# taz.de -- Corona-Management in Deutschland: Hort der Krisenverschleppung | |
> Nach zähem Entscheidungsprozess kommt es zu einem so genannten | |
> Geisterspieltag in der Bundesliga. Ein paar Gedanken zum Umgang mit dem | |
> Corona-Virus. | |
Bild: Was ist so schlimm daran, mal vor leeren Rängen zu spielen, wenn es Alte… | |
Im Netz kursierten schon Mitte Januar merkwürdige Videos. Menschen | |
kollabierten einfach so auf der Straße. Bürger von Wuhan wurden in ihren | |
Wohnungen regelrecht eingesperrt. Wer sich nicht an die restriktiven | |
Maßnahmen hielt, mit Fieber in der Öffentlichkeit unterwegs war oder ohne | |
Mundschutz, der wurde auch schon mal brutal aus dem Auto gezerrt und von | |
der chinesischen Polizei drangsaliert. Den Rest erledigten Bürgerkomitees, | |
die ein waches Auge auf ihre Mitbürger in den großen Wohnblocks hatten. | |
All diese Bilder ergaben für denjenigen, der sich in der Frühphase der | |
Seuche mit [1][Corona] beschäftigte, ein Bild potenzieller globaler | |
Gefährdung. Wer sich dann noch mit der exponentiellen Entwicklung dieser | |
Krisen, also der sprunghaften Verbreitung von Viren beschäftigte und in | |
Betracht zog, dass dieser neue Coronavirus hoch ansteckend ist und wegen | |
der nicht vorhandenen [2][Herdenimmunität] ein ernstes Problem vor allem | |
für ältere und kranke Menschen darstellt, der zählte nur noch die Tage, bis | |
das Virus an die eigene Haustür klopft und Probleme schafft. | |
Diese Art der unheimlichen Beobachtung aus der Ferne erklärt übrigens auch | |
das schon früh einsetzende Hamstern von Desinfektionsmitteln und Mundschutz | |
hierzulande. Es erklärt freilich nicht, warum sich die Krisenstäbe in | |
Deutschland in Winterschlaf begaben. Die Wurstigkeit deutscher Behörden | |
ahnend, sorgte man vor, bestellte dies und das, kümmerte sich – was im | |
Übrigen weder hysterisch noch panisch ist, sondern normales präventives | |
Handeln. | |
## Von Pontius zu Pilatus | |
Vor zwei Wochen, also in einer Phase, in der das Virus längst in Italien | |
grassierte und das lombardische Gesundheitssystem an den Rand des Kollaps | |
brachte, da schickte ich einem guten Freund ein besonders bizarres Video | |
aus Wuhan sowie den Erlebnisbericht eines deutschen Italien-Rückkehrers, | |
der in der hiesigen Krisenbürokratie hilflos herumtelefonierte und von | |
offensichtlich überforderten Mitarbeiten von Pontius zu Pilatus geschickt | |
wurde. | |
Der Freund antwortete mir, ich möge ihn nicht mit so einem | |
verschwörungstheoretischem Kram behelligen, ihn nerve die Reaktion der | |
deutschen Angstbürger nur noch. Er sprach von einer normalen Grippe und | |
davon, dass so ein Ereignis jeden Winter viel mehr Menschen umbringe als | |
Corona. Mein Kumpel formulierte keine besonders exklusive Meinung. Halb | |
Deutschland denkt offenbar so, während ihr die andere Hälfte unter dem | |
Hashtag #justtheflu Vorwürfe macht. | |
Das Land ist wieder mal gespalten, und wer in dieser Lage Orientierung | |
sucht, sollte einfach den Empfehlungen von Virologen und Epidemiologen | |
folgen. Sie kennen sich mit neuen Virenstämmen und der exponentiellen | |
Ansteckungsgefahr aus, einem Problem, das förmlich nach restriktiven | |
Maßnahmen schreit. Es kann im Grunde keine zweite Meinung über die Absage | |
von Sportgroßveranstaltungen in der jetzigen Lage geben. | |
Wenn das Virus jetzt dazu ansetzt, von Wirt zu Wirt zu hüpfen als handele | |
sich um einen olympischen Dreisprung für Mikroorganismen, dann gilt es | |
schlicht und ergreifend, die Verbreitung zu verlangsamen, damit die | |
Krankenhäuser einen möglichen Ansturm von schwer lungenkranken Menschen | |
bewältigen können. | |
## Herr Schulze aus Kleinkleckersdorf | |
Warum am Dienstag in Berlin noch eine Freigabe für das Fußballspiel von | |
Union gegen Bayern vom zuständigen Gesundheitsamt erteilt und erst am | |
Folgetag revidiert wurde, das „verwunderte“ nicht nur Gesundheitsminister | |
Jens Spahn, sondern jeden halbwegs geradeaus denkenden Zeitgenossen. | |
Allerdings ist Spahn nicht ganz unschuldig an der Situation, weil er mit | |
seiner [3][„Ermunterung“] zur Absage von Veranstaltungen mit über 1.000 | |
Zuschauern die Verantwortung an Herrn Schulze und Frau Müller vom | |
Gesundheitsamt in Kleinkleckersdorf delegiert hat. | |
Das mag der korrekte Dienstweg sein, aber sollen Mitarbeiter eines kleinen | |
Amtes in Köpenick wirklich darüber entscheiden, ob in Berlin mit seinen 3,5 | |
Millionen Einwohnern ein paar hundert Opas mehr oder weniger das Zeitliche | |
segnen – oder wäre eine einheitliche Regelung zum Schutz der vulnerablen | |
Bevölkerung nicht zwingend? Wo sind die großen Moralisierer und | |
Schlauredner im Netz, wenn es um die Gesundheit der Alten und Kranken geht? | |
Schon klar, es ist nicht sexy und in der linken Szene auch eher verpönt, | |
auf zentralistische Weisungen von oben zu warten, Corona aber verlangt | |
danach. Das nannte man früher mal die normative Kraft des Faktischen. Oder | |
anders gesagt: Man tut mit einer gewissen Entschlusskraft, was geboten ist. | |
Aber im Wirrwarr von Zuständigkeiten, einem dysfunktionalem Kuddelmuddel | |
und einer Verantwortungsflucht, deren sichtbarste Zeichen PR-Geklingel und | |
Presseerklärungen sind, erweist sich Deutschland als Hort der | |
Krisenverschleppung. | |
Was ist so schlimm daran, möchte man fragen, das Primat des Ökonomischen | |
drei, vier Wochen hintanzustellen und Fans aus den großen Fußballarenen zu | |
verbannen? Warum zieren sich die Verantwortlichen derart? Wieso halten die | |
großen Sportligen in Deutschland die Füße so lange still, bis Frau Müller | |
vom Gesundheitsamt anruft? Richtig, sie verlieren Geld. Andere verlieren | |
ihr Leben. | |
Was ist wichtiger? | |
11 Mar 2020 | |
## LINKS | |
[1] /Schwerpunkt-Coronavirus/!t5660746 | |
[2] https://de.wikipedia.org/wiki/Herdenimmunit%C3%A4t | |
[3] https://twitter.com/jensspahn/status/1236665375250677760 | |
## AUTOREN | |
Markus Völker | |
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