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# taz.de -- Corona in Xinjiang: Lockdown mit Versorgungsproblemen
> In einer Grenzstadt im Nordwesten Chinas berichten Bewohner von Hunger
> und medizinischer Unterversorgung. Die Behörden räumen Fehler ein.
Bild: Corona-Testgelände in Peking
Peking taz | Die Videos, die Bewohner aus der nordwestlichen Grenzstadt
Yining posten, rufen erneut die Schrecken der chinesischen
Lockdownmaßnahmen wach. Eine Aufnahme zeigt, wie eine Mutter, die kurz
zuvor im Krankenhaus entbunden hat, mit ihrem Neugeborenen verzweifelt vor
ihrer verschlossenen Wohnanlage um Einlass bettelt.
In anderen Clips, gefilmt mit dem Smartphone, berichtet ein Vater unter
Tränen, dass seine drei Kinder seit Tagen nichts mehr gegessen hätten.
Seit knapp anderthalb Monaten ist die Stadt Yining an der Grenze zu
Kasachstan schon im Lockdown. Eine offizielle Notiz darüber gibt es nicht,
denn in der ideologisch geblümten Sprache der Kommunistischen Partei
handelt es sich dabei nur um eine „Ruhephase“ oder „statisches Management…
De facto jedoch kann ein Großteil der 400.000 Bewohner ihre Wohnungen nicht
verlassen und ist auf staatliche Lebensmittellieferungen angewiesen.
Die Schattenseiten der chinesischen Coronalockdowns sind schon zur Genüge
dokumentiert worden. Doch im Gegensatz zu zuvor abgeriegelten Metropolen
wie Chengdu, Xian oder Shanghai haben es die Bewohner im abgelegenen
Xinjiang um ein vielfaches schwerer, sich Gehör zu verschaffen.
## Angeblich schon zwölf Tote wegen Lockdown
Seit über fünf Jahren hat Chinas Regierung in der muslimisch geprägten
Region [1][ein Lagersystem] errichtet, in das sie Hunderttausende –
möglicherweise über eine Million – Angehörige der uigurischen Minderheit
weggesperrt hat, um sie politisch „umzuerziehen“.
Offiziell zur Terrorbekämpfung haben die Autoritäten einen [2][repressiven
Polizeistaat] kreiert, der von der Bevölkerung zutiefst verinnerlicht
wurde. Auch in Yining gehört das Gros der Bevölkerung ethnischen
Minderheiten an, vor allem Kasachen und Uiguren.
Dementsprechend schwierig ist es, sich als Journalist ein unabhängiges Bild
über die Lage vor Ort zu verschaffen. Doch deuten alle Anzeichen auf eine
Tragödie: [3][Radio Free Asia] berichtet, in dem Landkreis seien mindestens
ein Dutzend Menschen im Zuge des Lockdowns gestorben – in Folge von Hunger
oder ausbleibenden Medikamenten. Das von der US-Regierung finanzierte
Medium beruft sich dabei auf einen chinesischen Beamten. Doch lassen sich
die Angaben nicht unabhängig überprüfen.
Doch ist mehr als offensichtlich, dass sich in Xinjiang die Exzesse der
drakonischen Null-Covid-Politik Chinas wiederholen. Auf der Onlineplattform
Weibo berichten Bewohner im Lockdown, dass die staatlichen
Essenslieferungen nur unregelmäßig ankommen und nur aus Instant-Nudeln oder
Brot bestehen würden.
## Ohne PCR-Test keine Behandlung im Krankenhaus
Andere erzählen, dass Krankenhäuser auch in akuten Notfällen den Einlass
von Patienten verweigern, wenn diese keinen aktuellen PCR-Test vorweisen
können. Besorgte posten auch Fotos von ihren Wohnanlagen, deren Eingänge
mit Planen abgeriegelt wurden: „Was sollen wir machen, wenn ein Feuer
ausbricht?“, schreibt ein Nutzer.
Fast alle Schilderungen ähneln anekdotischen Erfahrungen, wie sie schon
Bewohner in anderen chinesischen Städten im Lockdown gemacht haben. Auch
wiederholt sich in Yining die obligatorische Bestrafung von Lokalbeamten:
19 Beamte wurden sanktioniert, weil sie es versäumt hätten, den
Corona-Ausbruch zu verhindern und die Grundbedürfnisse der Bevölkerung zu
erfüllen. Das verkennt jedoch das Grundproblem: Es handelt sich nicht um
individuelle Fehler, sondern um die Auswüchse eines inhumanen Systems.
Doch wird sich an der Coronastrategie vorerst wenig ändern. Je näher der
20. Parteikongress am 16. Oktober in Peking heranrückt, desto rigider wird
die Nullcovidpolitik umgesetzt. So will es Staats- und Parteichef Xi
Jinping, der seine politische Karriere beim Kongress mit einer umstrittenen
dritten Amtszeit krönen will.
Ein Corona-Ausbruch darf diese Machtdemonstration auf keinen Fall stören:
Schon jetzt darf nur nach Peking reisen, wer sich zuvor in einer Stadt
aufgehalten hat, die seit sieben Tagen keinen einzigen Covidfall
registriert hat. Dabei sind bereits über 30 chinesische Städte im
teilweisen oder vollständigen Lockdown – so viel wie noch nie seit Beginn
der Pandemie.
Yinings Behörden haben zumindest eingeräumt, dass es Fehler bei der
medizinischen Versorgung gab. Man hat sich entschuldigt und der Bevölkerung
Besserung versprochen. Für viele Betroffene sind solche Worte jedoch wenig
wert. „Eure Entschuldigungen sind nutzlos! Was die Leute wollen, ist sehr
einfach: Lösungen für das Problem“, schreibt ein User auf der
Onlineplattform Weibo.
12 Sep 2022
## LINKS
[1] /Uiguren-in-Umerziehungslagern/!5827774
[2] /Menschenrechtsverletzungen-in-China/!5857081
[3] https://www.rfa.org/english/news/uyghur/starvation-deaths-09092022194618.ht…
## AUTOREN
Fabian Kretschmer
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