| # taz.de -- Corona-Lage in anderen Metropolen (VII): Zwei Gesichter einer Krise | |
| > In Australiens Hauptstadt Canberra ist die globale Pandemie praktisch | |
| > kein Thema. In Melbourne dagegen drohte Covid-19 außer Kontrolle zu | |
| > geraten. | |
| Bild: Lockdown im langweiligen Canberra, Grund genug in einen aufregenden Park … | |
| Weltweit kämpfen Metropolen gegen das Virus. Manchmal ist der Umgang mit | |
| der Pandemie erstaunlich ähnlich wie hier, oft gibt es überraschende | |
| Unterschiede. Die taz.berlin wirft einen Blick über den heimischen Lockdown | |
| hinaus nach anderswo. | |
| „Es gibt zwei Gründe für einen Diplomaten, nach Canberra versetzt zu | |
| werden. Entweder, weil man kurz vor der Rente steht und die Senilität | |
| einsetzt, oder als Strafe. Nichts ist langweiliger als diese Stadt“: Diese | |
| vertrauliche Aussage eines ehemaligen Botschafters über Canberra gegenüber | |
| der taz trifft den Nagel auf den Kopf – schon in normalen Zeiten. | |
| Doch selbst in einer Krisenzeit wie dieser ist die von grauen Beamten | |
| dominierte Hauptstadt Australiens so einschläfernd, dass selbst die Gefahr | |
| einer tödlichen Corona-Infektion die Bevölkerung wenig zu bewegen scheint. | |
| Wer durch die Innenstadt spaziert, merkt praktisch nichts von der globalen | |
| Pandemie. Die Geschäfte sind geöffnet, Maske tragen ist freiwillig. Und die | |
| von den Virologen empfohlenen 1,5 Meter Abstand sind für die notorisch | |
| zurückhaltenden Canberraner ohnehin nichts Neues. Nur gerade eine Handvoll | |
| Infektionen sind in den letzten Monaten in der Hauptstadt registriert | |
| worden – alles Personen, die sich offenbar in Melbourne angesteckt hatten. | |
| Dort sah die Situation dagegen lange Zeit prekär aus. Im Juni waren an | |
| einigen Tagen über 700 Fälle gemeldet worden, 9.000 im gesamten Monat – die | |
| Hälfte aller Infektionen in Australien damals. Doch soeben sind die | |
| Bewohner der zweitgrößten Stadt Australiens aus einem zweiten, harten | |
| Lockdown entlassen worden; nach 25 Tagen ohne Neuinfektionen. Endlich war | |
| auch wieder der Grenzübertritt aus dem Bundesstaat Victoria zum Nachbarn | |
| New South Wales erlaubt – nach mehr als 100 Tagen Trennung von Familie, | |
| Freunden und Job. | |
| ## Virus entwischte aus Quarantänehotels | |
| Notwendig geworden waren die harten Maßnahmen, weil das Virus aus zwei | |
| Quarantänehotels entwischt war. In solchen Unterkünften müssen Rückkehrer | |
| aus dem Ausland zwei Wochen lang logieren, bevor sie nach Hause dürfen. | |
| Essen wird ihnen vor die Türe gestellt; sie werden strikt bewacht. In | |
| Melbourne hatten einzelne Sicherheitsbeamte gelangweilten Internierten beim | |
| Vertreiben der Zeit geholfen – mit [1][Sex]. So entkam das Virus in die | |
| Bevölkerung. Die sozialdemokratische Regierung von Victoria handelte, ohne | |
| zu zögern. Geschäfte wurden geschlossen, Ausgangssperren verordnet. Die | |
| sonst so lebhafte City von Melbourne glich zeitweise einer Geisterstadt – | |
| oder noch schlimmer – Canberra. | |
| Die Folgen für die Wirtschaft waren verheerend. Nur dank | |
| Unterstützungszahlungen der Regierung für Arbeitnehmer konnten tausende von | |
| Betrieben bis heute überleben. Doch die Crash-Therapie funktionierte: | |
| Victoria ist auf dem besten Weg dazu, das Virus nicht nur eingedämmt, | |
| sondern sogar eliminiert zu haben. Australien verzeichnete seit Beginn der | |
| Pandemie landesweit rund 2.7800 Fälle von Ansteckung. 907 Menschen starben. | |
| Der Beschluss, die Grenzen Australien bereits im März für alle dicht zu | |
| machen – außer für heimkehrende Staatsbürger und Daueraufenthalter -, hat | |
| maßgeblich zur Eindämmung der Corona-Gefahr beigetragen. Überrascht hat | |
| viele, wie groß das Verständnis in der Bevölkerung selbst für die härtesten | |
| Maßnahmen ist. Es hatte zwar zu Beginn der Krise auch in Australien | |
| vereinzelt Proteste von Maskengegnern (oder -gegnerinnen, denn die meisten | |
| scheinen Frauen gewesen zu sein) gegeben, die auf ihr „Recht“ bestanden, | |
| ohne Gesichtsschutz einkaufen zu gehen. | |
| ## Politiker wegen Eingriffen beliebt | |
| Doch „Covidioten“ finden sich Downunder eigentlich fast nur in den | |
| konservativen Zeitungen und dem Fernsehsender Sky News des amerikanischen | |
| Medienmoguln Rupert Murdoch. Oftmals im Duett mit der konservativen | |
| Regierung von Premierminister Scott Morrison forderten sie das Ende der | |
| Maßnahmen in Melbourne. | |
| Die tägliche Klage von Murdoch-Kolumnisten und neoliberaler | |
| Oppositionspolitiker, die Bedürfnisse der Wirtschaft müssten über das Wohl | |
| der Menschen gestellt werden, ganz besonders älterer, „die ja ohnehin | |
| sterben würden“, wurde politisch aber zu einem peinlichen Rohrkrepierer. | |
| Trotz der harten Maßnahmen und täglichen Attacken der Opponenten ist der | |
| Labor-Premier von Victoria, Dan Andrews, heute einer der beliebtesten | |
| Politiker Australiens. Aus einem einfachen Grund: Melbourne hat bewiesen, | |
| dass rechtzeitiges, entschiedenes Eingreifen die beste Waffe gegen das | |
| Virus ist. Die Stadt gilt inzwischen als Beispiel für den Rest der Welt. | |
| 26 Nov 2020 | |
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| ## AUTOREN | |
| Urs Wälterlin | |
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