| # taz.de -- Coronavirus in Frankreich: Die neue Maginot-Linie | |
| > Unser Autor ärgert sich über die autoritäre Weise, wie Frankreich mit der | |
| > Pandemie umgeht. Das Land war auf das Virus schlecht vorbereitet. | |
| Bild: Eine Frau wird bei einer Demo am 1. Mai festgenommen | |
| Paris hat sich in eine virtuelle Welt verwandelt. Die geschlossenen | |
| Sehenswürdigkeiten und Museen können auf dem Internet begangen und | |
| betrachtet werden, der Kulturbetrieb bietet notgedrungen und bis auf | |
| Weiteres Konzerte, Opern und Theater „abrufbar“ als Konserven an. Wir | |
| müssen so vom Eingemachten leben. Auch der Journalismus findet zum größten | |
| Teil durch die Vermittlung elektronischer Kommunikationsmittel statt. Die | |
| irreal anmutende Stadt draußen ist eine Kulisse für ein Spektakel, das – | |
| wie die Fortsetzung des Dramas der Kommunalwahlen – auf unbestimmte Zeit | |
| verschoben wurde. Frankreich hat sich seit Wochen verinnerlicht. | |
| Dafür lernen wir wegen der Ausgangssperre neue Wörter wie „Confinement“, | |
| was das Langenscheidt-Wörterbuch nicht sehr ermutigend als „Einzelhaft“ | |
| übersetzt, und die Lockerung der Restriktionen heißt hier „Déconfinement�… | |
| denn im stets auf seine sprachliche Souveränität bedachten Frankreich wird | |
| selbstverständlich nicht wie im deutschen Raum das englische Fremdwort | |
| „Lockdown“ verwendet. Neue Vokabeln als Beschäftigungstherapie im | |
| Stubenarrest. Aus den Diskussionen mit Bekannten ist auch zu schließen, | |
| dass sich die halbe Nation in Experten für Coronaviren, Zellrezeptoren und | |
| statistische Berechnung des Epidemieverlaufs verwandelt hat. | |
| „Ich schäme mich für dieses Frankreich“, sagt die Französin, die seit me… | |
| als dreißig Jahren mein Leben in Paris und jetzt mit mir auch Frust und | |
| Freuden der Covid-Isolierung teilen muss. Dem deprimierten Urteil ist wenig | |
| entgegenzuhalten. Eine der ersten dramatischen Konsequenzen der Coronakrise | |
| war unleugbar die Diskreditierung des französischen Staates. Wie sich | |
| Frankreich vor dem Zweiten Weltkrieg durch die Befestigungsanlagen der | |
| Maginot-Linie in Sicherheit wähnte, glaubten die meisten Bürger aus | |
| Tradition und Erziehung an die schützende Zentralmacht. Sie sind | |
| desillusioniert. Frankreich war schlecht gerüstet und hatte nicht „das | |
| beste Gesundheitswesen der Welt“, wie man ihnen sagte. | |
| Das Selbstporträt einer glorreichen Nation löst sich vor unseren Augen auf. | |
| Sogar die sonst so staatstragende Redaktion von Le Figaro kommt zum | |
| Schluss: „Unser bürokratischer Zentralismus ist deprimierend, ineffizient | |
| und ruinös.“ Die überkommene Organisation der Republik mit einer | |
| Entscheidungsstruktur in Form der Pyramide mit der Spitze im Elysée-Palast | |
| in Paris hat sich für den Kampf gegen die Pandemie weitgehend ungeeignet | |
| erwiesen. Die Beschaffung von Masken für das Pflegepersonal wurde ein | |
| exemplarisches Fiasko. | |
| ## „Merkel spricht zu Erwachsenen, Macron zu Kindern“ | |
| Sehr ärgerlich ist die autoritäre Weise, mit der diese Staatsführung die | |
| Versäumnisse und Fehler zu überspielen und rechtfertigen sucht. Das Hin und | |
| Her der Aussagen hat das Vertrauen weitgehend untergraben. Das wird im | |
| Vergleich mit den Nachbarn deutlich. „Merkel spricht zu Erwachsenen, Macron | |
| zu Kindern“, meint der Historiker Johann Chapoutot zum Diskurs der | |
| Staatsführung. Wieder mal haben die Franzosen allen Grund, sich zu empören. | |
| Nicht virtuell, sondern zurück auf der Straße und auf dem symbolischen | |
| République-Platz in Paris. | |
| Eigentlich sollte das am Dienstag vom Regierungschef angekündigte Ende der | |
| Ausgangsbeschränkungen per 11. Mai Grund zu Freude und Zuversicht sein. Nur | |
| hat Premierminister Edouard Philippe seinen Plan für das „Déconfinement“ | |
| nach Emmanuel Macrons Vorgaben ohne Rücksprache mit den anderen Parteien in | |
| seinem Elfenbeinturm ausgearbeitet. Eine kleine Auswahl von Abgeordneten | |
| durften dann kurz Stellung zu diesen Vorschlägen nehmen und abstimmen. Ja | |
| und Amen zur Regierungspolitik? Die Debatte und das Votum mit bloß | |
| konsultativer, unverbindlicher Bedeutung ist eine Alibiübung dieser | |
| verunsicherten Staatsspitze. | |
| 2 May 2020 | |
| ## AUTOREN | |
| Rudolf Balmer | |
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