundeslandes sofort hart durch – selbst bei nur einer oder zwei
Ansteckungen. Ein Lockdown von ein paar Tagen oder einer Woche oder
mindestens eine drastische Einschränkung der Bewegungs- und
Ausgehmöglichkeiten garantieren, dass sich das Virus nicht ausbreiten kann.
## Wundermittel Kontaktverfolgung
Die Folgen können schwerwiegend sein. Vergangene Woche wurde nach einem
positiven Test im Touristenort Byron Bay nur Stunden vor Beginn ein
Musikfestival abgesagt. Tausende von Besuchern waren bereits angereist.
„Das wahre Rezept für den Erfolg ist die Kontaktverfolgung“, erklärt Raina
MacIntyre, Professorin für Epidemiologie an der Universität von New South
Wales in Sydney. Die Tatsache, dass Ansteckungswege dank strikter
Registrierung in öffentlichen Räumen und Anlagen innerhalb von Stunden nach
dem Bekanntwerden eines Falles zurückverfolgt und Verdächtige isoliert
werden können, habe dazu geführt, dass Australien heutzutage „fast normal“
sei.
In öffentlichen Gebäuden wie Einkaufszentren ist das Tragen von Masken
nicht vorgeschrieben und wird kaum noch gesehen. Büros und andere
Arbeitsplätze funktionieren fast wie vor der Pandemie – wenn man von der
konstanten Aufforderung absieht, sich die Hände zu desinfizieren und im
persönlichen Kontakt Abstand von 1,5 Metern zu halten – etwa „die Länge
eines Kängurus mit Schwanz“, wie Schilder erinnern.
Eine der wenigen Ausnahmen sind Flughäfen. Es herrscht Maskenpflicht vom
Moment an, in dem man das Gebäude zum Einchecken betritt, bis zur Sekunde,
in der man den Zielflughafen verlässt. Während des Fliegens darf die Maske
„nur abgenommen werden, um zu essen oder zu trinken“, so die nette, aber
bestimmte Qantas-Flugbegleiterin noch vor dem Abheben. „Denken Sie daran:
Sie tun es nicht nur für sich selbst, sondern für uns alle.“
Nicht dass die Mahnung nötig wäre. Opposition gegen Coronamaßnahmen ist in
Australien praktisch unbekannt. Obwohl die konservative Regierung und ihr
nahestehende Medien regelmäßig versuchen, kurzfristig angeordnete Maßnahmen
in sozialdemokratisch regierten Bundesländern politisch auszunutzen, steht
die Mehrheit der Bevölkerung hinter den Verordnungen.
## Öffnung für Touristen in weiter Ferne
Viele Australierinnen und Australier blicken mit Staunen nach Europa, wo
sogenannte „Covidioten“ und Impfgegner Hand in Hand mit Neonazis [1][gegen
eine vermeintliche „Coronadiktatur“ protestieren]. „Das sind doch
Verrückte“, sagt die Reiseleiterin Lisa aus Adelaide, „denn sie verlängern
damit ja nur das Leid von uns allen.“
Für die Reiseindustrie hat die Pandemie geradezu apokalyptische Folgen.
Schon seit über einem Jahr sind die Grenzen Australiens dicht. Man darf nur
mit Sonderbewilligung ausreisen und muss nach der Rückkehr drei Wochen lang
in Quarantäne, auf eigene Kosten. Vor allem aber fehlten im letzten Jahr
über 9 Millionen ausländische Touristen. Viele Reisebetriebe sind entweder
Konkurs gegangen oder stehen vor dem Kollaps. Experten gehen davon aus,
dass Australien frühestens zu Beginn nächsten Jahres seine Grenzen für den
Massentourismus wieder öffnen wird – und auch dann nur für Gäste, die
geimpft sind.
Epidemiologen wie Raina MacIntyre gestehen zwar, dass die Eindämmung der
Pandemie auch deswegen gelingt, weil Australien eine Insel ist. Doch ohne
[2][Unterstützung der Bevölkerung für harte Lockdowns] und eine konsequente
Kontaktverfolgung wäre Australien nie so weit gekommen.
Am Dienstag wurde das Land von jenem Nachbarn für seine Disziplin belohnt,
der eine noch striktere und ebenso erfolgreiche Anticoronapolitik betreibt.
Ab Mitte dieses Monats dürfen Australierinnen und Australier im Rahmen
einer „Reiseblase“ endlich wieder nach Neuseeland reisen. Ohne dort – wie
bisher – zwei Wochen lang in einem Quarantänehotel ausharren zu müssen.
8 Apr 2021
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## AUTOREN
Urs Wälterlin
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