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# taz.de -- Leben in Australien in Corona-Zeiten: Striptease vor der Haustür
> Die Coronakrise in Australien ist eine Internetkrise. Sie täuscht darüber
> hinweg, dass das Land eigentlich eine gute Strategie verfolgt.
Bild: Nach Lockerung der Beschränkungen an den Kangaroo Point Cliffs in Queens…
Hoffentlich kann ich diesenArtikel noch rechtzeitig zur taz schicken. Über
E-Mail, nicht mit einer Brieftaube. Während andere fürchten, dass ihre
Lunge von Covid-19-Viren zerfressen werden könnte, sorge ich mich um Bits
und Bites. Da ich auf dem Land lebe, allerdings nur 15 Minuten außerhalb
einer Stadt mit 30.000 Einwohnern, gehöre ich in Australien automatisch zu
einer Risikogruppe: Ich drohe in meiner staatlich vorgeschriebenen
Isolation vom Rest der Welt abgeschnitten zu werden.
Meine Internetverbindung über das Mobilfunknetz, eine von wenigen Optionen,
die man auf dem Lande hat, ist unter normalen Umständen schon miserabel. In
diesen Krisentagen, wo jeder im Netz hängt, fällt sie manchmal sogar
stundenlang aus. Nach Jahrzehnten der Fehlplanung, ideologischen
Grabenkämpfen und politischen Machtspielen ist das Internet auf dem
Antipodenkontinent außerhalb der Großstädte laut Statistik schlechter als
in irgendeinem obskuren Staat auf dem Gelände der ehemaligen Sowjetunion.
Die Internetkrise ist eines der großen Themen in einer Zeit, in der man
isoliert und viel Zeit zum Diskutieren hat (sofern man eine Verbindung
hat). Sie täuscht darüber hinweg, dass Australien eigentlich eine gute
Strategie verfolgt hat im Kampf gegen die Corona-Pandemie. Gerade noch
rechtzeitiges Abschotten der Grenzen, strikte Kontrolle der sozialen
Distanz, Ausgangsbeschränkungen mit Androhung astronomisch hohen Bußgelder
haben Wirkung gezeigt: Bis diese Woche musste das Land erst 7.059 Fälle und
99 Todesopfer beklagen.
Meine Frau Christine kommt nach Hause. Im Moment sehe ich sie eher als
wandelnde Petrischale, als Trägerin tödlicher Keime, die meiner
angeschlagenen Lunge den Garaus machen könnten. Sie ist
Gemeindekrankenschwester. Jeden Tag hat sie Kontakt mit Dutzenden
Patient*innen, viele davon höchst gefährdet. Wir haben einen Deal: noch vor
der Haustüre ausziehen, Kleider in die Wäsche, duschen – erst dann gibt es
einen Begrüßungskuss. Obwohl Christine meint, die Gefährdung durch ihre
vorwiegend älteren und kaum mobilen Patienten sei minimal, bin ich
skeptisch. Wie überall im australischen Gesundheitssystem fehlt es an
Schutzausrüstung.
Als gesetzestreuer Bürger dieses Landes halte ich mich natürlich auch
strikt an die Vorgaben. Ich gehe höchstens einmal pro Woche zum Einkaufen
in die Stadt. Mit Wehmut denke ich an die Zeiten zurück, wo ich mich mit
Freunden zum Mittagessen beim Thailänder treffen konnte. Ein dringendes
„Outing“ für einen von der Vereinsamung bedrohten Journalisten im Heimbür…
der tagsüber einzig von Kängurus, Wombats, einem Hund und einem Goldfisch
umgeben ist. Doch mein Thailänder ist – wie alle Restaurants – seit Wochen
geschlossen. Er versucht, sich mit Takeaway über Wasser zu halten.
## Keine Flüge und Grenzkontrollen
Für einen Korrespondenten, der vor Corona im Durchschnitt zwei Wochen im
Monat auf Recherche war, ist jedoch der Verzicht aufs Reisen der größte
Schmerz. Selbst wenn ich die Gesetze brechen würde – weit käme ich nicht.
Nicht nur ist es allen Bewohner*innen verboten, das Land zu verlassen, es
gäbe auch kaum Flüge. Und sogar zwischen den einzelnen Bundesstaaten gibt
es Grenzkontrollen. Wer versucht, sie zu umgehen, dem droht nicht einfach
eine Buße. Er kommt in den Knast.
So bin ich bei meinen Recherchen auf Tod und Verderben auf die schäbige
Telekommunikation angewiesen. Skype geht nur, wenn es draußen nicht windet
und der Sendeturm nicht schwankt. Zoom – vergiss es, dafür ist das Netz zu
langsam. Zum Glück gibt es noch das gute alte Telefon. Ich wähle.
Totenstille. „Hallo? Ist da jemand? Haaallo?“
23 May 2020
## AUTOREN
Urs Wälterlin
## TAGS
Schwerpunkt Coronavirus
Quarantäne
Internet
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Lesestück Recherche und Reportage
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